Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 76. Kapitel: Die Befreiung vom Materiellen.

01] Sagte Agrikola: »Siehe, nun bin ich schon wieder um ein bedeutendes heller, und ich erinnere mich nun so einiger Sätze des alten weisen Plato. Der forschte lange dem Geistwesen Gottes nach und bekam endlich einmal ein Gesicht wie in einem hellen Traume. Da ward es ihm angedeutet, daß er Gottes Geistwesen schauen werde. - Da kam es ihm vor, daß alles um ihn zu Feuer und Licht ward. Er selbst wurde ganz wie förmlich aufgelöst, ohne jedoch sein vollstes Bewußtsein dabei einzubüßen. In diesem Feuer aber empfand er kein Brennen, sondern nur eine mächtige, höchst entzückend wohltuende Liebe- und Lebenswärme, und eine Stimme gleich der reinsten Harmonie einer wohlklingenden Äolsleier sprach aus dem Feuer- und Lichtmeere zu ihm: "Sieh und fühle das Geistwesen Gottes, und fühle und schaue dich selbst in Ihm und durch Ihn!" Und Plato sah nun seine Form als Mensch und sah um sich aber noch zahllose Formen seinesgleichen. In diesen Formen aber entdeckte er noch in kleinsten Bildern, die alle lebten, eine Unzahl anderer Formen, die aber alle zusammen nur eine Menschenform ausmachten. Und siehe, deine Erklärung hat eine große Ähnlichkeit mit dem Gesichte des großen Weltweisen, der in aller gebildeten Welt gar sehr bekannt ist!

02] Nun, das von Plato gesehene Feuer und Licht haben auch sicher nicht reine fleischlichen Augen gesehen, sondern nur die Augen seines Geistes, und so denke ich mir nun: Wenn ich einst selbst werde geistiger geworden sein, so werde auch ich im Geiste gleich Plato dasselbe Feuer und Licht erschauen, was er erschaut und gefühlt hat. - Habe ich da recht oder unrecht geurteilt?«

03] Sagte Raphael: »Oh, ganz recht und ganz richtig hast du da geurteilt, und ich kann dir dazu nichts anderes sagen als: Die Sache verhält sich so ziemlich also! Doch Plato war ein Heide und konnte nicht zu jener ganz klaren Anschauung und Wahrnehmung gelangen, zu der ein Mensch nach der Lehre Gottes des Herrn gelangen kann. Doch um dir hier noch so manchen sehr anschaulichen Beweis über das allein wahre und allerrealste Etwas des reinen Geistes zu geben, will ich dir noch einige Experimente des reinen Geistigen zum besten geben, und so gib denn nun abermals sehr wohl acht auf alles, was ich dir mit der allergnädigsten Zulassung des Herrn noch zeigen werde!

04] Sieh, was uns da nun umgibt, ist pure, ganz wohl durchsichtige Luft, und du kannst nun deine Sinne anstrengen, wie du willst, und du wirst darin nichts entdecken als höchstens eine Menge Mücken und allerlei Fliegen durcheinander schwärmend, hier und da einen größeren Käfer oder gar einen Vogel! Aber ich will dir nur auf eine kurze Zeit die innere Sehe deiner Seele eröffnen, und du wirst staunen, was du in dieser unserer atmosphärischen Luft alles zu Gesichte bekommen wirst.«

05] Sagte Agrikola: »Himmlischer Freund, tue du das, und was mir da frommt, das soll in kurzer Zeit vielen Tausenden frommen!«

06] Sagte Raphael: »Ganz gut, ich darf es ja nur wollen, und du stehst nun schon auf dem Punkte, auf dem ich dich habe haben wollen. - Was siehst du nun alles in der Luft?«

07] Sagte Agrikola: »Ah, höre, das ist unbeschreiblich! Diese endlose Menge von Wesen, Pflanzen, Tieren, Gegenden und sogar Menschengestalten! Und ich sehe auch eine zahllose Menge von sehr kleinen leuchtenden Würmchen durcheinanderzucken und -schweben, und bald da und bald dort ergreift sich ein Bündel, und im Augenblick wird irgendeine volle Form daraus; aber sie bleibt nicht lange und geht gleich wieder in eine andere Form über. Licht ist überall, nur haben die Dinge wenig Bestand und verändern sich bald wieder; nur einige Gestalten halten nun in der angenommenen Form länger an. Nein, bei dieser Anschauung könnte ein noch so Kräftiger Kopf voll Schwindels werden!

