Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


9. Kapitel: Das Bekenntnis des scheinbaren Verbrechers.

01] Hier richtete sich der Verbrecher auf und sagte voll Mutes ganz frei und ohne allen Hinterhalt: »Mein großer und mächtiger und gerechter Herr und Richter! Ich bin ebensowenig irgendein Verbrecher wie du und der, welcher mit dir ist!

02] Ich bin ein armer Tagewerker und muß mit meinen Händen erhalten und ernähren Vater und Mutter, welche beiden Eltern stets krank und nahe ganz arbeitsunfähig sind. Dazu habe ich noch eine jüngere Schwester, die erst siebzehn Jahre und acht Monde alt ist. Auch diese muß ich ernähren, weil sie sich selbst nichts verdienen kann, da sie daheim die kranken Eltern pflegen muß. Diese meine gar liebe und brave Schwester, obschon sehr arm, ist aber von Natur aus sehr schön und reizend und ist als das den Templern leider nicht unbekannt, und es haben sich einige schon eine große Mühe gegeben, um sie zu verführen; aber sie richteten dennoch nichts aus und machten mir und den Eltern Drohungen, sagend: "Na warte, du stolzes Bettelvolk, du sollst uns bald zahmer und demütiger werden!"

03] Ich suchte am nächsten Tage in den mir schon bekannten Häusern Arbeit, und man sagte mir, daß ich von den Priestern darum für einen großen Sünder erklärt worden sei, weil ich mit meiner leiblichen Schwester Blutschande triebe. Man wies mir die Tür, und ich wußte mir nicht zu helfen.

04] Ich ging darauf zu etlichen Heiden und stellte ihnen meine große Not vor. Diese beschenkten mich mit etlichen Pfennigen, damit ich für uns doch etwas Brot kaufen konnte. Doch die etlichen Pfennige waren bald verzehrt, und ich und die Meinen hatten schon zwei Tage nichts zu essen, und ich konnte mir auch nichts mehr verdienen und auch von niemand mehr etwas erbitten, woran aber auch diese Feiertage viel schuldeten, weil man in dieser Zeit auch auswärts keine Arbeit bekommen kann. Da dachte ich mir: "So du als schuldloser Jude das tätest, was einst David tat, als es ihn sehr hungerte, so wäre das vor Gott ja doch keine so grobe Sünde!?"

05] Und ich ging gestern am späten Nachmittag, von großer Not getrieben, in den Tempel, kam zu den Schaubroten, griff nach einem ersten und für meinen Hunger besten Laibe und wollte mich sättigen und einen Teil meinen ebenso hungrigen Eltern und der nicht minder hungrigen Schwester bringen; aber da entdeckten mich alsbald die lauernden Wächter, schrien Frevel über Frevel und schleppten mich unbarmherzigst vor die Priester. Diese erkannten mich bald und schrien: "Ha, das ist ja der stolze Bettler, der Blutschänder und nun Frevler an den Schaubroten! Darum werde er morgen noch vor der Mitte des Tages gesteinigt!"

06] Darauf schleppte man mich unter allerlei Mißhandlungen und fürchterlichsten Beschimpfungen in ein finsteres Loch, darin ich bis heute schmachtete. Wie man mich von dort bis hierher geschleppt hat, das hast du, hoher Richter, selbst gesehen. Wie es aber den armen Eltern und meiner armen Schwester ergehen wird oder schon ergangen ist, das wird Jehova wissen!

07] Hoher Richter! Das ist alles, was ich dir von meinem Verbrechen als völlig wahr sagen kann! Oh, richte mich nicht so hart, wie mich besonders dieser Oberste gerichtet hat! Denn offen gesagt, eben der war es auch, der meine keusche Schwester verführen wollte, - was ich beschwören kann vor Gott und vor allen Menschen! Ich kann dir dafür auch getreuest wahre Zeugen angeben, die diesen gewiß traurigen Vorfall mit Eid bestätigen werden!«

08] Sagte Agrikola, ganz ergrimmt über den Templer: »Mein Freund! Wer so offen spricht wie du, bei dem bedarf es wahrlich nicht vieler anderer Beweise! Zudem habe ich hier an meiner Seite einen gar gewichtigen Zeugen zur Steuer der Wahrheit deiner Aussage. Es wird aber sogleich jemand dasein, der deine Eltern und deine Schwester ganz gestärkt hierherschaffen wird - und dann noch jemand anders, den ich für diesen Templer sehr vonnöten haben werde!«



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