Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 2. Kapitel: Bitte der Pharisäer.

01] Hierauf ging Lazarus hinaus, begrüßte nach der Sitte die Templer und fragte sie dann, was ihr Anliegen an ihn sei.

02] Sagte der eine Pharisäer: »Es hatte uns zwar anfangs ein böser Geist heraufgeführt, und so war auch das, um was wir dich so ganz eigentlich haben fragen wollen, durchaus nichts Gutes. Wir sind durch die Worte dieses überklugen und weisen Jünglings und durch die sonderbare Macht dieser sieben Männer, die uns noch umstehen, eines Besseren belehrt worden und haben bald eingesehen, wie eitel töricht unsere böse Mühe war, und so sind wir denn auch von ihrem losen Grunde ganz abgestanden.

03] Nun aber bitten wir dich freundschaftlichst, daß du uns gestatten möchtest, dich als deine Freunde wieder in Bethanien besuchen zu dürfen, allwo wir über gar manches mit dir unter vier Augen sprechen möchten. Dann bitten wir dich nun aber auch, daß du uns ein sicheres Geleit über den Berg bis in die Stadt möchtest angedeihen lassen; denn da, etwas weiter unten am Wege, liegen drei Löwen, die sicher den sieben Männern angehören, weil sie sich auf ihren Ruf sogleich eingefunden haben. Diese bösen Tiere werden - was schon öfter der Fall gewesen sein soll - wahrscheinlich wohlgezähmt den sieben anstatt der Hunde zum Schutze auf ihren Reisen dienen, aber trotz ihrer Zahmheit ist ihnen dennoch nicht zu trauen! Ein noch so böser Hund kennt auch zur Nachtzeit seinen Hausherrn; aber einen Fremden packt er an und reißt ihn, und das wäre von den drei Löwen um so mehr zu erwarten! Darum bitten wir dich, daß du den sieben andeuten möchtest, daß sie die drei Bestien wieder zur Seite schaffen möchten.«

04] Hierauf sagte Lazarus: »Wenn euer innerer Sinn gleichlautend ist euren Worten, und wenn ihr den Schaden, den ihr an gar vielen Armen, Witwen und Weisen verübt habt, nach Möglichkeit wieder gutmachen wollt, so könnt ihr ganz ruhig an diesen Löwen vorüberziehen, und es wird sich keiner nach euch umsehen; aber so ihr in eurem Herzen dennoch eines andern Sinnes seid, als wie gelautet haben eure Worte, da wäre es für euch eben nicht geheuer, sich den Löwen zu nahen! Darum prüft selbst euer Herz, und sagt es offen heraus, wie dessen Sinn lautet!

05] Auch nach Bethanien, und zwar in mein Wohnhaus, werdet ihr so lange schwerlich einen Eingang finden, solange ihr im Herzen nicht eines andern Sinnes seid, als wie da lauten eure Worte; denn auch mein Haus bewachen ähnliche Hüter, wie diese drei da unten sind. Wer zu mir redlichen Sinnes kommt, der hat nichts zu befürchten; wer aber unredlichen und bösen Sinnes sich meinem Hause naht, dem ergeht es übel!«

06] Sagte der redeführende Pharisäer: »Du kannst es mir glauben, daß wir alle nun auch also denken, wie ich rede, und wir werden auch, wo wir irgend jemanden bedrückt haben, den Schaden nach aller Möglichkeit gutzumachen auf das eifrigste bemüht sein; aber an den drei Bestien getrauen wir uns dennoch nicht allein vorüberzuziehen! Darum gib uns dennoch ein sicheres Geleit!«

07] Sagte Lazarus: »Die sieben werden euch das sicherste Geleit geben, so ihr redlichen Sinnes seid. Aber nun noch eine Frage an euch! Sagt es mir, aus welchem Grunde glaubt ihr denn an Jesus aus Nazareth nicht, daß Er allein der vollwahre Messias ist? Ihr habt doch gelesen die Schrift, habt auch vernommen Seine Lehre und gesehen die Zeichen, die Er wirkt! Wie möglich könnt ihr über alles das noch so verstockten Sinnes sein? Tausende von Juden und Heiden glauben an Ihn, und viele Heiden kommen von allen Enden der Erde, verneigen sich vor Ihm, nehmen Sein Wort an und glauben, daß Er der Herr ist; nur ihr, die ihr allem Volke mit einem besten Beispiele vorangehen sollt, sträubet euch dagegen, ärger denn die harten Berge den Stürmen.

