Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 93. Kapitel: Das 10. Gebot im zehnten Saal des Kinderreiches.

(Am 23. Oktober 1843, von 5 - 6 1/4 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Wir sind darinnen, und erblicken auf der Tafel mit deutlicher Schrift geschrieben: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!"

02] Daß dieses Gebot hier im reinen Reiche des Geistes, und ganz besonders im Reiche der Kinder, sicher einem jeden Denker etwas sonderbar klingt, braucht kaum erwähnt zu werden; - denn für's Erste wissen diese Kinder noch nicht im Geringsten, was da etwa ist ein ehelich Weib, und für's Zweite ist hier auch das Verehelichen etwa beider Geschlechter unter einander durchaus nicht gäng und gebe, besonders im Reiche der Kinder. Also im Geisterreiche findet dieses Gebot dieser Betrachtung zu Folge offenbar keine Anwendung.

03] Man wird aber sagen: Warum sollte denn der Herr unter zehn Geboten nicht Eines gegeben haben, welches allein den irdischen Verhältnissen entsprechen muß? - Denn auf der Erde ist die Verbindung zwischen Mann und Weib gäng und gebe, und ist daher ein altbegründetes auf der göttlichen Ordnung beruhendes Verhältniß, welches aber ohne ein Gebot nicht in der göttlichen Ordnung verbleiben kann. - Also kann man hier ja annehmen, daß der Herr unter den zehn Geboten Eines bloß für die Anfrechthaltung der Ordnung eines äußeren irdischen Verhältnisses wegen gegeben hat, damit durch die Aufrechthaltung dieser Ordnung eine geistige, innere, höher stehende nicht gestört wird.

04] Gut, sage ich; wenn Dem aber also ist, da sage ich: Dieses Gebot ist dann von diesem Standpunkte aus betrachtet nichts Anderes, als ein höchst überflüssiger Pleonasmus des ohnehin ganz dasselbe gebietenden sechsten Gebotes; denn auch in diesem wird in seinem völligen Verlaufe Alles als verboten dargestellt, was immer nur auf die Unzucht, Hurerei und den Ehebruch irgend eine Beziehung hat, sowohl in leiblicher, wie ganz besonders in geistiger Hinsicht.

05] Wenn wir nun Dieses ein wenig gegen einander erwägen, so ergiebt sich für'n Erste daraus, daß dieses Gebot für den Himmel gar nicht taugt, und daß es für's Zweite neben dem sechsten Gebote rein überflüssig ist.

06] Ich sehe aber Jemanden, der da kommt und spricht: He, lieber Freund, du irrst dich; dieses Gebot, wenn schon an und für sich nahe dasselbe verbietend, was da verbietet das sechste Gebot, ist dennoch für sich ganz eigen und höher stehend und tiefer greifend, als da ist das sechste Gebot; denn beim sechsten Gebote wird offenbar nur die effective grobe Handlung, in diesem zehnten aber das Verlangen und die Begierde als die allzeitigen Grundursachen zur That verboten. - Denn man sieht es ja gar leicht ein, daß hier und da besonders junge Ehemänner auch gewöhnlich junge schöne Weiber haben; wie leicht ist es einem andern Manne, daß er seines vielleicht nicht schönen Weibes vergißt, sich in das schöne Weib seines Nächsten vergafft, in sich dann einen stets größeren Trieb und ein stets größeres Verlangen erweckt, seines Nächsten Weib zu begehren, und mit ihr seine geile Sache zu pflegen.

07] Gut, sage ich; wenn man dieses Gebot von diesem Standpunkte primo loco betrachtet, so ergeben sich daraus nicht mehr als eine halbe Legion Lächerlichkeiten und Narrheiten über Hals und Kopf, durch welche das Göttliche eines solchen erhabenen Gebotes in den schmutzigsten Staub und in die stinkendste Kloake des weltlichen Witzes und Verstandes der Menschen herabgezogen werden muß. Wir wollen Beispiels- und Erläuterungshalber geflissentlich einige Lächerlichkeiten anführen, damit dadurch Jedermann klar werde, wie entsetzlich seicht und auswendig dieses Gebot über acht Jahrhunderte hindurch aufgefaßt, erklärt und zu beobachten befohlen ward.