08] Ja, was sind denn diese myriadenmal Myriaden Leuchtwürmchen, und was sind diese zahllosen sich stets neu bildenden Formen und Gestalten aller Art und Gattung? Und greife ich unter sie hinein und will mir eine solche Form oder Gestalt festhalten, so habe ich durchaus nichts in der Hand! Ah, das ist denn eine wahre Lebensfopperei!«

09] Sagte nun Raphael: »Nun, so warte also nur noch ein wenig, und du sollst gleich etwas Beständigeres davon haben!«

10] Hier kamen allerlei Vögel und sogar auch Fische, wie in der Luft fliegend und schwimmend, in die Nähe des Römers, und dieser fing sich einen Vogel und einen gar seltsamen Fisch und hielt sie in seinen Händen.

11] Als er diesen Fang gemacht hatte, da sagte er (Agrikola) zum Engel: »Höre, du mein himmlischer Freund, ich habe nun meinen Fang schon gemacht! Mache nun, daß ich die Luft wieder in der Natürlichkeit sehe, und ich will mich überzeugen, ob ich den Vogel und den Fisch noch in meinen Händen habe!«

12] Sagte der Engel: »Oh, das kann dir gleich gewährt werden! Siehe, nun bist du schon wieder ganz in der natürlichen Luft und kannst deinen Fang nach Muße betrachten!«

13] Agrikola war nun wieder in seiner ganz natürlichen Ordnung und wollte gleich seinen Vogel und seinen Fisch näher in Augenschein nehmen; aber es befand sich weder ein Vogel noch ein Fisch mehr in seiner Hand.

14] Dadurch überrascht, fragte er (Agrikola) den Engel, sagend: »Ja, was ist denn nun mit dem Vogel und mit dem Fische? Wo sind diese nun? Mein ganzes Schauen war denn doch nur mehr ein Traum als irgend etwas in der vollen Wirklichkeit!«

15] Sagte der Engel: »Oder gerade umgekehrt! Geradewegs warst du früher der wahren Wirklichkeit näher, als du ihr nun bist! Deinen Vogel und deinen Fisch hast du noch, aber nicht in deiner Fleischhand, sondern in deiner Seelenhand, und ich sage dir, daß du diese dir sehr entsprechenden Tiere noch nicht so bald verlassen wirst und sie dich auch nicht; denn siehe, du hast daheim in Rom als ein altstämmiger Patrizier ein Schild, auf dessen Außenseite ein gleicher Vogel mit einer Ähre im Schnabel und ein gleicher Fisch mit einem Wurm in seinem Rachen in Gold abgebildet sind, und weil du noch große Stücke auf solch ein Weltehrenzeichen hältst, so wirst du sie noch nicht zu bald loswerden.

16] Du hast zwar in der eigentlichen Luft mit den Augen deiner Seele viele Gestalten und Formen geschaut - diese waren Erscheinungen, entsprechend deinen neuen Erfahrungen -; aber du konntest sie noch nicht festhalten. Und wie deine eigenen Gedanken darin stets wechselten und in allerlei Formen übergingen und ausarteten, also stellten sich selbige auch deiner Seele beschaulich dar; aber dein Ehrenschildvogel und -fisch, an denen du noch ein festes und großes Wohlgefallen hast, blieben dir noch fest und unverändert in deiner Seelenhand - welche gleich ist der Lust und der Begierde der Seele nach außenhin -, und so du sie auch in ihrer Natürlichkeit sehen willst, so kann ich dir auch noch das bewirken.«

17] Sagte Agrikola: »Wenn dir solches sicher auch möglich ist, so tue das! Ich möchte denn doch sehen, ob das mein Vogel und mein Fisch ist! Vielleicht könnte ich dann solch eine barste Weltdummheit leichter loswerden.«

18] Sagte der Engel: »Sieh nach deinen beiden Händen, und du wirst deine Weltehrenzeichen erschauen!«

19] Hier sah Agrikola nach seinen Händen und bemerkte in seiner Rechten den Vogel, eine Art Phönix, und in seiner Linken eine Art kleinen Delphin. Da staunte er gewaltig über diese Erscheinung, fragte den Engel aber gleich, wie er diese beiden ihm lästigen Tiere wohl am ehesten loswerden könnte.

20] Sagte der Engel: »Diese beiden dir ganz unnützen Tiere kannst du dadurch ganz leicht loswerden, daß du dein Herz von ihnen ganz abkehrst und es ganz zum Herrn hinwendest. Wenn du das kannst, so werden dich die beiden Tiere in deiner Seele bald verlassen; in deinen fleischlichen Händen aber können sie nur so lange Bestand haben, als ich sie dir erhalten will. Und siehe, ich will, daß sie weg seien! Und sieh, deine Hände sind nun schon wieder frei! Ich habe dir jetzt alles gezeigt, was dir die innere Wahrheit mehr und mehr erhellen kann; ein Weiteres mußt du von nun an in dir selbst suchen und finden.«



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