Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 218


Agrikola spricht über das Wesen der Seele.

01] (Der Römer:) ”Seht, die Seele als eine geistige Substanz ist ganz vollkommen Mensch, sowohl der Gestalt als auch allen Gliedern und Bestandteilen des Leibes nach! Und wäre sie das nicht, so könnte sie auch nicht von ihrem Leibe den möglich vollkommenen Gebrauch machen. Die Hände der Seele befinden sich in den Händen des Leibes, ihre Füße in des Leibes Füßen, und so fort alle Teile der Seele in den entsprechenden Teilen des Leibes. Wird der Leib irgend krank, so ist die Seele auch in den kranken Leibesteilen gegenwärtig und ist sehr bemüht, dieselben wieder gesund zu machen. Gelingt ihr das nicht, so wird sie darin untätig, und die Folge davon ist, daß dann ein solcher Leibesteil ganz gelähmt, nahezu gefühllos und somit untätig erscheint. Das ist eine gute und wahre Lehre aller alten und auch neuen Psychologen. Aber es fragt sich hier, wie solche Weise hinter ein solches Geheimnis kamen. Diese Frage ist ganz leicht zu beantworten.

02] Zuerst führt einen nüchternen Denker die Vernunft darauf; denn so die Seele völlig das eigentliche Lebensprinzip des Menschen in allen seinen Teilen ist, so muß sie auch innerhalb aller Teile des Leibes zugegen sein, da sonst gewisse Teile des Leibes offenbar kein Leben hätten und ebensogut tot wären, wie dann der ganze Leib tot ist, so ihn die Seele verlassen hat. Da aber der ganze Leib tätig ist, so muß auch als Grund der Lebenstätigkeit die Seele im ganzen Leibe ausgebreitet sein. Und so ist die Seele nur allein schon nach den untrüglichen Gründen eines reinen und gesunden Menschen unzweifelhaft ganz Mensch in geistiger Substanz und hat ihren Sitz - nota bene - im ganzen Leibe.

03] Aber es könnte dazu jemand sagen: 'Ja, diese Sache läßt sich ganz gut hören; aber wo sind dafür die tastbaren Beweise, die allein als haltbare Zeugen für die volle Wahrheit der Vernunftgründe dienen können?'

04] Oh, auch solche tastbaren Beweise haben wir aus den vielfachen Erfahrungen aller Zeiten, Länder und Völker! Zunächst gelten natürlich jene, die man als ein gesunder und wahrheitsliebender Mensch selbst gemacht hat, und dann können die Erfahrungen vieler anderer Menschen die eigene Erfahrung unterstützen und ihre Wahrheit bestätigen.

05] Die sonderbare Geschichte von Saguntus in Hispania wisst ihr. Der fortlebende Geist meines Vaters war ganz so Mensch, wie er es bei seinen Leibeslebenszeiten war. Das beweist, daß er als Seele auch im Leibe das sein mußte, nämlich ganz vollkommen ein Mensch mit Kopf, Leib, Händen und Füßen.

06] Aber es ist das nicht die einzige Erfahrung auf diesem Gebiete. Als ich vor mehreren Jahren Ägypten bereisen mußte, da machte ich folgende höchst sonderbare Erfahrung: Ich war mit den meisten dieser meiner Gefährten in Sicilia, um von da zu Schiff nach Ägypten zu steuern. Wir bestiegen am Morgen unser großes und festes Schiff, das schon vielen Stürmen getrotzt hatte. Wir alle empfahlen uns voll Andacht und Inbrunst dem Schutze der Götter und ich geheim noch dem Schutze des Gottes der Juden, den ich aus eurer Schrift kennengelernt hatte. Als wir vom Lande stoßen wollten, da war das Schiff um keinen Preis flottzumachen. Ich ließ sogleich alles auf das sorgfältigste untersuchen, und es fand sich nirgends etwas vor, das das Schiff nur im geringsten im Flottwerden hätte beirren können. Es wurde darauf alles aufgeboten, um das Schiff, das doch auf sehr tiefem Wasser stand, vom Lande zu stoßen; aber das war alles vergebliche Mühe. Ich, mit etlichen dieser meiner Gefährten voll ärgerlicher Gedanken auf dem Verdeck stehend, schaute auf und ab und hin und her und über Bord hinab ins Meer, um vielleicht doch irgendeinen Grund dafür zu entdecken, was uns die Abfahrt verhindere.

07] Da entdeckte ich auf einmal eine weiß gekleidete Mannesgestalt am Ufer des Meeres hin und her wandeln, die mit ihren Augen das Schiff fixierte und nicht aus den Augen ließ. Ich rief mehrere meiner Gefährten zu mir und machte sie auf die Gestalt aufmerksam. Diese meinten, daß dies vielleicht ein Uferzauberer sei, und man werde ihm ein Opfer geben müssen, auf daß er das Schiff loslasse. Wir gingen darum aus dem Schiffe ans Ufer zu der Gestalt hin, die festen Blickes unser wartete. Bei dem vermeinten Zauberer angelangt, fragte ich festen Mutes die Gestalt: 'Du hältst mein Schiff mit deiner Zaubermacht fest. Aus welchem Grunde denn? Verlangst du ein Opfer als Löse des Schiffes von uns? Rede; denn meine Reise nach Ägypten ist dringend!'

08] Die Gestalt sah mich fest und ernst an und sagte laut und wohl vernehmlich: 'Ich bin kein Zauberer und verlange von dir kein Opfer. Aber da du dich dem Schutze des Jehova der Juden empfahlst, so wurde ich hierher gesandt, um dich vor dem Untergange zu beschützen. Denn wenn du heute abfährst, so bist du in der dritten Stunde der Nacht samt dem Schiffe eine Beute des Meeres! Es wird zwanzig Stunden Weges von hier dem Wasser entlang ein großer Sturm wüten. Wehe dem, den seine Wut erreicht! Morgen aber kannst du fahren, und du wirst deine Fahrt glücklich vollenden.'

09] Darauf fragte ich den Geist: 'Wer bist du denn, und wie lautet dein Name?'

10] Da erwiderte der Geist: 'Ich bin dein Urgroßvater gewesen, war ein ehrsamer Patrizier und allzeit gegen jedermann gut und gerecht und bin deshalb nun auch selig, wenn auch noch nicht ganz vollendet. Du wirst auf der Erde noch Großes erleben. Wenn aber das sein wird, da gedenke meiner, der ich dir nun durch die Zulassung des einen allein wahren Gottes solches kundgetan habe!'

11] Darauf verschwand der Geist, und wir blieben am Lande.

12] Nun, das war ein von uns allen gesehener Geist oder die fortlebende Seele eines schon lange verstorbenen und zerstörten Leibes, hatte vollkommene Menschengestalt und sprach wohlvernehmliche Worte zu meinem Heile und bewies eine Kraft in ihrem Willen, gegen die alle unsere physische Kraft in ein pures Nichts verschwand. Diese Erscheinung ist völlig wahr und kann von den meisten dieser meiner Gefährten bezeugt werden. - Gehen wir aber auf eine andere über, die uns in Oberägypten vorkam!“



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