08] Ein Mann soll alsdann kein Verlangen nach dem Weibe seines Nächsten haben. Hier läßt sich fragen: Was für ein Verlangen oder Begehren? Denn es giebt ja eine Menge redlicher und wohlerlaubter Verlangen und Begehrungen, die ein Nachbar an das Weib seines Nächsten richten kann; aber im Gebote heißt es unbedingt: „Kein Verlangen haben." - Dadurch dürfen nur die beiden Nachbarn mit einander in der Conversation stehen, die Weiber aber müssen sie gegenseitig stets mit Verachtung ansehen; und das ist nichts mehr und nichts weniger, als gerade türkische Auffassung dieses mosaischen Gebotes.

09] Ferner, wenn man die Sache buchstäblich und materiell betrachtet, so muß man doch hoffentlich Alles buchstäblich nehmen und nicht ein paar Worte buchstäblich und ein paar Worte geistig daneben; was sich gerade so ausnimmt, als so Jemand auf einem Fuße ein schwarzes und auf dem andern ein ganz subtil durchsichtiges weißes Beinkleid trüge, oder als wollte Jemand behaupten, ein Baum müsse also wachsen, daß sein halber Stamm mit Rinde und der andere halbe Stamm ohne Rinde sonach zum Vorschein käme. - Dieser Betrachtung zu Folge verbietet das zehnte Gebot nur das Verlangen nach dem Weibe des Nächsten; wer kann das im buchstäblichen Sinne sein? - Niemand Anderer, als entweder die nächsten Nachbarn, oder auch nahe Blutsverwandte. - Buchstäblich dürfte man also nur nach den Weibern dieser beiderlei Nächsten kein Verlangen haben, die Weiber entfernter Bewohner eines Bezirks, besonders aber die Weiber der Ausländer, die sicher keine Nächsten sind, können daher ohne Weiteres verlangt werden; denn Solches wird doch ein Jeder ohne Mathematik und Geometrie begreifen, daß man im Vergleiche zum nächsten Nachbarn einen andern einige Stunden entfernten, oder gar einen Ausländer für einen Nächsten oder Nächstseienden nicht anerkennen kann. - Sehet, auch das ist türkisch; denn diese halten dieses Gebot nur als Türken gegen einander; gegen fremde Nationen haben sie da gar kein Gesetz. - Gehen wir aber weiter. -

10] Ich frage: Ist das Weib meines Nächsten denn von der Haltung des göttlichen Gesetzes ausgenommen? - Denn im Gesetze steht nur, daß ein Mann nach dem Weibe seines Nächsten kein Verlangen haben solle; aber von Dem, daß etwa ein geiles Weib nach ihrem nächsten Nachbar kein Verlangen haben soll, davon steht im Gebote keine Sylbe. - Man giebt auf diese Weise dem Weibe offenbar nothwendig ein Privilegium, die ihnen zu Gesichte stehenden Männer ohne alles Bedenken zu verführen; und wer wird es ihnen verbieten, Solches zu thun, da für diesen Fall vom Herrn aus kein Gebot vorhanden ist? - Auch das ist aus der türkischen Philosophie; denn die Türken wissen aus dem Buchstabensinne, daß die Weiber von solchem Gesetze frei sind; daher sperren sie dieselben ein, damit sie ja nicht irgend in's Freie kommen, und andere Männer nach ihnen lüstern machen möchten, - und gestattet schon ein Türke irgend einem seiner Weiber einen Ausgang, so muß sie sich aber also unvortheilhaft für ihre inwendigen Reize vermummen, daß sie sicher sogar einem ihr begegnenden Bären einen sehr bedenklichen Respect einflößen würde, und darf ihre Reize nur allein vor ihrem Manne entfalten. - Wer kann da auftreten und dagegen behaupten, als wäre Solches nicht aus dem Buchstabensinne des Gebotes zu erkennen? - Offenbar hat diese Lächerlichkeit seinen unleugbaren Grund eben im Gebote selbst. Gehen wir aber weiter.

11] Können nicht die nächsten Nachbarn etwa schon erwachsene Töchter haben, oder andere recht saubere Dienstmädchen? Ist es nach dem zehnten Gebote erlaubt oder nicht, nach den Töchtern oder anderen Mädchen des Nächsten ein Verlangen zu haben, selbst als Ehemann? - Offenbar ist Solches gestattet; denn im sechsten Gebote ist vom Verlangen keine Rede, sondern nur von der That. - Das zehnte Gebot verbietet aber nur das Verlangen nach dem Weibe; also ist das Verlangen nach den Töchtern und allfälligen anderen hübschen Mädchen des Nächsten ohne Widerrede erlaubt. - Sehet, da haben wir wieder eine türkische Auslegung des Gesetzes mehr. Um die Sache aber recht sonnenklar anschaulich zu machen, wollen wir noch einige solcher Lächerlichkeiten anführen.

