Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 95. Kapitel: Beispiele verkehrter Auffassung des 10. Gebotes.

(Am 26. Oktober 1843, von 3 3/4 -5 3/4 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Wie das Gesetz lautet, wissen wir; es untersagt ein Verlangen oder ein Begehren. Nun aber fragt es sich: Irgend ein Mann ist verarmt, während sein Nachbar ein reicher Mann ist. Das Weib des Nachbars, als des Nächsten an unserem armen Menschen hat ein ihm bekanntes mitleidiges und mildthätiges Herz. - Unser Armer bekommt nun offenbar ein Verlangen nach dem mildthätigen Weibe seines Nachbars, und begehrt sie, daß sie ihm möchte den Hunger stillen. - Frage, hat dieser gesündiget oder nicht? - Er hat offenbar ein Verlangen und Begehren nach dem Weibe seines Nachbars gestellt; - nachdem es aber heißt: Du sollst kein Verlangen nach dem Weibe deines Nächsten haben, wer kann hier gegründeter Maßen dieses billige Verlangen des Armen als unsündhaft erklären? - Denn unter: „kein Verlangen, kein Begehren haben"— muß doch sicher jedes Verlangen und jedes Begehren untersagt sein, da in dem Worte „kein" durchaus keine Exemtion erweislich ist; - so muß denn auch dadurch ein wie immer geartetes Verlangen untersagt sein.

02] Leuchtet aus dieser Erklärung nicht augenscheinlich hervor, daß der Herr dadurch das weibliche Geschlecht offenbar habe von der Liebthätigkeit abwendig machen wollen, wornach dann sicher eine jede Wohlthat, die irgend eine Hausfrau einem armen Menschen ertheilt, als vollkommene, dem göttlichen Gebote zuwiderlaufende Sünde anzusehen ist?

03] Läßt sich aber so ein unsinniges Gebot von Seite der allerhöchsten Liebe des Herrn wohl denken? - Man wird hier freilich sagen: das Gebot beschränkt sich nur auf das fleischliche wollüstige Verlangen. Ich aber sage: es ist gut, lassen wir es also bei Dem bewendet sein; - nur muß man mir dabei erlauben, einige Bemerkungen zu machen. Stoßen diese Bemerkungen dieses Bewendetseinlassen um, dann muß sich's ein jeder Einwender gefallen lassen, bei der Bestimmung dieses Gebotes einen anderen Weg zu ergreifen; und so vernehme man die Bemerkungen.

04] Das Gebot soll also lediglich ein sinnlich fleischliches Verlangen untersagen. Gut, sage ich; frage aber dabei: Ist im Gebot ein Weib bestimmt angegeben, oder sind im Gebote alle Weiber darunter verstanden, oder finden gewisse natürliche Exceptionen Statt?

05] Nehmen wir an, mehrere sich gegenüberstehende Nachbarn haben alte, durchaus nicht mehr reizende Weiber; da können wir auch versichert sein, daß diese Nachbarn hinsichtlich ihrer gegenseitigen Weiber durchaus kein fleischliches Verlangen mehr haben werden. - Also müßten darunter nur die jungen Weiber verstanden sein, und die jungen nur dann, wenn sie schön und reizend sind. Also werden auch alte und abgelebte Männer sicher nicht mehr viel von fleischlich sinnlichen Begierden gequält sein gegenüber was immer für Weibern ihrer Nachbarn.

06] Dadurch sehen wir aber, daß dieses Gesetz nur unter großen Bedingungen geltend ist. Also hat das Gesetz Lücken, und hat somit keine allgemeine Geltung; denn wo schon die Natur Ausnahmen macht, und ein Gesetz nicht einmal die volle naturmäßige Geltung hat, wie soll es sich da in's Geistige erstrecken? - Wer Solches nicht begreifen kann, der breche nur einen Baum ab, und sehe, ob er dann noch wachsen wird und Früchte tragen.

