Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 152. Kapitel: Göttliche Ordnung auf dem geistigen Lebensweg.

01] Der Römer Markus, der auf jedes Meiner an den Hauptmann gerichteten Worte aufmerksamst achtgegeben hatte, trat zu Mir hin und sagte: »Herr und Meister! Ich habe die Bedeutung Deiner Worte wohl erfaßt und habe ihren Sinn mir tief ins Herz geprägt; aber ich kann dabei dennoch nicht umhin, hier offen zu bekennen, daß des Menschen Leben unter solchen Selbstbildungsverhältnissen wahrlich durchaus kein Scherz ist. Die Regel läßt sich bald und leicht aussprechen, aber nicht so bald und so leicht ins Werk setzen!

02] Du sagtest, daß der Mensch in der Besiegung seiner Sinne und Begierden und damit auch der besonders in den jungen Jahren stets vorherrschenden Eingenommenheit für die Reize der Welt es zu einer halben Meisterschaft bringen solle, bis er hoffen darf, daß Du ihm helfend unter die Arme greifen und ihn sodann in die volle Lebensmeisterschaft setzen werdest. Dieses hört sich wohl ganz gut, wahr und gewissermaßen auch leicht an, und man sieht auch den Grund bald ein, daß es auch also schon ganz Deiner schöpferischen Ordnung gemäß sein wird und auch sein muß; aber bedenkt man dabei, daß es für beinahe jeden noch jüngeren Menschen, auf den die Reize und Lockungen der Welt stets eine größere Gewalt ausüben denn auf unsereinen, der schon mehr an der Neige seiner Jahre steht und den Reizen und Lockungen der Welt ganz leicht den Rücken zukehrt, eine ganz außerordentlich schwere Sache ist, sich mit allen seinen Sinnen und Begierden von der Welt abzuwenden und männlich kräftig den geistigen Weg zu betreten und auf demselben fortzuwandeln, da möchte ich denn hier, wo es sich um das Allerhöchste und Wichtigste des Menschen handelt, doch diese mir nach meiner menschlichen Denkweise klug scheinende Frage stellen, ob es denn für jeden nicht ersprießlicher wäre, so Du, o Herr und Meister, ihm lieber zur Zeit seiner sicher größten Schwäche helfend unter die Arme griffest und er sonach mit Deiner Hilfe es zur Hälfte in der Lebensmeisterschaft brächte, wonach ihm dann die Erlangung der zweiten Hälfte mit den eigenen Lebens und Willenskräften keine so großen Schwierigkeiten bieten würde wie die selbsttätige Erreichung der ersten Hälfte in der Lebensmeisterschaft.

03] Ich weiß das ja aus meiner höchsteigenen Lebenserfahrung, wie mächtig die Reize der Welt oft all mein besseres Denken und Wollen rein zu Boden schlugen, meine Phantasie erhitzten und mein ganzes Gemüt mit glühenden Leidenschaften erfüllten! Ja, Herr und Meister, da wäre es gut gewesen, so Du das Ungestüm meiner Leidenschaften in mir hättest dämpfen helfen! Jetzt dämpfe ich sie selbst schon ganz leicht mit geringer Mühe, und die Selbstverleugnung in gar vielen Stücken gibt sich von selbst. Freilich ist das eben wohl kein Lebensverdienst, so man mit seiner Lebenskraft nur mehr mit wahren Zwergen von Weltleidenschaften zu kämpfen hat und sie daher auch leichter bekämpft und besiegt als in der kräftigen Jugendzeit, wo einem ein ganzes Heer gepanzerter Riesen von Leidenschaften entgegenstürmen und den schwachen Kämpfer leicht und völlig erdrücken.

04] Wenn zum Beispiel in einem Dorfe oder Flecken ein Haus in Brand geraten ist, so meine ich, daß es eben während des Brandes wohl höchst an der Zeit sein dürfte, dem, dessen Haus in Brand geraten ist, dasselbe löschen zu helfen; denn gelang es ihm, selbst seinen Hausbrand zu bemeistern, und die Helfer kommen erst danach, wenn die größte Gefahr schon gedämpft ist, da kommt mir ihr ZuHilfe Kommen wahrlich nicht zur rechten Zeit vor! Ich will aber diese meine Frage durch meine ausgesprochene Ansicht nicht als irgend maßgebend nun schon selbst beantwortet haben und bitte Dich darum nun um Deine Ansicht!«

05] Sagte Ich: »Mein Freund, du hast auch diesmal ganz klug geredet und hast nach der diesirdischen Denkungs und auch damit zu verbindenden Handlungsweise ganz recht; aber Ich kenne den Menschen und seinen Lebensprozeß offenbar besser als du und irgendein anderer kluger Mensch und kann dir und euch allen darum die Sache der wahren Lebensbildung denn auch nicht anders zergen, darstellen und geben, als wie sie der vollsten Wahrheit nach ist und auch nicht anders sein kann.

