Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


04] Wenn solches nun der Fall ist, wird es da nicht behaglicher in dem armseligen Kopfe, da auch um seine Stirne freiere Lüfte aus dem hohen Reiche der Geister wehen?! Und wird es nicht einheimischer und traulicher sein, sich allda zu befinden, wo die Strahlen des sonst so hitzigen Verstandes sanft gebrochen werden und sich nach solcher Brechung gar lieblich in das frei gewordene Herz hinabsenken?!

05] Wo ist auf diesen Höhen ein Zollverein der Gedanken anzutreffen und wo eine Taxierkammer dessen, was da ist ein freies Eigentum des unsterblichen Geistes?! Wo ist da ein Grenzstein anzutreffen, über welchen die fühlende Seele nicht treten soll?!

06] Ja, hier lernt der unbefangene Wanderer - wenn er nicht mit verstopften Ohren und verbundenen Augen solche Höhen betritt - was das heißt: frei sein in der Höhe seiner Gedanken und in der Tiefe seines Gefühls, und wie selig es ist, wenn diese zwei sich unbefangen die Hände reichen können, und wie selig da der Gedanke an Gott ist, wenn Ihn der Wanderer aus der Tiefe seines Herzens frei bekennen und Ihn lieben und anbeten kann in dem freien, großen Tempel der Unendlichkeit!

07] Sagt Mir, welcher nur einigermaßen innerlich geweckte Mensch wird nicht von diesem heiligen Gefühle beseelt sein, so er sich an einem heitern Morgen auf einer solchen geheiligten Höhe befinden möchte?!

08] Der Mensch kann zwar auch in der Tiefe Heiliges und Großes denken; aber es geht ihm dabei, wie wenn er mit ziemlich hungrigem Magen in einem Buche die Beschreibung einer guten Mahlzeit liest, bei welcher Gelegenheit ihm die wirkliche Mahlzeit ums hundertfache lieber wäre denn hundert noch vortrefflichere Mahlzeitbeschreibungen, von denen er aber dessenungeachtet dennoch nichts herabbeißen kann.

09] Also ist auch auf solchen Höhen ein inneres Gefühl und die innere Wahrnehmung gerade um so viel kräftiger und mächtiger gegen das, was er in seiner Kammer empfindet, als um wieviel da kräftiger und mächtiger ist eine wirkliche Mahlzeit gegenüber einer beschriebenen. Oder welcher Mensch hat ein lebendigeres Gefühl: einer, der seine lebendige zukünftige Braut am Arme führt, oder derjenige, der sich dieselbe mit den allerschönsten Farben kunstgerecht entweder gemalt oder beschrieben hat? Sicher wird ein jeder die lebendige ergreifen und wird dem andern sein Gemälde und seine Beschreibung unangetastet lassen!



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