Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 58. Kapitel: Seele und Leib. Jenseitiger Zustand einer verweltlichten Seele. Der Mond und seine Bewohner.

01] Sagte Nikodemus: »O Herr, diese Deine gnädige Frage beantwortet sich ja nach eines jeden Menschen Gefühl von selbst; denn da liegt die klarste Antwort ja doch schon in der Frage selbst, und es wäre da wohl sehr unnötig, nur irgendeine Antwort darauf zu geben. Aber ich entnehme daraus, daß Du damit nur das allergnädigst hast andeuten wollen, daß eine vollendete Seele nach dem Abfalle des Leibes Deine ganze Schöpfung in einem endlos klareren Lichte schauen wird, als ihr das im Leibesleben je möglich gewesen wäre, und daß eine solche Seele alles Erlebte und auf der Erde Mit- und Durchgemachte um vieles heller in ihrer Erinnerung behalten wird, als das im Leibe je hat stattfinden können. - O Herr, habe ich da recht geantwortet?«

02] Sagte Ich: »Vollkommen, und Ich will euch dafür auch den Grund zeigen, damit da mit der Zeit niemand sagen soll: "Ja, Er als der Wahrhaftigste hat uns das wohl zu glauben befohlen, und es wird das alles schon sicher also sein, wie Er uns das Selbst gelehrt hat, ohne uns den Grund und das Wie näher gezeigt zu haben!" Nein, also will Ich euch nicht lehren! Denn euch eben will Ich es ja geben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu verstehen. Und so hört Mich denn!

03] Der Leib, wie er ist, könnte für sich als eine tote Materie weder etwas sehen noch hören, fühlen, riechen und schmecken ohne eine lebendige Seele in sich. Er ist also nur ein notdürftiges Werkzeug der Seele, also gebaut und wohl eingerichtet, daß sich die Seele seiner für die Außenwelt bedienen kann. Sie kann also mittels des Leibes nach außen hinaus schauen, hören und empfinden Widriges und Angenehmes. Sie kann sich von einem Ort zum andern bewegen und kann mit den Händen mannigfache Arbeiten verrichten.

04] Der Lenker der Leibesglieder ist der Verstand des Herzens und sein Wille; denn der Leib für sich hat weder einen Verstand noch einen Willen, außer die Seele geht durch ihre weltlichen und sinnlichen Gelüste selbst ins Fleischliche über und verliert sich also sehr in ihrem Fleische, daß sie darin das Bewußtsein ihres geistigen Ichs verliert. Dann freilich ist auch ihr ganzer Verstand samt dem Willen ein völlig fleischlicher geworden. In diesem Falle aber ist dann die Seele nahe so gut wie völlig tot, und es kommt ihr wie ein Wahnwitz vor, so sie von einer pur geistigen Selbständigkeit und von einem geistigen Leben nach dem Tode des Leibes etwas vernimmt.

05] Aber selbst solch eine Fleischseele stirbt eigentlich nach dem schmerzvollen Abfalle des Leibes nicht, sondern lebt fort in der Geisterwelt; aber ihr Fortleben ist dann ein ebenso mageres wie ihr Erkennen und Selbstbewußtsein in einer rein geistigen Sphäre. Nun, solch eine Seele lebt dann jenseits freilich nur so wie in einem etwas helleren Traume fort und weiß oft nicht, daß sie je in einer anderen Welt schon einmal gelebt hat, sondern sie lebt und handelt ihrer gewohnten Sinnlichkeit gemäß. Und wird sie von helleren, sich ihr offenbarenden Geistern dahin ermahnt und belehrt, daß sie sich nun in einer anderen und geistigen Welt befindet, so glaubt sie das doch nicht und verhöhnt und verspottet die, die ihr die Wahrheit anzeigen.

06] Es braucht eine sehr lange Zeit, bis jenseits eine solche verweltlichte und verfleischlichte Seele zu einem helleren Erkennen kommt. Wenn sie aber heller und heller wird, so kehrt ihre Erinnerung auch nach dem Grade ihres Hellerwerdens zurück, und sie kann dann auch alles sehen, hören und fühlen, was da auf und über und in der Erde geschieht.

