Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


23. Kapitel: Frage des Römers nach dem Messias.

01] Sagte Agrikola: »Ja, du meine liebe Tochter Jerusalems, auf solch eine Äußerung von dir läßt sich vorderhand freilich wohl nicht gar zu vieles einwenden; aber es wird schon noch eine Stunde kommen, in der du von jenem herrlichen Manne ganz anders urteilen und reden wirst.

02] Hast du denn als Jüdin noch nie von einem Messias der Juden reden hören, der da kommen solle und werde, um zu erlösen Sein Volk aus den ehernen Händen der Tyrannei der Sünde, die nun alle Welt mit der ewigen Vernichtung überhart bedroht? Könnte denn nicht so zufälligerweise eben jener herrliche Mann der verheißene Messias der Juden und zugleich aller Menschen auf der ganzen Erde sein? - Was meinst denn du dazu?«

03] Sagte die Jüdin: »O Freund, solch eine Weissagung klingt wohl gar sehr tröstlich, doch alle unsere Weissagungen sind so gestellt, daß sie erstens von den Priestern nicht verstanden werden und zweitens von uns Laien noch um sehr vieles weniger! Dazu ist das alles in den Weissagungen der Propheten so unbestimmt gestellt, daß kein Mensch unseresgleichen daraus klug werden kann, wann ein solcher Messias kommen wird, wie Er aussehen, was für Eigenschaften Er besitzen und woran man Ihn am ehesten und leichtesten erkennen wird.

04] Einmal ist Er ein Kind, das andere Mal ein Lamm, der Löwe von Juda, und wieder ein Hoherpriester in Ewigkeit - und das nach der Weise Melchisedeks -, Nachkomme Davids, ein König der Juden ohne Ende, und so ist Er noch unter verschiedenen anderen Namen und Bedeutungen verheißen, so daß man sich am Ende gar nicht mehr auskennen kann, als was und in welcher menschlichen Form, Art und Würde Er in diese Welt zu uns Juden kommen wird.

05] Übrigens aber hätte ich auch wahrlich schon ganz und gar nichts dawider, so eben jener herrliche Mann dort der wahre Messias wäre; nur verstehe ich das nicht, daß eben unsere Priester, die doch zuallernächst - des Volkes wegen, das ihnen zuerst glaubt - davon in der vollsten Kenntnis sein sollten, sich um diesen schier wahren Messias ganz und gar nicht zu kümmern scheinen! Denn er war ja mit dir unten am großen Stadttor, als du Hoher mit dem Tempelobersten wegen meines Bruders gerechtet hast, und siehe, jener schien ihn gar nicht zu kennen! Wie kommt denn das?«

06] Sagte Agrikola: »Das kommt daher, weil die Templer zu sehr herrsch- und habgierig sind und für nichts anderes irgendeinen Sinn haben als nur fürs irdische Wohlleben aller Art und Gattung, wie du solches selbst erfahren hast. Um das zu erreichen, nehmen die Templer ihre Zuflucht zu allen möglichen Lügen und Betrügereien und sind, wie ich mich selbst überzeugte, Feinde jeder Wahrheit und somit auch jedes Wahrhaftigen. Sie führen den Namen Mosis und der andern Propheten wohl im Munde, aber deren Lehren und Gesetze verachten sie und geben ihre schlechten und selbstsüchtigen Satzungen für die des Moses und der andern Propheten dem Volke, das sie dadurch quälen, daß sie ihm allerlei unnötige Lasten aufbürden und es geistig und physisch bedrücken.

07] Dieser unser herrlicher Mann aber ist die Liebe, die Wahrheit und die höchste Weisheit selbst und zeugt von der großen Schlechtigkeit solcher Pharisäer, die sich da als Priester und Schriftgelehrte dem Volke vorstellen und sich als seiende Diener Gottes, an den sie nicht glauben, und den sie auch gar nicht kennen und auch nicht erkennen wollen, über alles Maß hoch verehren und schon förmlich anbeten lassen, und so sind sie Ihm feind und wollen von Ihm nichts hören und wissen, was nur zu offen am Tage liegt.

08] Ich selbst habe mich vor ein paar Tagen alsbald nach meiner Ankunft überzeugt, wie sie Ihn, als Er im Tempel lehrte, steinigen wollten, weil Er ihnen die volle Wahrheit gepredigt hat. Wenn du nun das weißt, so wirst du schon auch den Grund einsehen, warum eure Tempelpriester diesen herrlichen Mann nicht als den verheißenen Messias und Heiland der Welt annehmen wollen, - was aber für die Hauptsache nichts ausmacht; denn ob diese eure Templer das annehmen oder nicht, so bleibt Er dennoch Der, der Er der vollsten Wahrheit nach ist. - Begreifst du, meine holde Tochter, nun das wohl?«

09] Sagte die Jüdin: »O ja, das begreife ich nun schon ganz gut; du wirst schon ganz recht haben! Für die da unten könnten nun schon Moses und Elias sichtbar aus den lichten Himmeln herabkommen und ihnen ihre großen Schändlichkeiten zeigen und sie zur wahren Buße ermahnen und sie dann hierher führen und ihnen zeigen in jenem herrlichen Manne den verheißenen und gekommenen Messias, so würden sie selbst diesen zwei größten Propheten nicht glauben, sondern sie nur verfolgen und lästern! Oh, das ist uns eine nur zu bekannte Sache! Aber nun lassen wir ab von unserem Gespräch; denn ich merke es, daß auch jemand anders etwas reden möchte, und der herrliche Mann scheint etwas im Sinne zu haben, und auf das müssen wir wohl sehr achthaben!«



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