Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 99. Kapitel: Jesus über Judas Ischariot.

01] Sagte Ich voll Freundlichkeit zum Wirte: »Wie hättest du nun etwas Ungerechtes und somit Unrechtes sagen können, da ja Ich dir die Worte in den Mund und ins Herz gelegt habe? Und so hast du dem Jünger nun ganz nach Meinem Sinne und in Meinem Namen die volle Wahrheit unverhüllt ins Gesicht gesagt; wohl ihm, so er sie für sein Leben beherzigen will!

02] Oh, Ich weiß es gar wohl, daß er ein Schriftgelehrter ist, und weiß auch um alle seine anderwärtigen Kenntnisse und Erfahrungen, in dem allem er allen Meinen andern Jüngern bei weitem überlegen ist. Aber was nützt ihm alles das, so er nun schon bei zwei und nahe ein halb Jahren mit Mir nur hauptsächlich darum umherzieht, um Mich in allem dem, was Ich rede und tue, scharf zu beobachten, ob er am Ende doch etwas fände, was da nicht mit der Schrift harmoniert. Und in dem findet sein geheimer und somit noch nicht abgelegter Hochmut und somit auch seine Selbst- und irgend mögliche Erwerbsucht stets neue Nahrung, darum er denn auch gleichfort bleibt, wie er ist, und sich von niemand irgend völlig und wahrhaft lebensverbesserlich zurechtweisen läßt; denn er denkt sich immer: »Was wollt ihr armen und ungelehrten Fischer mich belehren, der ich ein Schriftgelehrter bin?«

03] Ich aber sage: Ein Schriftgelehrter sein ist an und für sich ganz wohl und recht; aber Mir ist ein Mensch, der auch nur weniges aus der Schrift weiß und danach gläubig lebt und tut, um ein gar Großes lieber denn ein Mensch voll Schriftgelehrtheit, der die Schrift nur kritisiert, an sie einen schwachen und am Ende gar keinen Glauben hat und darum auch nicht nach der Schrift lebt und handelt, sondern nur nach dem Rate seiner Weltvernunft.

04] Ein Mensch, der einmal von dem Dünkel seines vielen Wissens sich aufgebläht hat, ist so gut wie alle die hochweisen Juden und Pharisäer und Schriftgelehrten in Jerusalem im Geiste blind, und das also, daß er am hellsten Tage den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, ihn daher auch noch immer sucht und inmitten desselben fragt: »Ja, wo ist denn der Wald, den ich suchte und sehen wollte?«

05] Ist es etwa nicht ebenso in geistiger Beziehung mit dem Menschen, der mitten im Leben zu fragen anfängt, ob er wohl lebt, und worin denn sein Leben besteht?

06] Tor! Deine Haut und dein Fleisch und die ganze dir gleiche Außenwelt wird dir das freilich wohl nicht sagen können, weil das alles in sich kein Leben, sondern nur eine Wirkung des Lebens ist! Gehe aber in dein Inneres hinein durch den Glauben, durch die Liebe, durch die Demut, Sanftmut und wahre Selbstverleugnung, und werde dadurch zum Selbstleben mit dem Leben aus Gott in dir, dann wirst du schon erfahren, daß du wahrhaft lebst, und was das Leben ist!

07] Warum suchen denn die Menschen das Gold nicht in dem tauben Gestein, sondern dringen an einer Stelle, wo sie Spuren dieses Metalls entdeckten, in das Innere der Berge und sammeln sich darin große Schätze? Tun aber die Menschen das ohne Furcht und Scheu zur Gewinnung der irdischen Schätze, die in sich tot sind und gar vielen auch den Tod bringen, warum tun sie das denn in und mit sich nicht zur Gewinnung des in ihnen verborgenen Lebensgoldes? Haben sie ja doch schon auf ihrer Haut die deutlichsten Spuren des inneren und wahren Lebensgoldes.

08] Wer einmal da ist und lebt, sich aber als eine noch unreife Lebensfrucht noch nicht auskennt, wie und warum er da ist und lebt, der stelle sich tätig dem Lichte aus Gott entgegen, lasse sich von ihm kräftig erleuchten und im Herzen erwärmen, so wird er dadurch zur inneren Löse und wahren Lebensreife gelangen. In dieser wird er dann schon wohl erkennbar gewahr werden, wie und warum er da ist und lebt, und was und wer das Leben in ihm ist!«



Home  |    Index Band 9  |   Werke Lorbers