Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7
223. Kapitel: Der Weg zur geistigen Vollendung.
01] (Der Herr:) »Als alle diese Meine Worte vernommen hatten, sagten sie unter sich: "Er hat vollkommen recht, und es läßt sich Ihm da nichts einwenden; aber wir sind schon von Geburt an zu tief in die Welt hineinversenkt worden und werden uns nun von ihr schwer mehr völlig loslösen können. Nach Seiner ganz wohlbegründeten Aussage muß sich ein jeder durch seine ganz freiwillige Selbsttätigkeit aus dem materiellen Zustand in den freien geistigen überheben und kann sich dabei auf keine wunderbare Beihilfe des wahren Gottes irgendeine besondere Hoffnung machen, weil der Mensch dabei schon eine Art Nötigung seines ewig frei bleiben sollenden Willens erleiden würde, Zur puren Selbsttätigkeit aber haben Menschen unseresgleichen offenbar zu wenig Kraft, Mut, Willen und eine rechte beharrliche Geduld, und so wird es jedem von uns schwer werden, auf den uns von Ihm gezeigten Wegen ohne Müdigkeit und ohne mehrfaches Umfallen fortzukommen.
02] Gut wäre die Erreichung des rein geistigen Zustandes allerdings und wäre endlos mehr wert als alle Schätze der ganzen Erde; aber der Weg dazu scheint ein sehr langer und holpriger zu sein. Es wäre darum zum Schlusse etwa gar nicht überflüssig, so wir Ihn noch fragten, in einer wie langen Zeit man bei einem gewissenhaft treuen und emsigen Wandel auf Seinen angeratenen Lebenswegen in den vollen reingeistigen Zustand gelangen kann. Denn man arbeitet sicher um vieles leichter, so man sich zum voraus bei einer Arbeit dahin eine Rechnung machen kann, in welcher Zeit sie bei einem gehörigen Fleiße völlig beendet werden kann; aber an einem Werke arbeiten, bei dem man von der zu seiner Vollendung nötigen Arbeit kein Ende und so auch nicht die Zielerreichung zum voraus absehen kann, ist und bleibt eine schwere Sache. Geben wir Ihm die vorerwähnte Frage!"
03] Man gab Mir die Frage, und Ich antwortete darauf, sagend: "Geistige Arbeiten und geistige Wege werden nicht nach Stunden und Ellen gemessen, sondern pur nach der Kraft des Willens, Glaubens und der Liebe zu Gott und zum Nächsten.
04] Wer sich auf einmal so weit selbst verleugnen könnte, von aller Welt ganz abzulassen, seine Schätze - im rechten Maße - nur den Armen widmete aus purer Liebe zu Gott, und kein Wesen triebe mit dem Fleische der Weiber, der würde wahrlich in einer kürzesten Zeit schon als vollendet dastehen! Wer aber offenbar eine längere Zeit dazu vonnöten hat, um sich von allen irdischen Schlacken und Anhängseln zu reinigen, bei dem muß der allerbeseligendste Zustand der wahren geistigen Vollendung auch länger auf sich warten lassen.
05] Ihr aber seid hohe Staatsmänner und müsst erfüllen euren Beruf; das aber ist vor Gott kein Hindernis, das euch davon abhalten könnte, recht zu wandeln auf den euch von Mir gezeigten Wegen, sondern das gibt euch erst recht die Mittel an die Hand, durch die ihr um so leichter und um so eher zur wahren geistigen Vollendung gelangen könnet.
06] Aber haltet nicht dafür, als wärt ihr das Amt und des Amtes Ehre und Ansehen! Des Amtes Ehre und Ansehen ist das Gesetz, und ihr seid nur dessen Handlanger. So ihr aber getreu seid und gut und gerecht, so steht auch ihr selbst in der Ehre und im Ansehen des Gesetzes, und des Gesetzes Verdienst an den Menschen, die durch das Gesetz geschützt und ruhig und sicher sind, kommt dann auch euch vor Gott zugute.
07] Ihr aber seid auch überaus reiche Menschen; aber auch euer großer Reichtum ist kein Hindernis zur Erreichung des rein geistigen Zustandes, wenn ihr mit demselben mit wahrer Liebe zu Gott und zum Nächsten gleich guten und weisen Vätern im Verhältnisse zu ihren Kindern wohl umgeht und bei der Unterstützung der Armen nicht karg und geizig umgeht; denn mit welchem Maße ihr eure Liebe den Armen werdet angedeihen lassen, in demselben Maße wird es euch Gott geistig allzeit und im Notfalle auch naturmäßig entgelten.
08] So ihr aber meinet, daß Gott dem Menschen, der auf dem Wege zum Reiche Gottes und Leben des Geistes emsig und ernstlich fortwandelt, gar nicht helfe, so er dann und wann müde und schwach wird, da irret ihr euch bedeutend. Ich sage es euch: Wer einmal ernstlich diesen Weg betreten hat, dem wird auch ohne sein Wissen von Gott aus geholfen, daß er weiter und endlich sicher auch ans Ziel kommt.