06] Nach der irdisch klugen Menschendenkweise wäre in der ganzen Kreaturenschöpfung auf dieser Erde nahe gar alles zu bekritteln; doch nach der höchsten Liebe und Weisheit Gottes muß alles also werden und sein, wie es wird und ist.

07] Ist es gewisserart nicht sonderbar von Gott, daß er dem Menschen einen schweren Leib gegeben hat, den er erstens schwer und mühsam herumzutragen und zuschleppen hat, und mit dem er von einer Höhe jählings herabstürzen und offenbar den Tod finden kann? Wäre es nicht klüger gewesen, dem Menschen einen ebenso leichten Leib zu geben wie einer Mücke, - und der Mensch würde damit von der höchsten Höhe herabspringen können, und es könnte ihm offenbar kein Leid geschehen, und fiele er ins Wasser, so würde er auch nicht untergehen und ersaufen!

08] Wie würde es aber einem so leichtleibigen Menschen im Sturm oder auch schon bei einem nur einigermaßen heftigen Wind ergehen? Würde ihn derselbe nicht alsbald wie eine leichte Federflaume emporheben und ihn davontragen, oft viele Tagereisen weit? Wo könnten solche leichtleibigen Menschen auf der Erde dann ihre Heimat haben und halten? Könnten sie mit ihren luftleichten und zarten Händen wohl die schwere Erde bebauen und sich feste Wohnhäuser erbauen?

09] Du wirst nun durch dieses Beispiel schon einsehen, warum ein Mensch auf dieser Erde einen schweren Leib haben muß, wenn er mit demselben auch vielen Gefahren ausgesetzt ist, die er aber durch seine Vernunft und durch seinen Verstand auch allzeit bekämpfen und beseitigen kann, wenn er das nur ernstlich will; denn nur der kommt in der Gefahr um, der sich in die Gefahr oft mutwillig begibt. Wir wollen aber unsere Kritik über die Beschaffenheit so mancher Kreatur noch ein wenig fortführen!

10] Was dünkt dich: Ist es klug, daß zum Beispiel die Früchte in einer Zeit, die zumeist noch rauh und stürmisch ist, in der größten Keimeszartheit sich über den Boden der Erde zu erheben anfangen und von den Stürmen wegen ihrer Schwäche und Zartheit nur zu oft und zu leicht stark beschädigt werden und dann nicht zum Nutzen der Menschen oder Tiere heranwachsen und reifen können? Wäre es denn nicht klüger, entweder die Gewächse gleich schon anfangs als völlig also erstarkt aus dem Boden der Erde entstehen zu lassen, daß ihnen dann die rauhen Stürme nichts mehr anhaben könnten, oder in dieser ersten Entwicklungszeit den rauhen und bösen Stürmen zu gebieten, daß sie ruhen sollen? Siehe, das könnte die menschliche Klugheit ja ganz wohlbegründet von dem weisen und allmächtigen Schöpfer aller Dinge verlangen; denn wozu etwas zu einer Zeit werden lassen, in der das Werdende noch tausend Feinden und Gefahren ausgesetzt ist?!

11] Siehe, so denken und klügeln oft viele Tausende von Menschen mittels ihrer Vernunft und ihrem Weltverstande; doch Gott kann darum dennoch nicht aus Seiner ewigen Ordnung treten und läßt gleichfort alles, was da wird, einen höchst zarten und schwachen Anfang nehmen, weil Er allein es weiß und sieht, unter welchen Bedingungen aus den Naturgeistern ein festeres Werden und Sein bewerkstelligt werden kann.

12] Gott aber beschützt dabei dennoch allzeit das zarte Werden eines kreatürlichen Dinges, und zur Zeit der Ernte ist dann doch nahe stets von allem so viel da, daß die Menschen, besonders die da Gott lieben und sich Ihm vertrauen, in allem genug haben und Gott auch für alles danken. Ja, es kann da schon auch Zeiten und Jahre geben, die da mager sind und den Menschen oft das Nötigste nicht geben; aber solche Zeiten und Jahre läßt der Herr nur dann kommen, wenn die Menschen vor lauter Welttum Seiner ganz zu vergessen angefangen haben. Doch die noch an Gott den Herrn auch in den Tagen der Prüfungen und Heimsuchungen festhaltenden Menschen werden auch in solchen Zeiten versorgt dastehen und sicher wenig Not zu leiden haben, dessen Ich dich völlig versichern kann.

