Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 83
Auseinandersetzung Robans mit dem neuen Tempelobersten von Nazareth. 01] Mit diesen Worten begibt sich Roban schnell nach Hause, und als er kaum einige Augenblicke in seinem Hause weilt, da kommt schon ein Bote und nötigt ihn, in die Synagoge zu kommen, wo der neue Oberste mit ihm eben über Mich reden will; denn er hatte es erfahren, daß Roban Meinetwegen in Sichar gewesen war. Roban begibt sich auch schnell hin, und der Oberste geht ihn gleich scharf an.
02] Aber Roban sagt: »Ich bin ein Ältester von Nazareth, stehe zwischen siebzig und achtzig Jahren Alters, und du hast die dreißig noch lange nicht erlebt! Darum aber, daß du durch dein Geld dich zum Obersten über uns gemacht hast, bist du noch lange kein Moses und kein Aaron und wirst mich nichts lehren, das ich nicht schon gewußt hätte, ehe du noch gezeugt warst! Wir alle haben unser Amt allzeit zur Zufriedenheit deines würdevollen Vorgängers und des gesamten Tempels verwaltet, alle Erscheinungen mit den rechten Augen gottergebener Juden betrachtet und haben dort Dämme gesetzt, wo sie nötig waren; verstehst du aber die Sache besser und willst nun mit einem Hiebe etwa gar alle Griechen und Römer zu Juden machen, so fahre nur so fort, und ich stehe dir dafür, daß du nächst uns der einzige Jude in ganz Galiläa bist! -
03] Sieh, der bedeutende Flecken Jesaira ist in dieser Hinsicht aus einem gleichen Grunde ganz griechisch geworden, und alle Pharisäer, Schriftgelehrten und Priester haben den Ort verlassen müssen! Gehe hin und fange dort solch scharfe Untersuchungen an, und die Jesairer werden dir dafür etwas zu erzählen anfangen, daß du sicher nicht Füße genug haben wirst, um dich so schnell als möglich auf die Flucht zu begeben! Warum aber sind die Jesairer abgefallen? Infolge der zu habsüchtigen Strenge der dortigen Priesterschaft, und sie bekennen nun den Pythagoras an der Stelle Mosis!
04] Und auf ein Haar dasselbe wird hier der Fall sein in aller Kürze, und du und wir alle können dann das Weite suchen! Sei also nicht blind, und erkenne die Wahrheit!
05] Die höchsten Staatsgewaltträger sind die Römer und Griechen und sehen es gerne, wenn die Juden zu ihrer Lehre übertreten. Wie willst du solche Übertritte verhindern, zumal es nun in ganz Galiläa eine nur zu bekannte Sache ist, daß das ganze Tempelwesen nur zu sehr einer hohlen Nuß gleich geworden ist? Und wer anders schuldet daran als die habsüchtigen Templer selbst, die den reichen Fremden ums Geld das Allerheiligste öffnen und diese, trotz aller Eide, hernach lachend und unter großem Gespött die ganze Sache unters Volk bringen?! Gehe hin und frage sie, die Bürger dieser Stadt, und sie werden dir das erzählen, was sie uns erzählt haben!«
06] Sagt der Oberste: »Was sagst du? Solches alles wüßte das Volk?«
07] Sagt Roban: »Ja, solches alles weiß das Volk! Gehe aber hin und nimm ihm die Wissenschaft (das Wissen)«.
08] Der Oberste geht ganz ernst in der Synagoge auf und ab und sagt nach einer Weile: »Da wird wohl dieser Nazaräer Prophet seinen gehörigen Teil daran haben! Darum soll mit ihm geschehen, was da mit dem Johannes geschehen ist durch den König Herodes!«
09] Sagt Roban: »Ja, ja, es kommt da nur auf einen Versuch an, sich an dem Wunderarzte zu vergreifen, und das Volk, Römer, Griechen und Juden, die ihn wie einen Gott verehren, werden dir dann ebenfalls etwas zu erzählen wissen! Ich, als Ältester von Nazareth, sage es dir und gebe dir den treumaßgeblichen Rat: Tritt du in die bescheidenen Fußstapfen deines würdigen Vorgängers Jairus, so wirst du noch eine Zeitlang gut fahren; aber wenn du so, wie nun, alles Oberste zuunterst und alles Unterste zuoberst zu verkehren dich bemühest, so kannst du dich bald um eine Gelegenheit nach Jerusalem zurück umsehen! Jairus selbst ist in den Händen der Griechen. Borus ist sein Schwiegersohn; Borus, der zweite Wunderarzt, mächtig an Schätzen aller Art, wird dir nur zu bald etwas zu erzählen anfangen! Kurz, versuche es nur und sage es mir hernach, ob ich dir einen falschen Rat erteilt habe!«
10] Der Oberste stampft mit dem Fuße vor Zorn in den Boden und sagt: »Ihr seid ja schon alle des Teufels und scheinet es mehr mit unsern Widersachern zu halten als mit uns und seid Anhänger der Lehre des Volksbetrügers! Darum werde ich euch alle aus der Synagoge stoßen, sie von Jerusalem aus mit neuen Leuten besetzen und euch den Gerichten überantworten! Ich frage dich darum noch einmal: Was hast du in Sichar bei den Samaritern zu tun gehabt?«
11] Sagt Roban: »Ich bin neunundsiebzig Jahre alt und weiß, was ich tue und zu tun habe! Deine Drohung erschreckt weder mich, noch irgend jemand anders; willst du uns aber den Gerichten überantworten, so kannst du es ja versuchen, und wir werden es sehen, wer von den Gerichten am Ende eher ergriffen wird, - wir oder du!