07] Ist aber eine Seele schon hier auf dieser Welt durch die geistige Wiedergeburt ganz vollendet geworden und dadurch schon hier zur Anschauung und klaren Wahrnehmung der rein geistigen und himmlischen Dinge gelangt, so gelangt sie auch zur richtigen und vollwahren Anschauung der gesamten materiellen Schöpfung in sich und weiß um alles, was sogar im Monde, auf und in der Sonne geschieht, was die Sterne sind und wozu sie erschaffen worden, und was da alles auf und in ihnen ist.

08] Wenn aber solch eine vollendete Seele erst von ihrem schweren Leibe erlöst worden ist, so ist ihr Schauen dann völlig ein gottähnliches, und sie wird dann - so sie es will - allsehend, allhörend, allwissend und allfühlend sein. Wenn aber das, wie soll sie deshalb, weil sie gottähnlich selbst Schöpferin ihrer Wohnwelt sein kann und auch sein wird, alle ihre Rückerinnerung verlieren können?

09] Damit du aber siehst und noch tiefer erkennst, daß das von Mir dir nun Gesagte seine vollste Realität hat, so will Ich nun auf einige Augenblicke deine und noch einiger Anwesenden Seelen frei machen, und du kannst in solch einem Zustande dann sagen, was du gesehen und was du gehört und wahrgenommen hast, - Und also sei es!«

10] Hier wurden mehrere in einen hellen magnetischen Zustand versetzt, und sie befanden sich zuerst in einer ihnen unbekannten Gegend, die allen ungemein wohl gefiel, so daß sie Mich baten, daß Ich sie nun nur gleichfort in dieser himmlisch schönen Gegend belassen solle; denn sie wünschten gar nicht mehr, in diese irdische Welt zurückzukehren.

11] Ich fragte sie aber, ob sie nicht auch diese Welt sähen.

12] Da antworteten alle: »Ja, Herr; aber wir sehen sie wie hinter uns, und wir sehen sie auch wie durch und durch!«

13] Ich fragte sie, ob sie die große Stadt Rom sähen.

14] Alle bejahten das und beschrieben alles darin, was sie sahen.

15] Als die anwesenden Römer das hörten, da konnten sie sich nicht genug verwundern, wie getreu und genau die Verzückten die Gestalt Roms schilderten, obschon keiner von ihnen je in Rom war, noch jemals ein Bild von dieser Stadt gesehen hatte.

16] Und Ich fragte sie, ob sie auch den äußersten Osten von Asien sähen.

17] Und sie alle gaben die Antwort: »Ja, Herr, wir sehen auch das förmliche Ende dieses großen Weltteils; denn weiter nach Osten sehen wir nichts als pur Wasser und Wasser mit Ausnahme einiger Inseln! Aber das ist ein großes Reich, und wir sehen auch eine ungeheuer große Stadt, die von einer Tagereise langen Mauer eingeschlossen ist, und darin unzählig viele Menschen!«

18] Sagte Ich: »Wie sind sie bekleidet?«

19] Hier beschrieben sie schnell die Tracht dieser Menschen auf ein Haar, und einer von den alten Pharisäern, nachher Judgriechen, verwunderten sich hoch darüber, weil er Gelegenheit gehabt hatte, mehrere Chinesen im äußersten Osten von Hochindien zu sehen.

20] Darauf ließ Ich sie einen Blick in den Mond tun, und sie beschrieben kurz diese traurig aussehende kahle Welt, in der sie außer einigen Gruppen von traurig aussehenden und graufarbigen Kobolden nichts ersähen. Es sei da kein Baum und kein Gras und so auch kein Tier ersichtlich.

21] Hierauf weckte Ich sie wieder zurück mit der Belassung der vollen Rückerinnerung an all das Gesehene.

22] Als sie sich also wieder völlig im natürlichen Zustande befanden, da sagte Nikodemus: »O Herr, das ist ja doch wunderbar über wunderbar! Wir waren hier, sahen Dich und alle andern genau, und doch sahen wir auch alles höchst genau und klar, was wir beschrieben, und ich habe nun wahrhaftest selbst erfahren, wie unbeschreibbar heller das Schauen der freien Seele ist als das im Verbande mit dem Leibe. Aber wir sahen nicht nur alles heller in der Nähe wie auch in der größten Ferne, sondern wir hörten auch alles. Und so wir einen Baum oder ein Haus oder ein Schiff auf dem Meere oder auch einen Menschen oder ein Tier sahen, so sahen wir es ganz nach der natürlichen Außenform; aber wir sahen das alles auch durch und durch, obschon der Gegenstand nicht durchsichtig war.