01] Wir sind darin und erblicken auf der Tafel mit deutlicher Schrift geschrieben: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!« -

02] Daß dieses Gebot hier im reinen Reiche des Geistes und ganz besonders im Reiche der Kinder sicher einem jeden Denker etwas sonderbar klingt, braucht kaum erwähnt zu werden. Fürs erste wissen diese Kinder noch nicht im geringsten, was da etwa ist ein ehelich Weib, und fürs zweite ist hier auch das Verehelichen beider Geschlechter untereinander durchaus nicht gang und gäbe, besonders im Reiche der Kinder. Im Geisterreiche findet dieses Gebot, dieser Betrachtung zufolge, also offenbar keine Anwendung.

03] Man wird aber sagen: Warum sollte denn der Herr unter zehn Geboten nicht eines gegeben haben, welches allein den irdischen Verhältnissen entspricht? Denn auf der Erde ist die Verbindung zwischen Mann und Weib gang und gäbe und ist daher ein altbegründetes, auf der göttlichen Ordnung beruhendes Verhältnis, welches ohne ein Gebot nicht in der göttlichen Ordnung verbleiben kann. Also kann man hier ja annehmen, daß der Herr unter den zehn Geboten eines bloß für die Aufrechterhaltung der Ordnung eines äußeren, irdischen Verhältnisses wegen gegeben hat, damit durch die Aufrechterhaltung dieser Ordnung eine geistige, innere, höher stehende nicht gestört wird.

04] Gut, wenn dem also ist, da sage ich: Dieses Gebot ist dann nichts als eine höchst überflüssige Wiederholung des ohnehin ganz dasselbe gebietenden sechsten Gebotes. Denn auch in diesem wird in seinem völligen Verlaufe alles als verboten dargestellt, was auf die Unzucht, Hurerei und den Ehebruch nur irgendeine Beziehung hat, sowohl in leiblicher, wie ganz besonders in geistiger Hinsicht.


05] Wenn wir nun dieses ein wenig gegeneinander abwägen, so ergibt sich daraus, daß dieses Gebot für den Himmel gar nicht taugt, und daß es neben dem sechsten Gebote rein überflüssig ist.


06] Ich sehe aber jemanden, der da kommt und spricht: He! lieber Freund, zu irrst dich. Dieses Gebot, wenn schon an und für sich nahe dasselbe verbietend, was da verbietet das sechste Gebot, ist dennoch für sich ganz eigen und höher stehend und tiefer greifend, als da ist das sechste Gebot. Beim sechsten Gebot wird offenbar nur die wirkliche grobe Handlung, in diesem zehnten aber das Verlangen und die Begierde als die allzeitigen Grundursachen zur Tat verboten. Denn man sieht es ja leicht ein, daß besonders junge Ehemänner auch gewöhnlich junge schöne Weiber haben. Wie leicht ist es einem andern Manne, daß er seines vielleicht nicht schönen Weibes vergißt, sich in das schöne Weib seines Nächsten vergafft, in sich dann einen stets größeren Trieb und ein stets größeres Verlangen erweckt, seines Nächsten Weib zu begehren und mit ihr seine geile Sache zu pflegen.

07] Gut, sage ich, wenn man dieses Gebot von diesem Standpunkte zunächst betrachtet, so ergeben sich daraus nicht mehr als eine halbe Legion Lächerlichkeiten und Narrheiten, durch welche das Göttliche eines solchen erhabenen Gebotes in den schmutzigsten Staub und in die stinkendste Kloake des weltlichen Witzes und Verstandes der Menschen herabgezogen werden muß. Wir wollen beispiels- und erläuterungshalber geflissendlich einige Lächerlichkeiten anführen, damit dadurch jedermann klar werde, wie seicht und rein äußerlich dieses Gebot über acht Jahrhunderte hindurch aufgefaßt, erklärt und zu beabachten befohlen ward.

