Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 223


Feindliche Kundschafterschiffe in Sicht. Der Sturm als Abwehr.

01] Der Tisch war wohlbesetzt mit den besten Fischen, mit Brot und Wein und allerlei wohlschmeckenden Früchten. Am Tische aber saß Ich mit den Zwölfen und Hiram und Epiphan. Aziona diente uns, nahm aber nach dem Mahle dennoch Platz am Tische. Als wir so beisammensaßen, unsere Blicke auf die schöne Wasseroberfläche hinausrichteten, da entdeckte der scharfsichtige Epiphan, wie in der großen Bucht mehrere Schiffe lavierten. Sie wollten die große Bucht befahren; da sie aber die Gegend ob ihrer gewaltigen Veränderung nicht mehr als diejenige, die ihnen von früher her wohlbekannt war, erkennen konnten, so lavierten sie hin und her und entsandten nur ein Kundschafterboot in die Bucht.

02] Es waren aber diese Schiffe so eine Nachhut auf dasjenige, das hier als eine gute Strandprise in der vorhergehenden Nacht von den Fischern auf Mein Geheiß genommen ward. Diese Nachhutschiffe hatten wohl schon die ganze Nacht und auch diesen starken halben Tag herumlaviert, fanden aber nirgends eine Spur mehr. Sie waren darum der Meinung, daß dies Schiff sich etwa wohl in diese schwer zu befahrende Bucht verloren und vielleicht gar irgend Schaden gelitten hätte. Aber diese Bucht sah der früheren nimmer gleich, und so wußten die Nachhutschiffer nicht, wie sie daran waren, und entsandten darum ein leichtes Auskundschaftungsboot in die Bucht.

03] Als Ich solches also den dreien erklärte, da sagte Aziona: ”Na, wenn die das große Schiff hier finden, dann dürfen wir das Weite suchen, sonst sind wir alle verloren!“

04] Sage Ich: ”Sei ruhig; dies Kundschaftsboot wird bald umkehren! Ich werde einen Wind entsenden, der des Bootes Rückzug sicher sehr beschleunigen wird.“

05] Im Augenblick kam ein großer Sturmwind und trieb das Kundschafterboot samt den etlichen Nachhutschiffen pfeilschnell hinaus aufs hohe Wasser.

06] Aber Aziona sagte: ”Herr, sieh, nun sind sie wohl aus der Sicht gekommen; aber sie werden wiederkommen, so der Wind sich legen wird! Oh, diese Menschen sind wie das böse Gewissen und hartnäckig wie eine böse Krankheit! Die verlassen ihre Absicht und ihr Ziel nimmer, und sind es diese nicht - die von ihrem Suchen kaum abstehen dürften -, so werden dann in einer jüngsten Zeit schon wieder andere kommen und das gleiche Ziel verfolgen; und finden sie das Schiff hier, dann geht es uns schlecht, denn gegen die Gewalt der Mächtigen gibt es kein Recht! Ich möchte das ganze Sünderschiff lieber ganz zerstören und vernichten, als mit seinem Besitze in einer steten Angst sein!“

07] Sage Ich: ”So Ich es dir aber sage, daß du deshalb durchaus keine Angst zu haben brauchst, so kannst du wohl ruhig sein! Diese, die nun zu sehen waren, werden niemals wiederkehren, und eine zweite oder gar dritte Nachhut noch weniger; denn in dieser Zeit ist allbekannt das Galiläische Meer sehr stürmisch und wird außer von etwelchen Fischern wenig befahren, da man den Stürmen nicht traut, - und in etlichen Monden ist diese ganze Begebenheit so gut wie ganz vergessen!