07] Ein göttliches Gesetz aber muß doch sicher so gestellt sein, daß dessen beseligende Geltung für alle Ewigkeiten gesetzt ist. - Wenn es demnach aber schon im Verlaufe des kurzen irdischen Daseins unter gewissen Umständen natürlicher Weise über die geltenden Schranken hinausgedrängt wird, also schon im Naturzustande des Menschen als wirkend zu sein aufhört, was soll es dann für die Ewigkeit sein? Ist nicht jedes Gesetz Gottes in Seiner unendlichen Liebe gegründet? Was ist es denn aber hernach, wenn ein solches Gesetz außer Geltung tritt? Ist das etwas Anderes, als so man behaupten möchte, die göttliche Liebe tritt ebenfalls unter gewissen Umständen außer Geltung für den Menschen?

08] Darauf aber beruht auch der traurige Glaube euerer heidnisch-christlichen Seite, dem zufolge die Liebe Gottes nur so lange dauert, so lange der Mensch auf dieser Welt lebt; ist er einmal gestorben dem Leibe nach, und steht lediglich seelisch und geistig da, so fängt alsogleich die unwandelbare allerschrecklichst gestrenge strafende Zorngerechtigkeit Gottes an, bei der von einer Liebe und Erbarmung ewig keine Rede mehr ist.

09] Hat der Mensch durch seine Lebensweise den Himmel verdient, so kommt er nicht etwa zufolge der göttlichen Liebe, sondern nur zufolge der göttlichen Gerechtigkeit in den Himmel, und das natürlich durch das eigene Gott dienliche und wohlgefällige Verdienst. Hat aber der Mensch nicht also gelebt, so ist die augenblickliche ewige Verdammniß vorhanden, aus der nimmer eine Erlösung zu erwarten ist; - was mit anderen Worten nichts Anderes sagen will, als so es irgend einen thörichten Vater gäbe, der da ein solches Gesetz in seinem Haushalte aufstellte, und das gegen seine Kinder, welches also lauten möchte:

10] Ich gebe allen meinen Kindern von der Geburt an bis in ihr siebentes Jahr vollkommen Freiheit. In dieser Zeit sollen sie alle meine Liebe ohne Unterschied genießen; nach Verlauf des siebenten Jahres aber ziehe ich bei allen Kindern meine Liebe zurück, und will sie von da an entweder richten oder beseligen. Die als unmündige Kinder meine schweren Gesetze gehalten haben, die sollen nach dem siebenten Jahre sich fortan meines höchsten Wohlgefallens zu erfreuen haben; welche sich aber im Verlaufe des siebenten Jahres nicht völlig bis auf ein Atom nach meinem schweren Gesetze gebessert haben, diese sollen fortan für alle Zeiten aus meinem väterlichen Hause verflucht und verworfen werden. - Saget, was würdet ihr zu einem so grausamen Esel von einem Vater sagen? - Wäre das nicht ungeheuer mehr, als die allerschändlichste Tyrannei aller Tyranneien?

11] Wenn ihr aber Solches doch sicher schon bei einem Menschen für unberechenbar thöricht, arg und böse finden würdet, wie entsetzlich unsinnig müssen da wohl die Menschen sein, wenn sie noch viel Aergeres Gott, der die allerhöchste Liebe und Weisheit Selbst ist, solche kaum aussprechliche Schändlichkeiten ansinnen und zuschreiben können!

12] Was that der Herr am Kreuze, als die alleinige göttliche Weisheit, da Sie gewisserart dem Außen nach wie geschieden war von der ewigen Liebe? - Er, als die Weisheit und als Solcher der Grund aller Gerechtigkeit, wandte Sich Selbst an den Vater oder an die ewige Liebe, forderte diese nicht gewisserart gerechter Maßen um die Rache auf, sondern er bat die Liebe, daß Sie allen diesen Missethätern, also auch allen den Hohenpriestern und Pharisäern all' ihre That vergeben möchte, indem sie nicht wissen, was sie thun! -

13] Solches thut also hier schon die göttliche Gerechtigkeit für Sich; soll dann die unendliche göttliche Liebe da zu verdammen anfangen, wo die göttliche Gerechtigkeit die noch endlos barmherzigere Liebe um Erbarmung anfleht?