13] Und siehe, so könnte Ich dir aus der Sphäre der Dinge dieser Naturwelt noch so manches nach der menschlichen Weise beklügeln und bekritteln; aber darum könnte Ich die einmal von Ewigkeit her bestehenden Gesetze Meiner Ordnung dennoch nicht aufheben oder anders gestalten!

14] Und siehe nun weiter! Wie es mit allem Kreatürlichen steht, so steht es auch nach Meiner Ordnung mit der Gewinnung der Lebensmeisterschaft des Menschen. Er muß anfangs einmal selbsttätig auftreten und gegen die ihn bestürmenden Leidenschaften mit den ihm verliehenen Waffen zu kämpfen beginnen. Tut er das, so wird ihm nach dem Maße seiner Siege über sie auch die Hilfe von Mir aus für weitere und ernstere Kämpfe und Siege verliehen werden, und er wird also am Ende doch, trotz aller Stürme, die ihm von allen Seiten in den Weg traten, das Ziel des Lebens erreichen, so wie du als ein Heide, der du von vielen Leidenschaften bestürmt worden bist, nun doch durch Mein dir Entgegenkommen das rechte Lebensziel schon so gut wie völlig erreicht hast. - Hast du das nun wohl dem wahren Geiste nach aufgefaßt?«

15] Sagte Markus: »Herr und Meister, ich glaube, daß ich Deiner Rede Geist von der wahren Seite aus wohl aufgefaßt und begriffen habe! Doch wenn ich an unser Rom denke und besonders an seine verweichlichten und weltgenußsüchtigen Bewohner, so wird es mir ordentlich bange; denn diese Weltmenschen kennen nunmehr nur ihren Gaumen, ihren Bauch, den größten Luxus und haben einen unersättlichen Trieb nach Vergnügungen aller Art und Gattung. Dabei ist bei den meisten der dickste Hochmut in einem solchen Grade zu Hause, daß sie die ärmere Menschenklasse gar nicht mehr zu den Menschen zählen und mit ihnen tun, was ihnen beliebt und ihnen irgend Vergnügen verschafft, und wäre dieses von einer die Menschenwürde noch so entehrenden und tiefst beleidigenden Art.

16] Es ist nicht genug, daß man in den großen, überreichen Häusern und Palästen in einem fort ein Freßgelage ums andere hält und sich dabei bis zum Wahnsinn berauscht, sondern man sorgt dabei auch für aller Art frechste Augenweiden und Ohrenschmaus. Bei einem solchen Festgelage werden auch Kämpfer bestellt, die zur größeren Belustigung der Gäste entweder mit dem Schwerte so lange kämpfen müssen, bis einer tot auf dem Platze bleibt, oder es müssen zwei Athleten so lange miteinander ringen, bis der Stärkere und Gewandtere seinen Gegner durchs öftermalige Niederwerfen und durch gewaltige Faustschläge derart beschädigt hat, daß er bald darauf seinen Geist aushaucht; und da werden die Kämpfer vor dem Kampfe noch dringlich darauf aufmerksam gemacht, daß sie erstens mit Anstand kämpfen sollen, und daß zweitens der Getötete mit allem Anstande sterben solle.

17] Ja, Herr und Meister, so ich nun an alles das zurückdenke und Deine göttliche Lehre daneben betrachte, so muß es mir wahrlich bange werden! Und da meine ich denn, daß eben bei einem solchen sittlich grausam entarteten Volke, das im Grunde freilich nicht darum kann, Deine Hilfe auf eine wunderbare Weise vorauswirkend käme, auf daß wir dann Dein Wort auf einen nur um ein weniges mehr gedüngten Boden ausstreuen könnten, wo es sicherer gute Wurzeln triebe und zur segensreichen Frucht heranwüchse. Denn so, wie es noch gar viele große und überreiche Römer nun gibt, wird Deine Lehre bei ihnen schwer oder gar nicht Eingang finden, außer nur vereinzelt in einem und dem andern den unsrigen ähnlichen Häusern. In diesen meinen wohlbegründeten Bedenken liegt denn auch der Grund, warum ich ehedem die gewisse Frage aufgestellt habe.«



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