Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 94. Kapitel: Wer ist der 'Du' im 10. Gebot?

(Am 25. Oktober 1843 von 4 3/4 - 5 1/2 Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Im Gesetze heißt es: ,,Du sollst nicht verlangen deines Nächsten Weib." - Läßt sich denn da nicht fragen: Wer ist denn so ganz eigentlich der Du? - Ist er ein Verheirateter, ein Witwer, ein unverheirateter junger Mann, ein Jüngling, oder ist es etwa gar auch ein Weib, zu dem man doch auch sagen kann: Du sollst Dieß oder Jenes nicht thun? - Man wird hier sagen: das ist vozugsweise für's männliche Geschlecht bestimmt, ohne Unterschied, ob dasselbe ledig oder verheirathet ist; und daß die Weiber so mitlaufend auch miteinverstanden werden können und nicht das Recht haben sollen, andere Männer zu verlocken und zu begehren, das Alles versteht sich von selbst.

02] Ich aber sage dagegen: Wenn aber schon die Menschen ihre Satzungen gar fein zu bestimmen im Stande sind, und in eben ihren Satzungen für jeden möglichen Fall gar feine und kluge Sonderungen machen, so wird man gegenüber dem Herrn doch nicht den Vorwurf machen können, als hätte Er für's Erste gar aus Unkunde ganz unbestimmt ausgedrückte Gesetze gegeben, oder Er hätte für's Zweite gleich einem pfiffigen Advocaten Seine Gesetze also auf Schrauben gestellt, daß die Menschen darüber unvermeidlich sich so oder so versündigen müssen.

03] Ich meine, eine solche Folgerung aus der näheren Betrachtung des freilich wohl ganz unbestimmt gegeben scheinenden Gesetzes zu machen, wäre denn doch etwas zu arg. Man kann daher viel leichter schließen, daß dieses Gesetz, wie alle übrigen ein sicher höchst bestimmtes ist; nur ist es mit der Zeit und ganz besonders in der Zeit des entstandenen Hierarchenthums also verdreht und fälschlich ausgelegt worden, daß nun kein Mensch mehr den eigentlichen wahren Sinn dieses Gesetzes kennt. Und das ist geschehen aus purer Habsucht; denn im eigentlichen reinen Sinne hätte dieses Gesetz dem Priesterstande nie einen Pfennig getragen, in seinem verdeckten Sinne aber gab es Anlaß zu allerlei taxirten Vermittlungen, Dispensen und Ehescheidungen, und das natürlich in der früheren Zeit beiweitem um's Unvergleichliche mehr, als jetzt; - denn da war die Sache also gestellt, daß zwei oder mehrere Nachbarn sich gegen die Versündigung an diesem Gesetze durchaus nicht verwahren konnten. Wie denn?

04] Sie mußten natürlicher Weise mehrere Male im Jahre aus übergroßer Furcht vor der Hölle gewissenhaft beichten; und da wurden sie in diesem Punkte gar emsig examinirt, und es war, im Falle irgend ein Nachbar ein schönes junges Weib hatte, schon sogar ein Gedanke, ein Blick, etwa gar eine Unterredung von Seite der anderen Nachbarn, natürlich männlicher Seits, als eine ehebrecherische Sünde gegen dieses Gebot erklärt, welche meistens mit einer Opferbuße belegt ward. - Geschah irgend gar eine etwas stärkere Annäherung, so war auch schon die volle Verdammniß fertig, und der einmal auf der einen Wagschale St. Michaels in die Hölle Hinabgesunkene mußte in die gegenüber ganz leere Wagschale sehr bedeutende Opfer werfen, damit diese die Ueberschwere bekamen und den armen verdammten Sünder andererseits wieder glücklich aus der Hölle herauszogen; und die Gottes Macht innehabenden Priester gehörten da durchaus nicht unter diejenigen Partien, welche nur sehr Vieles verlangen, sondern sie wollten im Ernste lieber Alles!

05] Denn auf diese Weise mußten einst viele sehr wohlhabende sogenannte Ritter und Grafen in's Gras beißen und noch obend'rauf zur aus der Hölle erlösenden Buße ihre Güter der Kirche vermachen, bei welcher Gelegenheit dann ihre allenfalls zurückgebliebenen Weiber zur Sühnung der Strafe für ihren ungetreuen Mann in irgend ein Kloster aufgenommen wurden; und die allenfalls zurückgebliebenen Kinder sowohl männlicher als weiblicher Seits sind dann auch gewöhnlich in solche Klöster eingetheilt worden, in denen man keine irdischen Reichthümer besitzen darf.

06] Ich meine, es dürfte genug sein, um das wirklich Schmähliche einzusehen, was Alles aus der Verdrehung dieses Gesetzes zum Vorschein kam; und das bestimmte „Du" des Gesetzes war die Urquelle zu Dispensen, welche gewöhnlich am meisten eingetragen haben. - Hatte Jemand ein großes Opfer gebracht, so konnte man das Du so modificiren, daß der Sünder wenigstens nicht in die Hölle kam; im Gegentheile aber konnte dieses Du auch so verdammlich bestimmt werden, und das zufolge der angemaßten Löse- und Bindegewalt, daß dem Sünder nur sehr bedeutende Opfer aus der Hölle behilflich in der Erlösung sein konnten.

07] Wir haben jetzt gesehen, zu welchen Abirrungen das unbestimmte Du Gelegenheit gegeben hat; wir wollen uns aber damit noch nicht begnügen, sondern noch einige solche lächerliche Auslegungen mehr betrachten, damit es daraus Jedem um so klarer wird, wie nothwendig für Jedermann die Bekanntschaft mit dem reinen Sinne des Gesetzes ist, ohne den er nie frei werden kann, sondern stets sklavisch verbleiben muß unter dem Fluche des Gesetzes! - Und so gehen wir weiter.

