Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


10] Also ist es auch hier der Fall! - Auf solchen Höhen findet der Wanderer gastfreundlichst dasjenige, was ihm in der Tiefe alle Mühe und Anstrengung nicht zu geben vermag. Daher ist es wohl gar gut und nützlich in jeder Hinsicht, sich zu öfteren Malen die Mühe nicht gereuen zu lassen, eine oder die andere Gebirgshöhe zu besteigen.

11] Der Gewinn ist ja ein doppelter und reichlicher: Fürs erste werden dadurch alle naturmäßigen Lebensgeister gestärkt. Jedoch ist dieser Gewinn der geringere, obschon eine Gebirgsbesteigung besser ist denn zehn Apotheken und ebensoviele der renommiertesten Ärzte.

12] Bei weitem größer aber ist der Nutzen für den Geist, weil er da eine so große Stärkung von seiner ursprünglichen Heimat aus bekommt.

13] Wer von euch, so er Gebirge bestiegen hat, wird sich dessen nicht erinnern, daß ihm zwischen den hohen Alpen traulicher und heimlicher zu Gemüte war, als wenn er sich in einer noch so volkreichen Stadt befinden möchte?! - Woher rührt denn solches Gefühl?

14] Frage nur die Berge, und sie werden dir alsbald durch eben dieses Gefühl sagen: »Siehe, was dir dein inneres Gefühl - freilich wohl noch etwas dunkel - sagt, ist volle Wahrheit. Denn hier bist du wahrhaft zu Hause, und zwar im Kreise deiner vielen Voreltern, welche sich in entsprechender Weise schon lange hier überselig befinden!

15] Seht, solches alles lehren auch die Berge! - Was lehren und predigen sie aber noch? - Hört sie nur ferner an; sie wissen noch allerlei zu erzählen!

16] Um euch solches, was da noch kommt, ein wenig näher vor Augen zu stellen, so will Ich euch auch eben aus einer solchen Gebirgsbegebenheit ein kurzes Histörchen zum besten geben:

17] Es war einmal ein frommer Mann; er war an Jahren schon sehr vorgerückt. Dieser Mann hatte gar viele Prüfungen zu bestehen, und unter diesen Prüfungen war auch diese eine der stärksten, daß er bis auf seine jüngste, nahezu zwanzig Jahre alte Tochter alle seine Kinder samt seinem treuen Weibe verlor.

18] Also stand er nun allein mit dieser seiner Tochter da, ein Häuschen am Fuße einer bedeutend hohen Alpe bewohnend, bei dem sich eben so viele Grundstücke befanden, daß sie ihn und sein Töchterchen nebst einer bejahrten Magd und einem alten Knechte kümmerlich ernährten.



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