Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


19] Dieser Mann betete in Gesellschaft seines Töchterchens oft und viel zu Mir, weinte dabei auch viel um die Seinigen und hatte oft eine große Sehnsucht, ihnen bald nachfolgen zu können.

20] Als er einmal an einem Sonnabende mit seiner Tochter nahezu über die Mitternacht hinaus gebetet und geseufzt hatte und er samt der Tochter betend und seufzend einschlief, da träumte es der Tochter, als sei sie mit dem alten Vater auf dem höchsten Gipfel der Alpe gestanden. Und wie sie da freudig um sich her blickte in die weiten Fernen hinaus, da bemerkte sie alsbald eine ganze Menge lieblich weißer Wölkchen der Höhe zuschweben. Und als diese Wölkchen vollends zu der Höhe hinangeschwebt waren, da gewahrte sie alsbald, daß diese Wölkchen vollkommen menschliche Wesen waren.

21] Diese Wesen waren anfangs verschleiert, aber bald lüfteten sie ihre Schleier. Und sie, die Tochter nämlich und der alte Vater, erkannten sogleich überseligen Herzens, daß diese Wesen ihre vorangegangenen Teuren waren, von denen die Mutter alsbald zu ihrem geliebten Gatten trat, ihn herzte und koste. Der Gatte, als der Vater der Tochter, aber weinte vor übergroßer Freude ob dieses seligen Wiedersehens. Darauf aber begab sich die Mutter zur Tochter, küßte auch sie und sagte zu ihr:

22] »Liebe Tochter, also wie du dich mit deinem Vater jetzt allhier befindest, eben also sollt ihr euch beide morgen nachmittag hier befinden, da werdet ihr noch mehr sehen und empfinden denn jetzt. Aber darob sollt ihr daheim nichts versäumen, was euch die Ordnung der Dinge vorschreibt!«

23] Nach diesen Worten erwachte die Tochter sogleich und weckte ihren noch schlafenden Vater. Und da dieser den Anbruch des Tages merkte, so blieb er nach alter Gewohnheit auch sofort wach, stand auf, kleidete sich an und weckte dann auch das Hausgesinde. Nach dieser Arbeit aber begab er sich wieder in sein Zimmerchen, allwo er sein Töchterchen schon angekleidet und das Morgengebet verrichtend fand.

24] Er segnete sein Töchterchen und küßte sie, kniete dann selbst nieder und verrichtete mit ihr seine Morgenandacht. Als aber beide damit fertig waren, da standen sie auf. Die Tochter umarmte ihren alten Vater und küßte ihn gar traulich und herzlich, so daß der Vater es ihr ansah, daß sie übergewöhnlich fröhlichen und heiteren Mutes war. Er fragte sie auch alsobald: »Mein liebes Töchterchen, wie kommt es denn, daß du heute gar so munter und fröhlich bist?«



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