Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 111. Kapitel: Die Zweifel des indischen Magiers.

01] Sagte der Hauptmagier: »Ja, verstanden habe ich das wohl, wie auch meine beiden Gefährten; aber es gäbe darüber hinaus noch so manches zu fragen, damit im Menschen der Begriff über die höchste Weisheit des einen, wahren Gottes ein makelloser würde. Denn es gibt in der großen Natur nebst den vielen gar überaus weise eingerichteten Dingen doch solche, die in sich wohl sehr wunderbar weise ausgestattet sind, sich aber zu den anderen Dingen in gar keinem begreifbar-weise zwecklichen Verhältnisse befinden.

02] Und sieh, du holder junger Freund, durch derlei Betrachtungen werden zumeist gerade jene Menschen, die sich am meisten mit der Aufsuchung eines weisesten und mächtigsten Gottes beschäftigen, ganz irregeleitet und werden, anstatt vollends gottkundig, gerade das Gegenteil, weil sie wohl eine Kraft und Macht finden, die alles sonderheitlich wohl gar wunderkunstvoll dargestellt und eingerichtet hat, sich aber gewisserart selbst keine Rechnung darüber zu machen imstande ist, warum sie das eine und das andere so und so dargestellt hat, und wie etwa das eine des andern wegen da sei!

03] Ich sehe ein, daß das von mir aus sicher eine sehr lose Frage ist; aber wer in sich nie auf gewisse Zweifel kommt, der zeigt dadurch doch offenbar an, daß ihm wenig oder auch wohl gar nichts daran liegt, ob es einen Gott gibt, und wie ein solcher beschaffen ist, und ob des Menschen Seele nach dem Tode des Leibes als ein ihrer selbst als Individuum klar bewußtes Wesen lebend fortbesteht und wie und wo.

04] Weil ich aber schon ein alter Sucher bin, so bin ich auch ein alter Zweifler und als solcher voller Fragen. Und so habe ich deine frühere Beschreibung über euren bösen See, sein unterirdisches Pech- und Schwefellager, dessen zeitweilige Entzündung und dann das Ankommen des nun noch heftig wehenden kalten Nordwindes als mit der Macht und Weisheit eines wahren und guten Gottes sehr in der Ordnung gefunden, wie auch alles sehr zweckmäßig mit dem bösen See eingerichtet ist, daß seine Ausdünstung den lebenden Geschöpfen nicht nachteilig werde. Das alles wäre in und für sich schon ganz in der besten Ordnung; aber nun kommt eben über den bösen See eine ganz andere Frage, die wir selbst uns nimmerdar beantworten können:

05] Warum hat denn der so weise und gute Gott einen so bösen See erschaffen? Wir kennen viele und große Reiche und Länder, die ohne einen solchen See bestehen. Warum muß gerade hier einer sein? Wozu ist sein großes unterirdisches Pech- und Schwefellager und wozu seine giftige Ausdünstung, in der weder Menschen und Tiere, noch Pflanzen und Bäume bestehen können? Sind solche bösen Seen auf der Erde am Ende doch noch zu etwas gut, und steckt hinter ihnen irgendein weiser Zweck, oder sind sie nur so zufällig entstanden und Gott hat wegen ihres Daseins solche Vorkehrungen getroffen, daß sie den nachbarlichen edleren Geschöpfen nicht zu schädlich werden?

06] Konnte denn ein höchst weiser und guter Gott irgendeinen guten Zweck nicht anders als nur durch ein böses Mittel erreichen? Siehe, du mein junger, gottvoll weiser und mächtiger Freund, wenn man darüber stets mehr und mehr zu denken und zu grübeln anfängt, so kommt man am Ende oft zu ganz sonderbaren Schlüssen!

07] Einmal kann man sagen: Ein guter Gott kann nichts Böses erschaffen; denn im Honig gibt es keine Bitterkeit. Es muß demnach auch einen bösen Gegengott geben, der im beständigen Kampfe mit dem guten Gott ist, aber ihn nie besiegen kann, so wie auch der gute Gott den bösen nicht. Der gute Gott erschafft gleichfort Gutes, der böse aber zerstört stets die Werke des guten Gottes.