01] Im Gesetze heißt es: »Du sollst nicht verlangen deines Nächsten Weib«. - Läßt sich da nicht fragen: Wer ist denn eigentlich der Du? Ist er ein Verheirateter, ein Witwer, ein unverheirateter junger Mann, ein Jüngling, oder ist es etwa auch ein Weib, zu dem man doch auch sagen kann: Du sollst dies oder jenes nicht tun? Man wird hier sagen: Das ist vorzugsweise für das männliche Geschlecht bestimmt, ohne Unterschied, ob ledig oder verheiratet, und daß die Weiber beiläufig auch miteinbegriffen werden können und nicht das Recht haben sollen, andere Männer zu verlocken und zu begehren, das alles versteht sich von selbst.

02] Ich aber sage dagegen: Wenn schon die Menschen ihre Satzungen gar fein zu bestimmen imstande sind und in eben ihren Satzungen für jeden möglichen Fall gar feine und kluge Sonderungen machen, so wird man dem Herrn doch nicht den Vorwurf machen können, als hätte Er gar aus Unkunde unbestimmt ausgedruckte Gesetze gegeben, oder Er hätte gleich einem pfiffigen Advokaten Seine Gesetze also auf Schrauben gestellt, daß die Menschen darüber unvermeidlich sich so oder so versündigen müssen.


03] Ich meine, eine solche Folgerung aus der näheren Betrachtung des freilich unbestimmt gegeben scheinenden Gesetzes zu machen, wäre denn doch etwas zu arg. Man kann daher viel leichter schließen, daß dieses Gesetz, wie alle übrigen, ein höchst bestimmtes ist. Es ist nur mit der Zeit und ganz besonders in der Zeit des entstandenen Hierarchentums sogestalt verdreht und fälschlich ausgelegt worden, daß nun kein Mensch mehr den eigentlichen wahren Sinn dieses Gesetzes kennt. Und das ist geschehen aus purer Habsucht. Im eigentlichen reinen Sinne hätte dieses Gesetz dem Priesterstande nie einen Pfennig eingetragen, in seinem verdeckten Sinne aber gab es Anlaß zu allerlei taxierten Vermittlungen, Dispensen und Ehescheidungen, und das natürlich in der früheren Zeit bei weitem mehr als jetzt. Denn da war die Sache also gestellt, daß zwei oder mehrere Nachbarn sich gegen die Versündigung an diesem Gesetze durchaus nicht verwahren konnten. Wieso denn?


04] Sie mußten natürlicherweise mehrere Male im Jahre aus übergroßer Furcht vor der Hölle gewissenhaft beichten. Da wurden sie in diesem Punkte gar emsig examiniert, und es war, im Falle irgendein Nachbar ein schönes junges Weib hatte, schon sogar ein Gedanke, ein Blick, etwa gar eine Unterredung von seiten der anderen männlichen Nachbarn, als eine ehebrecherische Sünde gegen dieses Gebot erklärt, welche meist mit einer Opferbuße belegt wurde. Geschah gar eine etwas stärkere Annäherung, so war auch schon die volle Verdammnis fertig, und der einmal auf der einen Waagschale St. Michaels in die Hölle Hinabgesunkene mußte in die andere leere Waagschale sehr bedeutende Opfer werfen, damit diese die Überschwere bekamen und den armen verdammten Sünder wieder glücklich aus der Hölle zogen. Die Gottes Macht innehabenden Priester gehörten da durchaus nicht unter diejenigen, welche nur sehr vieles verlangen, sondern sie wollten im Ernste lieber alles!


05] Auf diese Weise mußten einst viele sehr wohlhabende Ritter und Grafen ins Gras beißen und noch obendrauf als aus der Hölle erlösende Buße ihre Güter der Kirche vermachen. Ihre allenfalls zurückgebliebenen Weiber wurden zur Sühnung der Strafe für ihren ungetreuen Mann in ein Kloster aufgenommen. Auch die allfälligen Kinder sowohl männlicher als weiblicherseits sind dann gewöhnlich in solche Klöster eingeteilt worden, in denen man keine irdischen Reichtümer besitzen darf.


06] Ich meine, es dürfte genug sein, um all das wirklich Schmähliche einzusehen, das aus der Verdrehung dieses Gesetzes zum Vorschein kam. Das unbestimmte »Du« des Gesetzes war die Urquelle zu Dispensen, welche gewöhnlich am meisten eingetragen haben. Hatte jemand ein großes Opfer gebracht, so konnte man das Du so modifizieren, daß der Sünder wenigstens nicht in die Hölle kam. Im Gegenteil aber konnte dieses Du auch so verdammlich bestimmt werden, und zwar zufolge der angemaßten Löse- und Bindegewalt, daß dem Sünder nur sehr bedeutende Opfer in der Erlösung aus der Hölle behilflich sein konnten.

07] Wir haben jetzt gesehen, zu welchen Abirrungen das unbestimmte Du Gelegenheit gegeben hat. Wir wollen uns aber damit noch nicht begnügen, sondern noch einige solche lächerliche Auslegungen betrachten, damit es jedem umso klarer wird, wie für jedermann notwendig die Bekanntschaft mit dem reinen Sinne des Gesetzes ist, ohne den man nie frei werden kann, sondern sklavisch unter dem Fluche des Gesetzes verbleiben muß! - Und so gehen wir weiter! -

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