08] Der Herr kam im Fleische als Mensch auf diese Erde, wie Er es durch den Mund der Propheten Selbst geoffenbart hat, und tut nun auch die Werke, die ebenfalls die Seher schon vor Jahrhunderten besungen haben - was ihr als Schriftgelehrte am ehesten erkennen müßtet -, und dennoch glaubt ihr, wie gesagt, nicht an Ihn! Worin liegt denn davon wohl der Grund?«

09] Sagte der Pharisäer: »Das, liebster Freund, wollen wir in Bethanien bei dir jüngst einmal ganz klar besprechen; hier aber kann ich dir nun so viel sagen, daß es nun im Tempel eine höchst schwere Sache ist, ein Mensch zu sein. Man ist zwar ein Priester, aber darum ein Mensch nicht. Ein jeder ist ein Feind des andern und sucht ihm zu schaden, um daraus für sich einen Nutzen zu ziehen, und so muß man darinnen (im Tempel) und dort, wo man als Mensch lieber weinen möchte, mit den Wölfen heulen, damit man von ihnen nicht zerrissen wird. Aber laß nun das nur noch eine kurze Zeit gut sein, und dieses Tempelgetriebe wird einen großen Umsturz erleiden; denn für die Länge der Zeit gibt es darin kein Bleiben mehr!

10] Nun kennst du auch unsere eigentliche innere Gesinnung; habe darum die Güte, den sieben zu sagen, daß sie uns wohlbehalten von diesem Berge hinab bis zur Stadt geleiten möchten!«

11] Hierauf erst sagte nun wieder Raphael zu den Pharisäern: Warum beeilt ihr euch denn nun so sehr, wieder in die Stadt zu kommen? Wenn ihr wahrhaft gut und ehrlichen Sinnes seid und auch schon saget, daß ihr an den Messias glauben wollt, so seid ihr ja auch hier bei uns sicherer als in der Stadt! Ihr seid doch mit dem Sinne heraufgekommen, um als des Messias Feinde hier auszukundschaften, wo Er Sich etwa aufhalte? So ihr aber nun gegen Ihn anders gesinnt worden seid, warum wollt ihr euch nun als Seine Freunde nicht nach Ihm erkundigen, wo Er Sich aufhält, damit ihr Ihn aufsucht und euch Ihm zeigt als solche, die an Ihn glauben?«

12] Sagte der Pharisäer: »Lieber junger Weiser, so wir das täten, da könnte uns das übel angerechnet und etwa so gedeutet werden, als wollten im Tempel wir, zum bösen Spiele eine gute Miene machend, nun dennoch aus euch herausbringen, wo sich nun der Messias aufhält. Es liegt uns aber nun wahrlich nichts mehr daran, wo er sich aufhalten mag! Denn seine Feinde sind wir fürwahr nicht mehr; sich ihm aber nun als bekehrte Freunde vorzustellen, fühlen wir uns noch viel zu schlecht und seiner unwürdig, und so ist es denn ja doch begreiflich, daß wir uns nun gar nicht nach seinem irgendwoigen Aufenthalt näher erkundigen können und wollen und darum auch schon in unseren Wohnungen sein möchten, um uns selbst treu zu beraten, was wir in der Folge zu tun haben werden, um uns in uns vollends ihm anzuschließen. Zudem müssen wir vor allem aber auch das Fruchtlose unseres Unternehmens dem Tempel anzeigen, auf daß er nicht, bevor er noch von uns eine Nachricht bekommt, schon andere Kundschafter aussende und so die ganze Stadt und die ganze Umgegend beunruhige. Wir glauben, euch nun alle unsere Gründe genügend dargetan zu haben, die uns nötigen, sobald als möglich wieder in den Tempel und in unsere Wohnungen zu kommen, und so gewähret uns den sicheren Abzug!«

13] Sagte nun Raphael: »Ich kann euch aber versichern, daß der Tempel bis morgen auf eure Nachrichterstattung warten wird, und er wird darum keine neuen Kundschafter aussenden. Hier aber hat Lazarus auch der Gemächer zur Genüge, in denen ihr euch beraten könnet, und hat auch der Speisen und des besten Weines in Hülle und Fülle, damit ihr euch stärken könnt. Mein Rat an euch, weil ihr schon einmal da seid, wäre, daß ihr mindestens bis zur Mitte der Nacht hier verbliebet und euch dann erst unter sicherem Geleite in die Stadt hinabbegäbet. Aber so ihr nun schon durchaus hinab wollt, so sollt ihr von uns auch nicht mehr aufgehalten werden! Die Löwen - wie ihr das noch gut sehen könnt - sind bereits weg, und dort im nächsten Zelte liegen eure griechischen Mäntel! Tut nun, was ihr wollt!«



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