Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 211. Kapitel: Jesu Wiedersehen mit Cyrenius.

01] (Der Herr:) »Als Cyrenis an das Ufer kam, da sagte er zu den Hohen, die ihn beglückwünschten: "Ich danke euch für eure aufrichtige Teilnahme an meinem sicher zu erwarten gewesenen Unglück; aber es ist im höchsten Grade zu verwundern, wie der so gewaltigst sich erhoben habende Sturm sich so plötzlich legte. Das erinnerte mich lebhaft an eine ähnliche Begebenheit bei Ostrazine in Ägypten. Da befand sich ein wunderbares Kind einer dahin geflüchteten Judenfamilie, das den Sturm auch so plötzlich gestillt hat, wobei es aber andernteils auch einen Sturm hervorrufen konnte. Es werden seit der Zeit wohl bei zwanzig Jahre sein. Ich habe schon alle Nachforschungen anstellen lassen, um jene Familie irgendwo ausfindig machen zu können, aber es war bisher alles eine vergebliche Mühe. Ich habe mich nun auch schon seit langem jener Familie nicht mehr erinnert; aber das plötzliche Aufhören dieses Sturmes hat mir wieder die ähnliche Erscheinung ins Gedächtnis gerufen, die ich, wie gesagt, schon einmal erlebt habe.

02] Es ist wahrlich höchst merkwürdig! Wenn einmal ein solcher Sturm hier zu wüten anfängt, so dauert das mehrere Tage, bis sich das große Meer nur insoweit wieder beruhigt hat, daß man sich mit einem Schiffe hinaus in die hohe See zu steuern getrauen darf, - und da seht nun hinaus, wie gar so ruhig ohne den geringsten Wogenschlag das ganze Meer geworden ist! Also hat es mich auch gar wundersam befremdet, wie mein Schiff, gleichsam wie durch eine geheime Kraft gezogen, sich schnell dem Ufer näherte. Ich sage: da ging es nicht mit natürlichen Dingen zu!"

03] Sagte ein Hoher zu Cyrenius: "Da sieh hin auf jenen freien ins Meer vorspringenden Platz! Dort siehst du noch die vier Menschen. Ein Mensch von etwa zwanzig Jahren Alters hat während des Sturmes seine Hände ausgestreckt, gebot dem Sturm zu schweigen, und der Sturm schwieg. Wir wissen es nicht, wer er ist, halten ihn zunächst aber dennoch für einen Propheten der Juden; denn ein Jude ist er seiner Kleidung nach. Ob er wirklich den Sturm mit seinem Machtworte gestillt hat, getrauen wir uns gerade nicht fest zu behaupten; doch sonderbar bleibt es immer, daß der Sturm gerade auf seinen laut ausgesprochenen Befehl zu schweigen anfing. Es wäre da wirklich der Mühe wert, diesen Menschen, was und wer er ist, näher zu erforschen!"

04] Sagte Cyrenius: "Halt, da geht mir nun ein Licht auf! Es kann sehr leicht sein, daß jener Mensch eben jener wunderliche Sohn der schon angeführten Judenfamilie ist, die ich früher erwähnt habe. Mit dem muß ich selbst reden!"

05] Hierauf begab sich Cyrenius eiligst auf den Platz, auf dem wir vier noch standen und von dem aus wir das nun ruhige Meer mit seinen mannigfachen Erscheinungen betrachteten, wie auch die verschiedenartigsten Seefische und viel anderes Getier, das, durch Meinen Willen genötigt, sich hier zeigen mußte.

06] Als Cyrenius bei uns ankam, da fragte er den ihm in seinem Gedächtnisse noch ziemlich bekannt gebliebenen Joseph, sagend: "Freund, bist du nicht derselbe Jude, der vor ungefähr zwanzig Jahren infolge der Verfolgung von seiten des alten Herodes sich mit seiner kleinen Familie durch meine Vermittlung nach Ägypten, und zwar nach Ostrazine, geflüchtet hatte? Und wenn du der Mann bist, so sage es mir auch, was aus jenem Wunderknäblein geworden ist, das ich offenbar für einen Gott hielt!"

07] Hier verbeugte sich Joseph tief und sagte darauf: "Hoher Gebieter, es ist eine zu große Ehre, die du uns armen Zimmerleuten aus Nazareth dadurch erwiesen hast, daß du dich selbst zu uns herauf bemühtest, wo du doch nur gebieten konntest, daß wir zu dir hinzukommen hätten! Aber da du schon hier bist, so sage ich dir mit allem Danke in meinem Herzen für all das Gute, das du mir und meiner Familie wahrlich wahr vor ungefähr zwanzig Jahren hier schon und nachher in Ägypten erwiesen hast, daß ich wirklich derselbe Zimmermann Joseph bin, und daß auch dieser nun schon erwachsene Junker, nun auch ein Zimmermann, eben derselbe ist, den du damals als einen Wunderknaben hattest kennengelernt."

08] Als Cyrenius das vernommen hatte, da fing sein Gesicht vor Freude ordentlich zu strahlen an.

09] Er umarmte zuerst Joseph und küßte ihn klein ab, dann aber kehrte er sich zu Mir und sagte: "O Herr, hältst Du mich als einen großen Sünder vor Dir wohl auch für so wert. Dich küssen zu dürfen?"

10] Sagte Ich: "Wohl dir und allen Heiden, daß ihr Mich um vieles eher erkannt habt in euren Sünden als die Juden in ihrem Lichte! Darum aber wird das Licht des Lebens auch den Juden genommen und euch Heiden gegeben werden. Du aber komme nur her, und küsse Mich! Denn wer mit deiner Liebe zu Mir kommt, und hätte er auch der Sünden so viele an seiner Seele, als wie es da gibt des Grases auf der ganzen Erde und des Sandes im großen Meere, den werde Ich nicht verstoßen, sondern ihn aufnehmen wie ein Vater seinen Sohn aufnehmen wird, der für ihn zwar verlorengegangen, aber wieder gefunden ward!"