12] Glücklicherweise stehen wir beim Oberstatthalter, der ein Bruder des Kaisers Augustus ist und in Rom den größten Einfluß hat, sehr gut angeschrieben, darum er uns nicht gar so leicht, wie du es meinst, ins Gefängnis legen wird! Dem Jesus aber, den der Tempel haßt aus purem allerselbst- und herrschsüchtigen Grunde, hat eben der Tempel es zu verdanken, daß er von den Römern nicht schon jetzt der Erde gleichgemacht ist!
13] Von dem berühmten Steuerraube, der von den Agenten des Tempels unter der Maske des Oberstatthalters erst vor kaum fünf Wochen verübt worden ist, und dessen schnöder Transport - sowie viele andere rein geraubte und mit schändlicher Gewalt erpreßten Objekte - in Kis durch die Aufseher des endlos reichen Kisjonah aufgefangen worden war, wirst du sicher etwas vernommen haben! Siehe, da war eben der vom Tempel ohne allen Grund verhaßte Jesus, den selbst die höchsten Römer mehr denn ihren Jupiter verehren, derjenige, der durch sein Wort und durch seine nie erhörten Wundertaten den allerverderblichsten Sturm von Jerusalem abgewendet hat! Er ist aber darum noch lange nicht aufgehoben; nur irgendeine Hartnäckigkeit von eurer Seite, - und der Sturm bricht los!
14] Auch bedarf es nur einer Anzeige vom Borus, Jairus und respektive auch von mir, und ich erlaube dir dann, dich, dein Jerusalem und deinen Tempel in dreimal sieben Tagen anzusehen, und du wirst schwer den Platz finden, an dem einst der Tempel gestanden ist! - Hast du mich wohl verstanden?«
15] Hier stampft der neue Oberste wieder in den Boden voll Zorn und Ärger und sagt: »Wer kann solches mit einem Eide bekräftigen? Denn die solches verübt haben sollen, sitzen im Tempel!«
16] Sagt Roban: »Nach den römischen Gesetzen wird der Täter auch nie zu einem Eide zugelassen, sondern nur die anderwärtigen Zeugen, und deren bringen sie im nötigen Falle zehntausend zusammen, und ich meine, daß diese gegen etliche zehn Verbrecher genügen dürften!«
17] Sagt völlig niedergeschlagen der Oberste: »Also ist auf Jehova, Moses und die Propheten nichts mehr zu halten, und ihre Gebote darf - der Römer wegen - kein Mensch mehr beachten?!«
18] Sagt Roban: »Rede nur du mir nicht von Moses und Jehova und von all den Propheten! Von all dem ist weder bei dir und noch viel weniger bei den Oberen und Allerobersten des Tempels mehr eine Spur anzutreffen; denn der ganze Tempel ist schon seit dreißig Jahren in ein Wechsel- und Verkaufshaus umgewandelt worden, und da ist von dem wahren Jehova und vom Moses schon lange keine Spur mehr anzutreffen! Das, was noch da ist, ist pur Larve und Maske, und die reißenden Wölfe gehen in Schafspelzen einher, um der armen Schafe desto leichter habhaft zu werden. Gingest du nach den Gesetzen Mosis, da hätte dich nie gelüstet, dir diese Stelle um viel Gold und Silber zu erkaufen! Ich aber setze dir darum mein Leben ein, wenn Moses je irgend befohlen hat, sich die Oberpriesterstellen durch Gold und Silber zu erkaufen!«
19] Bei dieser Erwiderung des Roban zerbarst der neue Oberste nahezu vor Zorn und sagte: »Macht aber alles nichts! Ich werde darum euch allen dennoch einen Herrn finden, daß ihr euch bis zur Hölle hinab verwundern sollet; denn ich weiß auch noch um so manches, das ihr nicht wisset, und kenne so manche Wege, die euch unbekannt sein dürften!«
20] Sagt Roban: »Wohl möglich; aber es ist sehr möglich, daß uns alle deine Wege und Stege vielleicht noch besser bekannt sind denn dir, und es steht sehr in der Frage, ob wir dir nicht schon alle Wege verrammt haben, auf denen du dir heimlich gedacht hast, uns hinter den Rücken zu kommen! Wie gesagt, mache du nur einen einzigen Versuch, dann sollst du gleich erfahren, was alles wir dir erzählen werden!«
21] Sagen die andern zum Roban: »Aber Bruder, warum wahrest du denn diesen Unmenschen vor seinem sicheren Verderben? Er ist ja in unseren Händen und soll sich eine Hilfe vom Himmel rufen, so wir uns die außerordentliche Freiheit nehmen, ihm die Steine von Nazareth zum Verkosten zu geben!« - Hierauf zu dem Obersten: »Wir sind Pharisäer und Schriftgelehrte so gut wie du, und eigentlich mehr; denn wir stammen von Levi ab, während wir es wohl wissen, daß du die Abstammung dir erkauft hast, wie in dieser Zeit nun schon alles samt dem Himmel verkäuflich ist! Du bist sonach ein Eindringling ins Allerheiligste und ein Gottesbetrüger und solltest für solchen Frevel füglichst gesteiniget werden; du darfst darum ja nicht gar zuviel mehr machen, und wir greifen nach den Steinen!«
22] Diese sehr energisch ausgesprochene Drohung machte den Obersten wenigstens zum Scheine erträglicher, aber dafür desto erbitterter, und er sprach nach einer Weile: »Ihr müßt mich aber auch nicht verkennen; denn mir sind die großen Mängel des Tempels so bekannt wie euch, und es handelt sich nur darum, wie dieselben zu verdecken sind, und wie der Tempel wieder zu seiner früheren Geltung gebracht werden könnte.«