23] Ja, bei den Menschen sahen wir so, gar ihre Gedanken, die anfangs als kleine Bildlein in ihren Herzen ersichtlich wurden. Als solche in das Haupt gleich einem Mückenschwarm aufstiegen, da wurden sie heller und ausgeprägter, stiegen wieder zum Herzen zurück, wurden da größer und entschiedener und traten darauf bald außer die Sphäre des Menschen, wurden größer und größer und bildeten eine ordentliche Welt um den Menschen. Doch bei den Tieren war davon nichts zu entdecken.

24] Aber was ist denn mit dem armseligen Monde? Daß er eine materielle Welt ist, das ist klar, - aber so kahl, wüst und öde wie die höchste Spitze des Berges Ararat! Wer sind denn jene armselig kleinen, grauen Kobolde? Sie haben wohl so ziemlich die Gestalt eines Menschen; aber dabei scheinen sie doch nur mehr einer Tierart jenes Weltkörpers anzugehören, obwohl sie so gewisserart denn doch mehr Geister als irgend materielle Wesen sein mögen. Denn ich bemerkte, wie sich ein solcher Kobold bald sehr vergrößerte und sich bald wieder ganz puppenklein machte. Wäre so ein Kobold rein materiell, so meine ich, daß ihm solch eine Vergrößerung und Verkleinerung seines Leibes wohl nicht so leicht möglich wäre. - Also, Herr und Meister, was ist es mit dem Monde?«

25] Sagte Ich: »Das, Mein Freund, wirst du noch früh genug erfahren und kannst dich darüber mit Meinen Jüngern besprechen, die von allem dem schon eine ganz genaue Kunde haben. Ich aber habe euch noch viel Wichtigeres zu zeigen und zu sagen, - aber das erst nach dem Morgenmahle. Jetzt aber werden ohnehin sogleich die dreißig Griechen heraufkommen, ein Morgenmahl nehmen und sich über so manches mit dem Jünglinge dort besprechen. Sie kommen früher, weil die nächtlichen Erscheinungen sie auch erregt haben.«

26] Sagte Nikodemus: »Ganz gut, ganz gut, Herr und Meister, nur allein Dein Wille geschehe! Bloß das möchte ich zuvor noch erfahren, wer dieser gar so wunderherrliche Jüngling ist, woher er ist, und wie er heißt.«

27] Sagte Ich: »Das wirst du schon bei dieser Gelegenheit erfahren! Sein Name ist Raphael.«

28] Sagte Nikodemus: »Also lautet ja nach der alten Schrift der Name eines Erzengels! Am Ende ist das gar der Erzengel selbst? Wenn das, so könnte mich da eine große Furcht ergreifen! Ja, ja, ich habe das ja schor gleich anfangs gesagt!«

29] Sagte Ich: »Und Ich habe dir nicht widersprochen, sondern dir und euch allen bis jetzt gezeigt, was und wer ein Engel Gottes ist. Wenn aber also, warum sollst du nun vor diesem Engel Furcht bekommen, da du doch auch berufen bist, selbst ein Erzengel zu werden? Damit du aber über diesen Engel nicht in einem Zweifel stehst, so wisse, daß er Henochs Geist ist! Sein Leib ist nun Mein Wille. Darum sagte Ich dir ja, daß es in den Himmeln keine andern Erzengel gibt und je geben wird als die nur, welche zuvor schon im Fleische auf einer Welt gelebt haben. - Aber nun nichts Weiteres mehr davon; denn die Griechen kommen bereits! Mache Mich aber niemand ruchbar vor ihnen; denn ihre Zeit ist noch nicht da, Mich Selbst jetzt schon kennenzulernen!«

30] Darauf begab Ich Mich ein wenig fürbaß, und die ankommenden Griechen lagerten sich im nächsten Zelte. Daß das Morgenmahl für die dreißig Griechen schon bereitet auf dem Tische im Zelte stand, braucht kaum erwähnt zu werden. Es wurde von ihnen auch bald verzehrt.«



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