Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 115


Die Floßdiebe.

01] Als Petrus solches geredet hatte, da ersah man mehrere Flöße, die stromabwärts gerudert wurden, damit dieselben schneller schwammen, als da von selbst fließt das Wasser.

02] Da fragte Petrus den Jored und sagte: ”Freund, warum rudern denn diese also, wie man es bei einem Strome, der ohnehin einen schnellen Lauf hat, nicht zu tun pflegt?“

03] Sagte Jored: ”Das sind Flößer, die wahrscheinlich noch heute nach Samosata kommen wollen. Es ist aber hier ein alter Brauch, daß Flößer am Tage, das heißt solange die Sonne noch nicht untergegangen ist, hier zollfrei vorüberfahren können; wenn sie aber daherkommen, wenn die Sonne schon untergegangen ist, so müssen sie hier landen und den Zoll entrichten, ansonst sie bestraft werden. Siehe, darin liegt der Grund, warum diese ihre Flöße nun gar so sehr stromabwärts treiben! Wenn sie so fortfahren, so sind sie in zwei Stunden leicht in Samosata und kommen dort noch in der straflosen Zeit an. Um eine halbe Stunde später müßten sie dort schon eine Strafe bezahlen. Siehe, also stehen diese Sachen!“

04] Sagte Petrus: ”Ja, aber warum da eine Strafe? Bei mir am Galiläischen Meere kann ein Schiff ankommen, wann es kann und mag, so braucht es darum keine Strafe zu bezahlen; denn man kann ja für zufällige und unvorhergesehene Hindernisse nicht, durch die man auf dem Wasser gar oft im Vorwärtskommen beirrt werden kann. Warum da eine Strafe?“

05] Sagte Jored: ”Freund, du hast zwar in deiner Weise recht; aber auch diese Strafe hier ist recht und gerecht. Denn alle die Wasserfahrer an diesem mächtigen Strome bis dahin, wo er schiffbar wird, wissen es genau bei jedem Stande des Wassers, wann sie von ihrem Stapelplatze abzugehen haben, um zur rechten Zeit an einem nächstbestimmten Orte anzukommen. Halten sie diese Ordnung nicht ein, so können sie bei einer zu lange in die Nacht hineindauernden Fahrt leicht ein Unglück haben, da der Strom viele recht gefährliche Stellen hat, wo sich selbst alterfahrene Flößer am Tage zusammennehmen müssen, um unbeschadet durchzukommen. In der Nacht dürfte es wohl sehr schwer sein, solche gefährlichen Stellen ohne Unglück zu passieren. Um die aus der Nichtbeachtung der allgemein bekannten Stromfahrtgesetze leicht erfolgenden Unglücke soviel als möglich zu verhüten, hat man eben mit Einstimmung des Kaisers diese Stromfahrtgesetze sanktioniert und deren Übertreter mit einer angemessenen Geld- oder Warenstrafe belegt, verwendet diese Strafgelder aber dann zur Erhaltung guter Landungsplätze und zur Hinwegschaffung zufällig im Strome entstandener Hindernisse, zu welchem Zwecke auch teilweise die Wasserzollgelder und Landungszinsen verwendet werden. Und siehe, Freund, also ist diese ganze Sache ja doch eine gerechte?!“

06] Nun aber sagte Ich: ”Freund Jored, was ist denn dann, wenn zum Beispiel - wie es hier der Fall ist - Diebe mit schon auf dem Wasser zusammengebundenen Flößen, die zur Abfahrt zu einer bestimmten Zeit bereitstehen, zur Nachtzeit die Floßwache unschädlich machen, die Flöße ablösen und eiligst davonfahren, was jetzt bei dem etwas höheren Wasserstande ganz leicht möglich ist?“

07] Sagte Jored: ”Herr, was sagst Du?! Wenn also, da müßten wir sie ja augenblicklich anzuhalten und einzufangen trachten! Sie kommen nun gerade schon in unsere Nähe!“

08] Sagte Ich: ”Lasse das nur fein gut sein; denn sie wären schon lange bei uns vorübergefahren, so Ich sie trotz aller ihrer Tätigkeit nicht an ihrem Weiterkommen behindert hätte! Aber nun kommen sie ganz langsam dennoch nahe an uns heran, und wir werden sie dann schon aufzuhalten verstehen!“