08] Denn wird es auch sicher nach Jerusalem also berichtet, daß die nach Mir ausgesandten Fahnder irgend am Meere verunglückt sein werden, da man ungeachtet alles Suchens von ihnen nichts mehr auffinden kann, so wird im Tempel bloß zeremoniell von den dazu eigens bestimmten Tempeldienern männlichen und weiblichen Geschlechts drei Stunden lang gewehklagt, und nachher denkt niemand im Tempel mehr an die Verunglückten, sondern man hebt wieder andere für denselben Zweck aus, versieht sie mit Vollmachten, Geld und den nötigen Waffen und sendet sie unter allerlei strengsten Aufträgen, und diese ziehen dann aus und kehren zumeist unverrichteterdinge wieder nach Hause zurück, oder öfter auch gar nicht, wie die, die uns gestern besuchten. - Und so hast du nun das ganze Verhältnis aufgedeckt und kannst das ohne Scheu fest behalten, was Ich dir gebe, sichere und schütze.“

09] Sagt nun Epiphan: ”Freund Aziona, unter solchen Versicherungen würde ich mich nicht scheuen, sogar von ganz Rom Besitz zu ergreifen, so dieser Herr und Meister zu mir sagen würde: 'Gehe hin und sage: ,Der Herr hat mir die ganze Stadt gegeben, und ich zeige es hiermit an, daß von nun an alles, was da steht, lebt und wächst, mein vollstes Eigentum ist!'' Und sieh, kein Mensch in der Welt könnte mir solch ein vom Herrn mir eingeräumtes Recht streitig machen, und jeder müßte sich fügen nach der Allmacht des göttlichen Willens!

10] Und dasselbe ist auch hier der Fall! Welche irdische Macht wird mit dieser Gottesmacht einen Kampf bestehen wollen? Denn ehe sie zum Kampfe die Hand an den Griff des Schwertes legte, wäre sie ja auch schon vernichtet! Ja, wenn der Herr und Meister es zulassen wird, daß Seine Feinde Hand an Ihn legen werden, so werden sie Ihn auch wohl dem Leibe nach sogar töten können; aber solange Er Selbst das unerforschbar geheime 'fiat!' (Es geschehe!) nicht in Sich ausgesprochen haben wird, solange wird es auch niemand wagen, auch nur den Saum Seines Gewandes anzutasten, - und der es wagen wird, dem dürfte es ergehen, wie es den gestrigen Frevlern ergangen ist! Also für die, welche mit diesem wahren Gottmenschen als wahre Freunde durch alle die größten Gefahren der Welt wandeln, ist für die höchste Sicherheit schon gebürgt.

11] Seht an diese unsere nun allerherrlichste Gegend! Vor kaum einer Stunde war sie eine unwirtlichste, starre Wüste, ein wahres Bild des Todes - gleich uns in unserem früheren Seelenzustande, den auch Er durch Sein Wort in einen lebendigen umgestaltet hat -, und nun treibt die unerforschlich-wunderbare Macht Seines Wortes selbst aus dem harten Steine, den sie zuvor in ein gutes, fettes Erdreich zermalmt und umgestaltet hat, das üppigste Pflanzenleben hervor.

12] Vor Dessen Hauche sich die Steine beugen und alle zahllosen Naturgeister tätig werden müssen, vor Desselben Hauche beugen sich der Erde Völker, - und was sollen wir als nun sicher Seine Freunde uns noch mit irgendeiner Furcht in unseren Gemütern abgeben, als könnte uns im Ernste unter Seinem Schutze noch irgend etwas Übles begegnen?! Ich hoffe, daß du, dies überlegend, aller eitlen Furcht ledig wirst.“

13] Sagt Aziona: ”Freund, du hast nun ganz wohl und richtig gesprochen, und ich bin früher, wie auch jetzt, sicher deiner Ansicht mit meinem ganzen Leben gewesen; aber der Mensch bleibt denn doch immer ein Mensch, besonders wenn irgend Gefahren sich ihm zu nahen anfangen! Man vergißt in einer Art Gemütsverwirrung nicht selten das Wichtigste, denkt nicht mit der innern, ruhigen Seelenverfassung, sondern überstürzt sich von oben nach unten und gerät dadurch in eine derartige Angst, daß man dabei sogar der besten Schutzwaffen nicht mehr gedenkt, die man doch offenbarst bei sich hat.

14] Und so erging es mir soeben, als ich die Bedeutung des diese Bucht herauffahrenden Auskundschafterbootes erfuhr aus dem Munde unseres Gottes und unseres Herrn und Meisters. Aber nun bin ich schon wieder in aller Ordnung, wozu deine Worte recht viel beigetragen haben.“



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