Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 78. Kapitel: Bericht des Talwirtes über die Vorgänge im Tempel.

01] Nach einer kleinen Weile kamen die zwei Jünger bei uns an und die zwei andern Männer mit ihnen. Der eine was der uns schon bekannte Wirt im Tale, ein Nachbar des Lazarus in der Nähe von Bethania, bei dem Ich schon einige Male eingekehrt war, und der zweite Mann war ein bekannter guter Freund von ihm und auch ein Wirt, aber in der Nähe von Bethlehem, der die große Herberge an der Hauptheeresstraße besaß, und bei dem Ich auch einmal eingekehrt war und daselbst viele Kranke geheilt hatte.

02] Die zwei Jünger aber waren Thomas und Judas Ischariot. Der letztere wollte gleich alles der Länge und Breite nach zu erzählen anfangen, was sich da alles im Tempel zugetragen habe.

03] Aber Ich verwies ihm solches und sagte: »Rede du erst dann, wenn Ich dich dazu auffordern werde; denn bis jetzt bin noch immer Ich euer aller Herr und Meister, der da wohl am allerbesten weiß, wem von euch vieren Er des Volkes wegen das Geschäft des Erzählens auferlegen wird!«

04] Bei dieser Ermahnung wich Judas Ischariot etwas mürrisch zurück und sagte zu Thomas: »Habe es wohl schon vorher gewußt, daß ich wieder zurückgedrängt werde!«

05] Sagte Thomas: »Ich habe es dir aber auch schon unterwegs gesagt, daß du dich nicht vordrängen sollst! Weißt du denn aus tausend Lehren des Herrn noch nicht, daß beim Herrn nur der etwas gilt, der sich allzeit und überall selbst demütigt? Ich habe mich nicht vorgedrängt und habe darum auch keine Zurechtweisung vom Herrn erhalten. Laß dir das doch einmal gesagt sein! Es sind ja noch zwei Männer bei uns, die im Tempel schon vor uns alles gehört und beobachtet haben, was sich darin zugetragen hat. Sie wissen also mehr als wir beide, und der Herr wird des Volkes wegen von ihnen alles erzählen lassen, und wir werden höchstens ein Zeugnis zu geben aufgefordert werden, so es nötig sein wird. Begeben wir uns nun nur ganz ruhig auf unsere alten Plätze zurück und sehen uns die Gegend recht gut an; denn da gibt es auch tausenderlei zu beobachten, woraus man für sich auch manche gute Lehre ziehen kann!«

06] Mit dieser Zurechtweisung des Thomas war Judas Ischariot einmal zufrieden und setzte sich in Ruhe auf seinen alten Platz, und also auch Thomas.

07] Ich aber wandte Mich nun an den Wirt im Tale in der Nähe von Bethanien und sagte zu ihm: »Nun, Freund, erzähle du des Volkes wegen, was du im Tempel alles erlebt hast; denn du warst heute auch mit vielen aus deinem Orte schon vor Tagesanbruch im Tempel! Was sagen die Templer über die in dieser Nacht gesehenen Zeichen, was sagte das Volk dazu, und was sagst am Ende du selbst dazu?«

08] Sagte der Wirt: »Herr und Meister! Ich war wirklich schon vor Tagesanbruch im Tempel, und zwar auf Grund der in dieser Nacht stattgehabten Erscheinungen, die von einer so außerordentlichen Art waren, daß wohl kein Jude und kein Heide je etwas Ähnliches gesehen hat. Hätte ich aber nur ahnen können, daß Du Dich noch in Jerusalem aufhieltest, und das hier auf dem Ölberge, so wäre ich mit diesem Dich auch wohl kennenden Freunde statt in den Tempel gleich und zwar schon während der furchtbaren Erscheinungen hierher geeilt. Dieser mein Freund aber blieb in der Nacht bei mir und wollte heute morgen wieder nach Hause reisen - er kam aus Galiläa, wo er irgendwelche Geschäfte hatte -; aber die in der Nacht plötzlich aufgetauchten Erscheinungen hemmten seine Weiterreise, und wir gingen hinauf nach Jerusalem, um möglicherweise etwa doch ein Licht darüber zu bekommen. Als wir aber eilschrittig in den Tempel kamen, da gab es einen Lärm durcheinander, so daß man darin sein eigenes Wort nicht zu verstehen imstande war.

09] Es kam bald dieser, bald ein anderer Priester auf den großen Predigerstuhl und fing dies und jenes zu erklären an; aber das Volk, den vorgetragenen Unsinn bald einsehend, wollte nichts mehr von dem Prediger hören und verlangte einen andern.

10] Im Anfange hörte das Volk ihn ganz ruhig an; aber sowie er wieder von strenger Buße und von großen Opfern zu reden begann, da ward das Volk bald unwillig und sagte: "Ihr schiebet eure groben Sünden immer auf uns armes Volk, - wir sollen dann, wenn es nötig ist, allzeit für euch die Sündenböcke machen! Welche Opfer haben wir schon dem Tempel gebracht! Welche schauderhaften Bußen haben wir schon gewirkt, und ihr sagtet uns, daß Jehova also Sein Volk mit freundlichen Augen gnädig anschaue! In dieser Nacht aber haben wir Seine Freundlichkeit nur zu gut gesehen, und es leuchtete nur zu klar heraus, daß alle unsere dem Tempel dargebrachten Opfer und alle unsere blutigen Bußwerke zu gar nichts gut waren, sondern es ist nun kein Schein, sondern eine offenbare Wahrheit vor uns, daß alle von uns dargebrachten Opfer und alle von uns geübten Bußwerke, weil sie sicher zu unsinnig waren, da sie über alle mosaischen Satzungen hinausgingen, Gottes gerechten Zorn nur mehr anfachten als besänftigten. Und daran schulden wahrlich nicht so sehr wir als vielmehr ihr Priester, die ihr denn in dieser Zeit infolge eurer zu großen priesterlichen Herrschsucht uns schon zu gar vielen Schand- und Greueltaten angeleitet habt, indem ihr sagtet: ,Wenn ihr dies oder jenes tut, so werdet ihr von Mund auf in den Himmel kommen!' Und somit seid nur ihr diejenigen, die den Zorn Gottes angefacht haben, und nicht wir, die wir uns leider stets getreu an das hielten, was ihr uns gelehrt habt, und allzeit das getan haben, was ihr von uns verlangt habt. Bringt nun vielmehr ihr große Opfer und wirkt eine rechte Buße für die vielen Sünden, die ihr an uns und an den vielen von Gott gesandten Propheten verübt habt, dann wird sich Gott unser schon wieder annehmen. So, dieser Meinung sind wir Volk!"«



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