Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


6. Kapitel: Jesus über Handel und Wucher

01] Nach dieser gar feierlichen und jedes Herz rührenden Handlung, die keiner von allen Anwesenden ohne Tränen in den Augen ansehen konnte, sagte Ich zu Raphael: »Nun führe du sie hinauf und versorge sie vor uns; so wir aber dann nachkommen werden, dann erst werde für uns gesorgt!«

02] Nun führte Raphael die Freien hinauf, und als sie in den großen Saal kamen, da waren schon drei große und lange Tische gedeckt, und diese noch ganz wahren Kinder aßen die für sie bereiteten Speisen mit vieler Lust und Freude und tranken auch etwas Wein mit Wasser und wurden dabei voll Freude und voll guter Dinge.

03] Wir aber verweilten noch am Wege und sahen uns da die vielen herankommenden Kaufleute und Krämer an, die mit allerlei Waren, Tieren und Früchten auf der großen Straße in die Stadt zogen.

04] Da sagte der Römer zu Mir: »Herr, das sind doch sehr viele Juden! Wissen sie denn noch nichts von Dir? Es ist doch sehr sonderbar, wie gleichgültig die Menschen an uns vorüberziehen!«

05] Sagte Ich: »So wie diese da werden noch viele an Mir vorüberziehen, werden Mich nicht ansehen und nicht erkennen, sondern sie werden in ihrem Welttume fortwühlen, bis der Tod sie ins Grab werfen wird und ihre Seele in die Hölle! Derlei Händler, Kaufleute, Krämer und Mäkler sind zu weit von allem Geistigen entfernt und sind das unter der besseren Menschheit, was da sind die Schmarotzerpflanzen auf den Ästen der edlen Fruchtbäume und das Unkraut unter dem Weizen. Lassen wir sie ziehen, ihrem Grabe und Tode entgegen!«

06] Sagte Agrikola: »Aber mein Herr und mein Gott! Es muß aber doch unter den Menschen der wechselseitige Kauf- und Verkaufhandel bestehen, da sonst bei den Menschen schlechter und magerer Länder das Leben ganz und gar nicht möglich wäre! Ich kenne in Europa Länder, die unbeschreibbar gebirgig sind, nichts als Felsen über Felsen; den dort lebenden Menschen muß durch den Handel der meiste Lebensbedarf zugeführt werden. Hebe diesen notwendigen Verkehr auf, und ein ganzes, großes Volk stirbt vor Hunger! Da mußt Du selbst als Herr Himmels und aller Welten einsehen, daß derlei Menschen nur durch einen gewissen Handelsverkehr leben und bestehen können. Mich wundert es daher sehr, daß Deine höchste, göttliche Weisheit das platterdings verdammt! Denn weißt Du - sonst alle erdenklichste Achtung vor Deiner reinsten Göttlichkeit! -, aber für dieses Dein Urteil kann ich Dir mit meinem sonst ganz gesunden Menschenverstande keinen Beifall zollen!«

07] Sagte Ich: »Freund, was du weißt und verstehst, das - erlaube es Mir - habe Ich schon lange eher verstanden, bevor noch eine Urzentralsonne in einer Hülsenglobe leuchtete!

08] Wahrlich, Ich sage es dir: Ich eifere nicht gegen den gerechten und höchst wohltätigen Verkehr zwischen Menschen und Menschen, - denn so will Ich es ja Selbst haben, daß ein Mensch von dem andern in einer gewissen Beziehung abhängen soll, und da ist ein gerechter Verkehr zwischen Menschen und Menschen ja ohnedies in der höchsten Ordnung der Nächstenliebe; aber das wirst du hoffentlich denn doch wohl auch einsehen, daß Ich dem pur allerlieblosesten Wucher kein lobend Wort reden kann! Der redliche Kaufmann soll für seine Mühe und Arbeit seinen entsprechenden Lohn haben; aber er soll nicht für zehn Groschen hundert Groschen und noch mehr gewinnen wollen! Verstehst du dieses? Ich verdamme nur den Wucher, aber nicht den notwendigen, rechtlichen Verkehr. Verstehe solches wohl, auf daß du nicht in eine üble Versuchung fallest!«

09] Hier bat Mich der Römer um Vergebung und gestand ein, daß er sich sehr und gar grob geirrt habe.