08] Ein Mann soll also kein Verlangen nach dem Weibe seines Nächsten haben. Hier läßt sich fragen: Was für ein Verlangen oder Begehren? Denn es gibt ja eine Menge redlicher und wohlerlaubter Verlangen und Begehrungen, die ein Nachbar an das Weib seines Nächsten richten kann. Aber im Gebote heißt es unbedingt, »kein Verlangen haben«. Dadurch dürfen nur die beiden Nachbarn miteinander in der Konversation stehen, die Weiber aber müssen sich gegenseitig stets mit Verachtung ansehen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine geradezu türkische Auffassung dieses mosaischen Gebotes.

09] Ferner, betrachtet man die Sache buchstäblich und materiell, so muß man doch gewiß alles buchstäblich nehmen und nicht ein paar Worte buchstäblich und ein paar Worte geistig; was sich geradeso ausnähme, als so jemand an einem Bein ein schwarzes und an dem andern ein ganz subtil durchsichtiges weißes Beinkleid trüge. Oder als wolle jemand behaupten, ein Baum müsse so wachsen, daß die eine Hälfte seines Stammes mit Rinde, die andere ohne Rinde zum Vorschein käme. Dieser Betrachtung zufolge verbietet das zehnte Gebot nur das Verlangen nach dem Weibe des »Nächsten«. Wer kann das im buchstäblichen Sinne sein? Niemand anderer als entweder die nächsten Nachbarn oder auch nahe Blutsverwandte. Buchstäblich dürfte man also nur nach den Weibern dieser beiden Nächsten kein Verlangen haben, die Weiber entfernter Bewohner eines Bezirks, besonders aber die Weiber der Ausländer, die sicher keine Nächsten sind, könnten daher ohne weiteres verlangt werden. Denn solches wird doch ein jeder ohne Mathematik und Geometrie begreifen, daß man im Vergleiche zum nächsten Nachbarn einen andern, einige Stunden enternten oder gar einen Ausländer für einen Nächsten oder Nächstseienden nicht anerkennen kann. Seht, auch das ist türkisch, denn diese halten dieses Gebot nur gegenüber Türken, gegen fremde Nationen haben sie da kein Gesetz. - Gehen wir aber weiter.


10] Ich frage: Ist das Weib meines Nächsten denn von der Haltung des göttlichen Gesetzes ausgenommen? Denn im Gesetze steht nur, daß ein Mann nach dem Weibe seines Nächsten kein Verlangen haben solle. Aber von dem, daß etwa ein geiles Weib nach ihrem nächsten Nachbarm kein Verlangen haben solle, davon steht im Gebote keine Silbe. Man gibt auf diese Weise den Weibern offenbar ein Privilegium, die ihnen zu Gesicht stehenden Männer ohne Bedenken zu verführen. Und wer wird es ihnen verbieten, solches zu tun, da für diesen Fall vom Herrn aus kein Gebot vorhanden ist? Auch das ist aus der türkischen Philosophie; denn die Türken wissen aus dem Buchstabensinne, daß die Weiber von solchem Gesetze frei sind. Daher sperren sie dieselben ein, damit sie nicht ins Freie kommen und andere Männer nach ihnen lüstern machen möchten. Gestattet schon ein Türke einem seiner Weiber einen Ausgang, so muß sie sich so unvorteilhaft für ihre körperlichen Reize vermummen, daß sie sogar einem ihr begegnenden Bären einigen Respekt einflößen würde. Ihre Reize darf sie allein nur vor ihrem Manne entfalten. Wer kann da auftreten und dagegen behaupten, als wäre solches nicht aus dem Buchstabensinne des Gebotes zu erkennen? Offenbar hat diese Lächerlichkeit ihren unleugbaren Grund eben im Gebote selbst. Gehen wir aber weiter.


11] Können die nächsten Nachbarn nicht etwa schon erwachsene Töchter haben oder andere recht hübsche Dienstmädchen? Ist es nach dem zehnten Gebote erlaubt oder nicht, nach den Töchtern oder anderen Mädchen des Nächsten ein Verlangen zu haben, selbst als Ehemann? Offenbar ist solches gestattet, denn im sechsten Gebote ist vom Verlangen keine Rede, sondern nur von der Tat. - Das zehnte Gebot verbietet aber nur das Verlangen nach dem Weibe, also ist das Verlangen nach den Töchtern und allfälligen anderen hübschen Mädchen des Nächsten ohne Widerrede erlaubt. - Seht; da haben wir wieder eine türkische Auslegung des Gesetzes mehr. Um die Sache aber sonnenklar anschaulich zu machen, wollen wir noch einige solcher Lächerlichkeiten anführen.

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