14] Oder wenn man das nicht gelten läßt, daß es dem Herrn wirklich Ernst war mit Seiner Bitte, und sagt, Solches habe Er nur beispielsweise gethan; macht man da den Herrn nicht zu einem Heuchler, indem man Ihn nur scheinhalber am Kreuze um Vergebung bitten läßt? Heimlich aber läßt man in Ihm doch die unvertilgbare Rache übrig, der zufolge Er in Sich dennoch alle diese Uebelthäter schon lange in das allerschärfste höllische Feuer verdammt hatte!

15] O Welt! O Menschen! O allerschrecklichster Unsinn, der je irgend in der ganzen Unendlichkeit und Ewigkeit erdacht werden könnte! - Kann man sich wohl etwas Schändlicheres denken, als so man zur allerfalschesten, freilich wohl zeitlichen Autoritätsbegründung der Hölle, den Herrn am Kreuze zu einem Lügner, Scheinprediger, Verräther und somit zum allgemeinen Weltenbetrüger macht? - Aus wessen anderem Munde, als nur allein aus dem Munde des Erzsatans kann solche Lehre und können solche Worte kommen?

16] Ich meine, es genügt auch hier wieder, um euch zu der Einsicht zu bringen, welche Gräuel aus einer höchst verkehrten Deutung und Auslegung eines göttlichen Gesetzes hervorgehen können. - Daß es also ist bei euch auf der Welt, das könnt ihr bereits wohl schon selbst mit den Händen greifen; aber warum es also ist, aus was für einem Grunde, das wußtet ihr nicht und konntet es auch nicht wissen; denn zu mächtig verwirrt ward der Gesetzesknoten, und nimmer hätte Jemand diesem Knoten die volle Lösung geben können.

17] Daher hat Sich der Herr eurer erbarmt, und läßt euch in der Sonne, da es doch sicher licht genug ist, die wahre Lösung dieses Knotens verkünden, auf daß ihr den allgemeinen Grund aller Bosheit und Finsterniß erschauen möchtet.

18] Man wird freilich sagen: Ja wie kann denn doch so viel Uebel von dem Mißverstände der zehn Gebote Mosis abhängen?

19] Da meine ich: Weil diese zehn Gebote von Gott gegeben sind, und tragen in sich die ganze unendliche Ordnung Gottes selbst.

20] Wer sonach in einem oder dem andern Punkte auf was immer für eine Art aus der göttlichen Ordnung tritt, der bleibt in gar keinem Punkte mehr in der göttlichen Ordnung, indem diese gleich ist einem geraden Wege. So Jemand wo immer von diesem Wege abweicht, kann er da sagen: Ich bin nur ein Viertel, Fünftel, Siebentel oder Zehntel des Weges abgewichen? Sicher nicht; denn wie er nur im Geringsten den Weg verläßt, so ist er schon vom ganzen Wege hinweg, und will er nicht auf den Weg zurückkehren, da wird man doch sicher und gewiß behaupten können, daß derjenige einzelne Punkt am Wege, da der Wanderer von selbem abgewichen ist, den Wanderer sicher vom ganzen Wege entfernt hatte.

21] Und eben also verhält es sich auch mit jedem einzelnen Punkte des göttlichen Gesetzes; es kann nicht leichtlich Jemanden geben, der sich am ganzen Gesetze gewaltigst versündiget hatte, indem Solches auch nahe unmöglich wäre. Aber es ist genug, wenn sich Jemand in einem Punkte versündiget und beharrt dann dabei; so kommt er auf diese Weise doch vom ganzen Gesetze hinweg, und wenn er es nicht will und der Herr ihm nicht behilflich sein möchte, so käme er nimmer auf den Weg des Gesetzes oder der göttlichen Ordnung zurück; und so könnt ihr auch versichert sein, daß die meisten Uebel der Welt vom freilich wohl leider anfänglich eigen- und böswilligen Unverstande, oder vielmehr von der böswilligen Verdrehung des Sinnes dieser beiden letzten göttlichen Gebote herrühren.