10] Hier trat Lazarus zu Mir und sagte: »Herr, da wir nun ohnehin uns in die Höhe begeben werden, da hier wohl nicht besonders viel mehr zu machen sein wird, so möchte ich von Dir nun erfahren, was denn da mit dem wunderbaren Jünglinge ist! Wer und woher ist er denn? Seiner Tracht nach scheint er ein Galiläer zu sein; aber wann ist er denn zu solch einer Weisheit und Wundertatkraft gelangt? Der Mensch ist seinem Ansehen nach kaum sechzehn Jahre alt - und übertrifft Deine alten Jünger! Wolle mir darüber doch auch eine Auskunft geben!«

11] Sagte Ich: »Steht es denn nicht in der Schrift: "In derselben Zeit werdet ihr die Engel Gottes vom Himmel zur Erde steigen sehen, und sie werden den Menschen dienen"? Wenn dir solches bekannt ist, so wirst du bald und leichter einsehen, was es mit dem Jünglinge für eine Bewandtnis hat. Behalte das nun vorderhand für dich; denn alle die andern müssen selbst darauf kommen! Meine alten Jünger kennen ihn schon, dürfen ihn aber auch nicht vor der Zeit ruchbar machen.

12] Du meintest, daß wir uns nun bald in deine Herberge begeben sollen, doch dazu wird es nach einer Stunde auch noch Zeit sein! Nun aber wollen wir noch hier an dieser Straße verharren; denn es wird bald etwas vorkommen, das unsere Gegenwart sehr benötigen wird!«

13] Fragte Mich Lazarus, sagend: »Herr, haben wir Schlimmes zu erwarten?«

14] Sagte Ich: »Freund, in dieser Welt und unter diesen Menschen ist wenig Gutes zu erwarten! Siehe, die Zuzüge der Marktleute werden nun schon schwächer, und so werden die Knechte der Pharisäer nun bald einen armen Sünder, der sich vor einer Stunde im Tempel ob seines Hungers an den Schaubroten vergriffen hat, dort an den freien Platz unter der hohen Mauer bringen, um ihn ob seines Frevels zu steinigen! Das aber wollen wir verhüten. Und so weißt du nun schon, warum wir noch hier verweilen.«

15] Es vernahm solches aber auch Agrikola, trat zu Mir hin und sagte: »Herr, ich vernahm Deine Worte, die wahrlich nicht sehr erbaulich klangen! Haben denn die Templer auch ein Jus gladii«? (Schwertrecht; Recht über Leben und Tod) Ich weiß doch um alle die Privilegien, die Rom seinen Völkern gegeben hat; doch von einem solchen Privilegium weiß ich nichts! Ah, um diese Sache werde ich mich wohl um ein sehr bedeutendes näher erkundigen! - Sage Du, Herr und Meister, was an dieser Sache liegt!«

16] Sagte Ich: »Als die Römer Herren von der Juden Länder wurden, durchprüften sie haarklein der Juden Gotteslehre und ihre Satzungen von Moses und von den Propheten und fanden auch, daß dem Tempel, das heißt den Priestern, von Moses aus das Recht eingeräumt ist, gewisse gar große Verbrecher zu Tode zu steinigen. Doch die Priester selbst haben kein Recht, jemanden zum Tode zu verurteilen, sondern sie haben den Verbrecher den Gerichten zu überantworten, und diese haben dann nach der Priester treuem Zeugnisse zu urteilen und den großen Verbrecher den Steinigern zu übergeben. Allein dies geschah hier nicht, sondern das tun nun die Priester eigenmächtig und zahlen dem Herodes eine Pacht, auf daß auch sie eine Art eigenmächtiges Jus gladii haben, mit dem sie den größten Mißbrauch treiben, wie es nun soeben der Fall sein wird. Aber nun heißt es, ganz gehörig auf der Lauer zu sein; denn nun werden sie auch gleich dasein!«



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