09] Gott wird die Einung der Seele mit dem Geiste aus Ihm freilich wohl nicht mit Seiner Allmacht erzwingen, aber Er wird des Menschen Herz stets mehr erleuchten und es erfüllen mit wahrer Weisheit aus den Himmeln, und der Mensch wird dadurch geistig wachsen und kräftiger werden und wird alle Hindernisse, die sich ihm zu seiner größeren Probung noch irgendwo in den Weg stellen könnten, stets leichter und zuversichtlicher überwinden.
10] Je mehr Liebe ein Mensch aber zu Gott und zum Nächsten in sich wird lebendig zu fühlen anfangen, und je barmherziger er in seinem Gemüte wird, desto größer und stärker ist auch schon der Geist Gottes in seiner Seele geworden. Denn die Liebe zu Gott und daraus zum Nächsten ist ja eben der Geist Gottes in der Seele des Menschen. Wie diese zunimmt und wächst, also auch der Geist Gottes in ihr. Ist am Ende der ganze Mensch zur reinen und allerwohltätigsten Liebe geworden, so ist auch schon die völlige Einung der Seele mit dem Geiste aus Gott erfolgt, und der Mensch hat für ewig das von Gott ihm gestellte allerhöchste Ziel des Lebens erreicht.
11] Gott Selbst ist in Sich ja die allerhöchste und reinste Liebe, und also ist es auch der jedem Menschen zukommende Geist aus Gott.
12] Wird die Seele durch ihr freies Wollen ganz ähnlich der Liebe des Geistes aus Gott, so ist es dann ja auch klar, daß sie mit dem Geiste aus Gott in ihr eins wird. Wird sie aber das, dann ist sie auch vollendet. Nun, dafür aber läßt sich keine genaue Zeit bestimmen, sondern das muß der Seele ihr eigenes Gefühl sagen und anzeigen.
13] Die wahre, reine und lebendige Liebe ist in sich höchst uneigennützig; sie ist voll Demut, ist tätig, ist voll Geduld und Erbarmung; sie fällt niemals jemandem unnötig zur Last und duldet alles gern; sie hat kein Wohlgefallen an der Not ihres Nächsten; aber ihre rastlose Mühe ist, daß sie helfe jedermann, der einer Hilfe bedarf.
14] Also ist die reine Liebe auch im höchsten Grade keusch und hat keine Freude an der Geilheit des Fleisches, aber eine desto größere Lust an der reinen Gesittung des Herzens.
15] Wenn des Menschen Seele auch also beschaffen sein wird durch ihr eigenwilliges Streben und Trachten, dann ist die Seele auch schon gleich ihrem Geiste und ist also denn auch in Gott vollendet.
16] Und so wisst ihr nun ganz genau, was ihr zu tun habt, um zur reingeistigen Vollendung zu gelangen. Wer sich alles dessen emsigst befleißen wird, der wird auch am ehesten vollendet werden.
17] Wer sich aber emsig und ernstlich befleißen wird, diesen Weg zu wandeln, dem wird auch allzeit und höchst wahr und sicher von Gott aus geholfen werden, daß er das allerhöchste Lebensziel erreichen wird, dessen ihr alle völlig versichert sein könnet; denn kam Gott euch nun schon durch Mich zu Hilfe, wo ihr den Weg kaum von weiter Ferne hin habt dahin zu bemerken angefangen, daß es etwa einen solchen Weg geben könne, um wieviel mehr wird Er euch erst dann zu Hilfe kommen, wenn ihr auf dem Wege selbsttätig wandeln werdet! - Habt ihr das verstanden?"
18] Über diese Meine Belehrung waren alle voll Staunen, und selbst Joseph sagte: "Also weise und wahr habe ich ihn selbst noch kaum je reden hören!"
19] Hierauf wandte er sich zu Mir und sagte: "Aber warum hast du denn unsere Priester noch nie auf eine solche Weise belehrt? Wenn einer von ihnen hier zugegen gewesen wäre, so hätte er von dir sicher auch eine andere Meinung bekommen!"
20] Sagte Ich: "Die Fische im Meere getraue Ich Mich eher zu bekehren denn unsere Rabbis! Ich rate dir auch, daß weder du noch Jakobus daheim von dem etwas ruchbar macht, was hier sich alles zugetragen hat, denn da hättet ihr dann eine schwere Not mit den Rabbis. Denn ihre Herzen sind verstockter als ein härtester Stein, und ihre Seelen sind um vieles unflätiger denn ein Schwein in einer stinkenden Pfütze, und lieber erbaue Ich noch tausend Schweinestallungen für die Säue der Griechen und anderer Beiden allerorten, als daß ich ein Wort verschwenden möchte an unsere allerdümmsten, finstersten und böswilligsten Rabbis in Nazareth, Kapernaum und Chorazin! Es wird aber schon noch eine Zeit kommen, in der Ich auch alldort Meinen Mund auftun werde, - aber zu ihrem Troste nicht, sondern zum Gericht über sie, wenn ihr böses Maß voll werden wird!"«