11] Als unser Cyrenius solche Worte aus Meinem Munde vernommen hatte, da ward er bis zu Tränen gerührt, trat zu Mir hin, umarmte Mich und küßte Mich dabei auch klein ab. Darauf erst dankte er Mir für die wunderbare Errettung aus der großen Lebensgefahr. Zugleich aber lud er uns auch ein, mit ihm in seine Residenz zu gehen, allwo er uns bewirten wolle und wir ihm alles erzählen sollten, was sich unterdessen mit uns irgend alles zugetragen habe.

12] Ich aber sagte: "Lieber Cyrenius, diesen Abend wollen wir wohl deinem Wunsche nachkommen; aber wir müssen morgen früh bei diesem Griechen sein, der über sieben Stunden weit von hier zu Hause ist, weil wir daselbst ein neues Wohnhaus und einen großen Schweinestall zu erbauen haben."

13] Sagte Cyrenius: "Ganz gut. Du mein göttlicher Freund, - ich selbst werde euch dahin begleiten und, da ich nun eine Zeitlang Muße habe, auch einige Tage bei euch verweilen. Denn da ich euch nur wieder einmal gefunden habe, so werde ich euch nicht so bald wieder aus den Augen lassen!"

14] Sagte Ich: "Das ist alles ganz gut, wohl und schön von dir, und wir werden deiner Einladung auch Folge leisten. Aber nun möchten wir noch eine Zeitlang hier verweilen; denn Ich möchte da Meinem Bruder Jakobus und auch dem biederen Griechen Anastokles die verschiedenen Tiere des Meeres zeigen, und dazu werden wir schon noch ein paar Stunden zu tun haben."

15] Sagte Cyrenius: "O Herr, das möchte wohl auch ich selbst mitansehen und sicher auch die andern dort, die im kleinen Hafen auf mich warten!"

16] Sagte Ich: "Ganz gut, so laß sie alle heraufkommen: denn es ist daß der günstigste Ort dazu!"

17] Da berief Cyrenius alle die andern, bei siebzig an der Zahl, herauf. Sie stellten sich an den gedehnten Rand des erhöhten Vorsprungs und fingen bald an, sich über Hals und Kopf zu wundern, als sie auf der spiegelreinen Oberfläche des Meeres zuvor nie gesehene Meerestiere vorüberziehen sahen.

18] Cyrenius sagte voll Verwunderung: "O du endlos große Phantasie des einen wahren Gottes! O du größte Fülle der verkörperten Gedanken Gottes! Welch eine nimmer endenwollende Mannigfaltigkeit! Welche Kolosse von Meeresungeheuern kommen immer von neuem hierher, angezogen durch eine unsichtbare schöpferische Macht! Über eine gute Stunde dauert schon dieser wunderbare Vorüberzug, und noch ist von weitem kein Ende abzusehen! Wir kennen die tausendsten nicht einmal dem Namen nach, und Du, o Herr, rufst sie in Deinem Willen nach Deiner Weisheit sicher bei ihren Namen, und alle folgen Deinem allmächtigen Rufe! O seht und achtet alle darauf, die ihr hier seid; denn ihr schauet nun was noch nie das Auge eines Sterblichen geschaut hat!"

19] Hier fragte ein Hoher den Cyrenius, ob das alles Ich veranlasse.

20] Sagte Cyrenius: "Wer sonst? Wir beide sicher nicht!"

21] Sagte der Hohe: "Wenn der Mensch das kann, dann muß er ja offenbar ein Gott sein, und wir werden ihm wohl eine göttliche Verehrung durch unsere Priester erweisen lassen müssen."

22] Sagte Cyrenius: "Lasst das nur gut sein; denn ich kenne Ihn schon lange und weiß am besten, was Er will, und was Ihm angenehm ist! Mit einem Priester könnten wir Ihn nur von uns vertreiben."

23] Als unser Cyrenius solches zu dem Hohen gesagt hatte, machte dieser von einem Priester gar keine Erwähnung mehr.

24] Es kamen aber nun die seltensten Muschel- und Schaltiere vorüberzuschwimmen, und Cyrenius äußerte den Wunsch, daß er einige von diesen gar so herrlichen Muscheln und Schnecken zum Andenken an diesen Wundertag besitzen möchte.

25] Sagte Ich zu ihm: "So sage es einem deiner Diener, daß er sich mit einem Fahrzeuge auf dem Wasser hierher begeben soll, und Ich werde ihm von da hinab schon andeuten, welche Stücke, die schon reif sind, er aus dem Wasser heben soll!"

26] Das geschah sogleich. In wenigen Augenblicken ruderten unter dem Vorsprunge drei ganz tüchtige Fahrzeuge, und die gewandten Fischer hoben alle die von Mir angezeigten Prachtstücke aus dem Wasser und füllten damit ihre Fahrzeuge.

27] Darauf sagte Ich zu Cyrenius: "Laß sie die Nacht hindurch in Kalkwasser legen, nehmt morgen jedes Stück behutsam heraus, und reiniget die schöne Schale von dem fleischigen Inhalte, trocknet sie wohl ab und bestreichet sie dann inwendig mit etwas Nardus! Dann können sie in deiner Schatzkammer zum Angedenken aufbewahrt werden."

28] Auch das wurde pünktlich befolgt, und Cyrenius kam da zu einem Schatze, der mehrere tausend Pfunde Goldes wert war.

29] Nach zwei Stunden endete der Zug, und wir fingen an, unsern Punkt zu verlassen.«



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