22] Wir haben nun aber auch der Lächerlichkeiten und falschen Auslegungen dieses Gebotes zur Genüge kund gegeben; daher wollen wir denn auch zur rechten Bedeutung dieses Gesetzes schreiten, in deren Lichte ihr alle die Albernheiten noch um's Unvergleichliche heller erleuchtet erschauen werdet.

01] Wie das Gesetz lautet, wissen wir: es untersagt ein Verlangen oder ein Begehren. Nun aber fragt es sich: Irgendein Mann ist verarmt, während sein Nachbar ein reicher Mann ist. Das Weib des Nachbarn als des Nächsten unseres armen Menschen, hat, wie ihm bekannt ist, ein mitleidiges und mildtätiges Herz. Unser Armer bekommt nun offenbar ein Verlangen nach dem mildtätigen Weibe seines Nachbarn und begehrt, daß sie ihm den Hunger stille. Frage, hat dieser gesündigt oder nicht? Er hat offenbar ein Verlangen und Begehren nach dem Weibe seines Nachbarn gestellt. Nachdem es aber heißt: Du sollst kein Verlangen nach dem Weibe deines Nächsten haben - wer kann hier begründetermaßen dieses billige Verlangen des Armen als unsündhaft erklären? Denn unter »kein Verlangen, kein Begehren haben« muß doch sicher jedes Verlangen und jedes Begehren untersagt sein, da in dem Wort »kein« durchaus keine Ausnahme erweislich ist. So muß denn auch dadurch ein wie immer geartetes Verlangen untersagt sein.

02] Leuchtet aus dieser Erklärung nicht augenscheinlich hervor, als habe der Herr dadurch das weibliche Geschlecht offenbar von der Liebtätigkeit abwendig machen wollen, wonach dann sicher eine jede Wohltat, die eine Hausfrau einem armen Menschen erteilt, als eine dem göttlichen Gebote vollkommen zuwiderlaufende Sünde anzusehen ist?

03] Läßt sich aber ein so unsinniges Gebot von seiten der allerhöchsten Liebe des Herrn wohl denken? Man wird hier freilich sagen: Das Gebot beschränkt sich nur auf das fleischlich wollüstige Verlangen. Ich aber sage: Es ist gut, lassen wir es also bei dem bewendet sein, nur muß man mir dabei erlauben, einige Bemerkungen zu machen. Stoßen diese Bemerkungen das Bewendet-sein-lassen um, dann muß es sich ein jeder Einwender gefallen lassen, bei der Bestimmung dieses Gebotes einen anderen Weg zu ergreifen. Und so vernehme man die Bemerkungen.

04] Das Gebot soll also lediglich ein sinnlich fleischliches Verlangen untersagen. Gut, sage ich, frage aber dabei: Ist im Gebot ein bestimmtes Weib angegeben oder sind im Gebote alle Weiber verstanden oder finden gewisse natürliche Ausnahmen statt?

05] Nehmen wir an, mehrere sich gegenüberstehende Nachbarn haben alte, nicht mehr reizende Weiber. Da können wir versichert sein, daß diese Nachbarn hinsichtlich ihrer gegenseitigen Weiber durchaus kein fleischliches Verlangen mehr haben. Demnach müßten nur die jungen Weiber verstanden sein und auch nur dann, wenn sie schön und reizend sind. Sicher werden auch alte und abgelebte Männer nicht mehr viel von fleischlich sinnlichen Begierden gequält sein gegenüber was immer für Weibern ihrer Nachbarn.

06] Daraus aber sehen wir, daß dieses Gesetz nur unter gewissen Bedingungen geltend ist. Also hat das Gesetz Lücken und hat somit keine allgemeine Geltung. Denn wo schon die Natur Ausnahmen macht und ein Gesetz so nicht einmal die volle naturmäßige Geltung hat, wie soll es sich da ins Geistige erstrecken? Wer solches nicht begreifen kann, der breche nur einen Baum ab und sehe, ob er dann noch wachsen wird und Früchte tragen.

