Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 168. Kapitel: Der Wunsch des Römers.

01] Sagte darauf der Römer in einer schon um vieles besseren Stimmung seines Gemütes: »O Herr und Meister alles Lebens und Seins, wer in sich in Deiner ewigen Seins- und Lebensklarheit sich befindet und sicher nach dem großen geistigen Jenseits mit derselben alles durchdringenden Lichtmacht schaut wie Du, dem wird der Anblick solch einer schönen Gegend in seinem Gemüte sicher nicht die allergeringste Wehmut hervorrufen; aber unserer menschlichen Kurzsichtigkeit, besonders in den Sphären des inneren Geist- und Seelenlebens, ist solch eine Wehmütigkeit sicher nicht gar zu sehr zu verargen. Denn woher sollte ein in aller Lebensfinsternis geborener und dann großgezogener Mensch wohl Begriffe und Anschauungen über das wahre, innere Lebenswesen der Seele nehmen, da er doch schon von der frühesten Kindheit an mit nichts als nur mit der Materie und ihren mannigfachsten Formen zu tun hatte?

02] Nun wird es bei mir sicher auch bald anders werden durch Deine Gnade, Hilfe und große Erbarmung; aber bis jetzt war bei mir Leib und Seele noch so vollkommen eins, daß es mir wie vielen tausend andern völlig unmöglich schien, daß es ohne einen Leib eine für sich bestehende Seele hätte geben können. Denn die in mir denkende Seele stellte ich mir als ein Produkt der Tätigkeit des Herzens, der Lunge und der andern Eingeweide vor; denn so es mit deren Tätigkeit ein Ende hat, so hätte es damit auch ein Ende mit dem Fühlen, Hören, Schauen, Riechen, Schmecken, Wahrnehmen, Denken, Urteilen und Handeln.

03] Zudem habe ich selbst noch nie nur im geringsten etwas wahrgenommen, das dem Fortbestande einer Seele nach dem Tode des Leibes nur von ferne gleichgesehen hätte, obschon mir andere Menschen so manches in dieser Beziehung kundgegeben haben. Denn wovon ich mich, als auch ein Mensch, nicht habe selbst überzeugen können, da ging es mir mit dem puren Glauben schlecht, und es ist mir denn auch sicher nicht zu verargen, daß mir der Gedanke an den baldigen Tod besonders beim Anblick einer herrlichen Landschaft, wie diese da ist, stets ein wehmütiges Gefühl in meinem Gemüte erzeugte.

04] Hätte ich einen von meinen vielen, schon lange verstorbenen Freunden und Bekannten je zu sehen und zu sprechen vermocht, dann würde ich beim Anblick solch einer herrlichen Landschaft auch nicht von der Wehmut ergriffen worden sein in der Art, wie das bei mir schon seit langem der Fall war, wozu meine von keinem irdischen Arzte mehr heilbare Lungenkrankheit und mein Alter, das mir ohnehin keine langlebige Aussicht mehr gewährte, ihr Wesentliches beitrugen und mich zu einem ordentlichen Feinde des Lebens, der Schönheiten der Natur und der jungen, munteren Jugend machten.

05] Jetzt geht es in Deiner sichtbaren Gegenwart, o Herr und Meister, freilich ganz anders; denn nun weiß ich es aus Deinem göttlichen Munde, was es mit dem Menschen nach dem Tode des Leibes für eine Bewandtnis hat, und das hat mir die mich schon so lange gequält habende Furcht und Angst vor dem Tode beinahe gänzlich benommen, wofür ich Dir aus aller Tiefe meines Herzens danke.

06] Könnte ich dazu noch jemand von meinen verstorbenen Freunden sehen und sprechen - was Du, o Herr und Meister der Sinnen- und Geisterwelt, sicher bewirken könntest -, so wäre ich in meinem Gemüte sicher auch noch mehr in der Ordnung. Daß es Dir, o Herr und Meister, gar leicht möglich ist, daran habe ich nicht den allergeringsten Zweifel; ob aber das nach Deiner Weisheit und Ordnung auch zulässig ist, das kannst nur Du allein wissen und der Mensch auch, dem Du es gesagt hast. Sollte das auch zulässig sein, so würde ich Dich darum bitten.«

07] Sagte Ich: »Freund, es ist das möglich und auch zulässig für solche Menschen, die dafür schon reif geworden sind; denn den im eigenen Geiste schon stark gewordenen Menschen können die noch sehr unlauteren Seelen, so sie sich in dieser Welt zeigen müssen, keinen Schaden zufügen, wohl aber denen, die in ihrem Geiste noch unreif sind.

08] Alle deine von der Sinnenwelt abgeschiedenen Freunde und Bekannten würden dir keine angenehme Erscheinung sein, so Ich sie dir alle zeigen würde; daher will Ich dir nur einige um etwas weniges Bessere vorstellen, und du kannst dich mit ihnen über ihren jenseitigen Zustand selbst besprechen.

09] So du das noch ernstlich wünschest, so will Ich dich auf eine kurze Zeit dazu befähigen, und du wirst deine besten Freunde nicht nur sehen und sprechen können, sondern auch sehen, wie ihre Wohn- und Handelswelt aussieht und beschaffen ist.«

10] Sagte der Römer: »O Herr und Meister, erweise mir diese Gnade!«

11] Sagte Ich: »Also sei es denn, und es geschehe!«



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