08] Nimmt man das aber an, so ist es traurig, ein Geschöpf, besonders traurig, ein seiner selbst bewußter Mensch zu sein, weil er seine sichere Zerstörung stets vor Augen hat. Denn wie soll mich ein Leben und Dasein freuen, das ich in kurzer Zeit für ewig zu verlieren die Aussicht habe, und das noch dazu unter dem Kampfe großer Schmerzen und verzweiflungsvoller Ängste!

09] Man verwirft am Ende auch diese Annahme und sagt: Es gibt entweder gar keinen Gott, oder es gibt deren so viele, als es Geschöpfe gibt, und ein jeder Gott erschafft seine Kreatur und kümmert sich um nichts Weiteres; oder es gibt gar keinen Gott, sondern eine Naturkraft, die, ohne zu wissen, daß sie ist, dennoch fort und fort wirkt, weil sie durch die aus sich selbst sich blind und zufällig entfaltet habenden Umstände so oder so zu wirken genötigt wird, gleichwie auch der Wind ganz blind und ohne allen Willen und ohne alle Intelligenz dahinweht und seine Richtung ändert, wenn er an irgendeine Felsenwand gestoßen ist, die ihn dann eine andere Richtung zu nehmen zwingt. So eine Erscheinung sieht man auch bei Bächen und Strömen; sie müssen ihre Richtung so oft verändern, wie sie in ihrer Blindheit auf Gegenstände stoßen, die sie nötigen, ohne zu wollen, eine andere Richtung zu nehmen.

10] Da fällt ein Samenkorn in ein gutes Erdreich und bringt eine reichliche Frucht, während ein gleich gesunder Same in ein mageres Erdreich fällt, darin verkümmert und gar keine Frucht zum Vorschein bringt. Weder der Same noch der Boden sind sich ihrer Kraft und Fähigkeit bewußt: aber irgendein Umstand, der auch wieder durch andere zufällige Umstände bewirkt ward, hat den einen Boden fett und den andern mager gemacht, und dieser Umstand bewirkt, daß ein Same entweder gut oder schlecht gedeiht.

11] Man kann da dann forschen und denken, wie man will, und sich Erfahrungen auf dem ganzen Erdkreise sammeln, und man kommt nirgends auf irgendeine bestimmte, ganz wohlberechnete Ordnung, sondern auf lauter Zufälligkeiten, wo dann eine die andere bedingt.

12] Nun, bei solchen Forschungen geht die Gottheit beim Menschen verloren und kann dann nicht so leicht mehr wieder gefunden werden. Du hattest schon ganz recht, zu sagen, daß der Mensch durchs genaue Erforschen der mannigfachen Erscheinungen in der großen Natur einen allein wahren, weisesten und allmächtigen Gott finden kann, - es wird auch schon also sein; aber wenn man als ein genauer Forscher endlich auf Dinge stößt, die mit keiner wohlberechneten Ordnung etwas zu tun zu haben scheinen und sonach das Dasein eines allein wahren, weisen, guten und mächtigen Gottes verdächtigen, wie das Pech- und Schwefellager unter dem bösen See, - was dann? Dann, Freund, kann sich der Mensch nicht mehr selbst helfen, sondern da muß ihm Gott helfen, wenn Er irgend einer ist; hilft Er ihm aber nicht, so ist Er entweder in der Wirklichkeit gar nicht, oder Er kümmert sich um die Menschen nicht, oder Er ist nicht fähig, ohne gewisse Vorbedingungen dem Menschen zu helfen, wie man das alltäglich aus nur zu vielen Erfahrungen ersehen kann.

13] Wolle du mir darum nun den Grund jenes bösen Sees erklären, und wir werden dann ganz leicht noch weiter über diesen gar sehr wichtigen Punkt miteinander reden!«



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