07] Ein göttliches Gesetz aber muß doch sicher so gestellt sein, daß dessen beseligende Geltung für alle Ewigkeiten »gesetzet« ist. Wenn es demnach aber schon im Verlaufe des kurzen irdischen Daseins unter gewissen Umständen natürlicherweise über die geltenden Schranken hinausgedrängt wird, also schon im Naturzustande des Menschen als wirkend zu sein aufhört, was soll es dann für die Ewigkeit sein? Ist nicht jedes Gesetz Gottes in Seiner unendlichen Liebe gegründet? Was ist es denn aber hernach, wenn ein solches Gesetz außer Geltung tritt? Ist das etwas anderes, als so man behaupten möchte, die göttliche Liebe tritt ebenfalls unter gewissen Umständen außer Geltung für den Menschen?

08] Darauf aber beruht auch der traurige Glaube eurer heidnisch-christlichen Seite, demzufolge die Liebe Gottes nur so lange dauert, solange der Mensch auf dieser Welt lebt. Ist er einmal dem Leibe nach gestorben und steht lediglich seelisch und geistig da, so fängt sogleich die unwandelbare, schrecklichst gestrenge, strafende Zorngerechtigkeit Gottes an, bei der von einer Liebe und Erbarmung ewig keine Rede mehr ist.

09] Hat der Mensch durch seine Lebensweise den Himmel verdient, so kommt er nicht etwa zufolge der göttlichen Liebe, sondern nur zufolge der göttlichen Gerechtigkeit in den Himmel, natürlich durch das eigene, Gott dienliche und wohlgefällige Verdienst. Hat aber der Mensch nicht also gelebt, so ist die ewige Verdammnis augenblicklich vorhanden, aus der nimmer eine Erlösung zu erwarten ist. Mit anderen Worten will dies sagen, es gäbe irgendeinen törichten Vater, der da in seinem Haushalte ein Gesetz aufstellte, und das gegen seine Kinder, welches also lauten möchte:


10] Ich gebe allen meinen Kindern von der Geburt an bis in ihr siebentes Jahr vollkommene Freiheit. In dieser Zeit sollen sie alle meine Liebe ohne Unterschied genießen. Nach Verlauf des siebenten Jahres aber ziehe ich bei allen Kindern meine Liebe zurück und will sie von da an entweder richten oder beseligen. Die als unmündige Kinder meine schweren Gesetze gehalten haben, die sollen nach dem siebenten Jahre sich fortan meines höchsten Wohlgefallens zu erfreuen haben. Welche sich aber im Verlaufe der sieben Jahre nicht völlig bis auf ein Atom nach meinem schweren Gesetze gebessert haben, diese sollen fortan für alle Zeiten aus meinem väterlichen Hause verflucht und verworfen werden. - Sagt, was würdet ihr zu einem so grausamen Esel von einem Vater sagen? Wäre das nicht ungeheuer mehr als die schändlichste Tyrannei aller Tyrannen?

11] Wenn ihr aber solches schon bei einem Menschen unbeschreiblich töricht, arg und böse finden würdet, wie entsetzlich unsinnig müssen da die Menschen sein, die noch weit Ärgeres Gott, der die allerhöchste Liebe und Weisheit Selbst ist, ansinnen und zuschreiben können!


12] Was tat der Herr am Kreuze als die alleinige göttliche Weisheit, da Sie gewisserart dem Außen nach wie geschieden war von der ewigen Liebe? - Er, als die Weisheit, und als solche der Grund aller Gerechtigkeit, wandte Sich Selbst an den Vater oder an die ewige Liebe, forderte diese nicht gewisserart gerechtermaßen um Rache auf, sondern Er bat die Liebe, daß Sie allen diesen Mißtätern, also auch allen den Hohepriestern und Pharisäern alle ihre Tat vergeben möchte, indem sie nicht wissen, was sie tun! - -

13] Solches tut also hier scosn die göttliche Gerechtigkeit für Sich. Soll dann die unendliche göttliche Liebe da zu verdammen anfangen, wo die göttliche Gerechtigkeit die noch endlos barmherzigere Liebe um Erbarmung anfleht?

14] Wenn man das nicht gelten läßt, daß es dem Herrn wirklich Ernst war mit Seiner Bitte, und sagt, solches habe Er nur beispielsweise getan, macht man da den Herrn nicht zu einem Heuchler, indem man ihn nur scheinhalber am Kreuze um Vergebung bitten läßt, heimlich aber sieht man in ihm doch die unvertilgbare Rache, derzufolge Er in Sich dennoch alle diese Übeltäter schon lange in das allerschärfste höllische Feuer verdammt hat?

15] O Welt! O Menschen! O schrecklichster Unsinn, der je irgend in der ganzen Unendlichkeit und Ewigkeit erdacht werden könnte! Kann man sich wohl etwas Schändlicheres denken als so man für falschen, freilich zeitlich einträglichen Autoritätsbegründung der Hölle den Herrn am Kreuze zu einem Lügner, Scheinprediger, Verräter und somit zum allgemeinen Weltenbetrüger macht? Aus wessen Munde als nur allein aus dem des Erzsatans kann solche Lehre und können solche Worte kommen?


16] Ich meine, es genügt auch hier wieder, um euch zu der Einsicht zu bringen, welche Greuel aus einer höchst verkehrten Deutung und Auslegung eines göttlichen Gesetzes hervorgehen können. Daß es bei euch auf der Welt allso ist, das könnt ihr wohl schon selbst bereits mit den Händen greifen. Aber warum es also ist, aus welchen Grunde, das wußtet ihr nicht und konntet es auch nicht wissen;.denn zu verwirrt war der Gesetzesknoten, und nimmer hätte jemand diesem Knoten die volle Lösung geben können. - -


17] Daher hat sich der Herr euer erbarmt und läßt euch in der Sonne, da es doch sicher licht genug ist, die wahre Lösung dieses Knotens verkünden, auf daß ihr den allgemeinen Grund aller Bosheit und Finsternis erschauen möchtet.

18] Man wird freilich sagen: Ja, wie kann denn so viel Übel von dem Mißverstehen der zehn Gebote Mosis abhängen?

19] Da meine ich: Weil diese zehn Gebote von Gott gegeben sind und in sich tragen die ganze unendliche Ordnung Gottes selbst.

20] Wer sonach in einem oder dem andern Punkte auf was immer für eine Art aus der göttlichen Ordnung tritt, der bleibt in keinem Punkte mehr in der göttlichen Ordnung, indem diese gleich ist einem geraden Wege. So jemand wo immer von diesem Wege abweicht, kann er da sagen: Ich bin nur ein Viertel, Fünftel, Siebentel oder Zehntel des Weges abgewichen? Sicher nicht. Denn so wie er nur im geringsten den Weg verläßt, ist er schon abseits vom ganzen Wege. Will er nicht auf den Weg zurückkehren, da wird man doch gewiß behaupten können, daß derjenige einzelne Punkt am Wege, wo der Wanderer von selbem abwich, den Wanderer vom ganzen Wege entfernt hatte.


21] Und eben also verhält es sich auch mit jedem einzelnen Punkte des göttlichen Gesetzes. Es kann nicht leichtlich jemanden geben, der sich am ganzen Gesetze gewaltigst versündigt hätte, indem solches nahezu unmöglich ist. Aber es ist genug, wenn sich jemand in einem Punkte versündigt und dann dabei beharrt. Er kommt auf diese Weise doch vom ganzen Gesetze hinweg, und wenn er es nicht will und der Herr ihm nicht behilflich sein möchte, so käme er nimmer auf den Weg des Gesetzes oder der göttlichen Ordnung zurück. Und so könnt ihr auch versichert sein, daß die meisten Übel der Welt vom freilich wohl leider anfänglich eigen- und böswilligen Unverstande oder vielmehr von der böswilligen Verdrehung des Sinnes dieser beiden letzten göttlichen Gebote herrühren. -

22] Wir haben nun aber auch der Lächerlichkeiten und falschen Auslegungen dieses Gebotes zur Genüge kundgegeben; daher wollen wir denn zur rechten Bedeutung dieses Gesetzes schreiten, in deren Lichte ihr alle die Albernheiten noch ums Unvergleichliche heller erleuchtet erschauen werdet. -

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