09] Sagte Jored: ”Na wartet, ihr bösen Spitzbuben, euch soll euer Handwerk gelegt werden! - Herr, haben sie die Floßwächter etwa gar ermordet?“

10] Sagte Ich: ”Allerdings, aber diese bestanden in Wachhunden. Diese Tiere verteidigten die Flöße gar grimmig, und es wurden zwei der Diebe von ihnen gebissen; aber am Ende des Gefechts mußten die Tiere den Hieben dieser Diebe erliegen, wurden ins Wasser geworfen, und die Diebe lösten schnell die Flöße und fuhren eher ab, als die Menschen, durch den Hundelärm geweckt, herbeikommen konnten. Es sind ihnen wohl gleich darauf Menschen zu Wasser und zu Land nachgefolgt, haben sie aber bis jetzt noch nicht einholen können. Die zu Wasser werden nun wohl nicht gar lange auf sich warten lassen; aber die zu Lande werden kaum bis um die Mitternacht hier ganz erschöpft anlangen. Wir werden sie, diese Flößer nämlich, hierher ans Ufer ziehen, sowie die Sonne untergeht, was sogleich erfolgen wird, und du, Jored, fordere ihnen durch deine Beamten gleich den Landungszins ab! Währenddessen werden die sie verfolgenden Eigentümer dieser Holzflöße nachkommen, und es wird das eine ganz absonderliche Geschichte abgeben! Laß nun deine Beamten nur ans Ufer treten; denn sie werden nun bald ans Ufer stoßen müssen, weil Ich es also haben will!“

11] Jored beorderte nun schnell seine Beamten, und diese kamen und erwarteten die Flöße, ohne aber zu wissen, welchen Gelichters die Flößer seien. Es kam das erste Floß dicht ans Ufer, und der Beamte forderte von den vier darauf befindlichen Flößern das Geld.

12] Aber diese (die Flößer) sagten: ”Wir wollten ja weiter, - aber es hielt uns da eine unsichtbare Macht auf und zog uns völlig ans Ufer her; darum zahlen wir nichts, da wir ohne unser Wollen hier behindert worden sind. Auch haben wir kein Geld und werden erst, so wir zurückkommen, unseren Zins bezahlen.“

13] Sagte der Beamte: ”Das geht bei uns nicht an! Könnt oder wollt ihr nicht zahlen, so bleiben die Flöße unterdessen als Pfand hier, bis ihr sie auslösen werdet!“

14] Da wollten die Flößer doch zahlen; aber man sollte sie sogleich wieder weiterfahren lassen, denn sie wären gute und sehr geschickte Nachtfahrer.

15] Aber der Beamte verweigerte ihnen solches und sagte: ”Zahlet, und fahret morgen zur gesetzlichen Zeit ab! Zahlet ihr jetzt nicht, so ihr Geld habt, so werdet ihr am Morgen das dreifache zu zahlen haben!“

16] Als die Floßdiebe das vernahmen, da zahlten sie dennoch den Zins und banden das Floß ans Ufer; aber vom Floße herab wollten sie nicht treten. Dasselbe geschah auch mit den noch nachfolgenden fünf Flößen, und als also der Landungszins bezahlt war, da bemerkte man auch schon das diesen sechs gestohlenen Flößen nacheilende Floß mit acht Menschen, die auch gar gewaltig stromabwärts ruderten. Es dauerte kaum einige Augenblicke, und das Floß stieß an unser Ufer.

17] Diese acht Flößer erkannten sogleich ihre gestohlenen Flöße und sagten mit zornglühenden Augen: ”Haben wir euch, ihr uns schon lange bekannten schlechten Spitzbuben?! Na wartet, euch soll euer Floßstehlen von nun an sicher für alle Zeiten vergehen! Dieses Holz ist nach Serrhe zu einem wichtigen Baue bestimmt, und wir haben es selbst gar aus Cappadocia, und zwar aus Arasaxa, Tonosa und Zaona bis nach Lacotena in Mesopotamien, allwo wir zu Hause sind, mit großen Kosten bezogen, und ihr gewissenlosesten Schurken habt es uns auf eine gar so schnöde Weise stehlen wollen, ohne selbst zu eurer Sicherheit so weit gedacht zu haben, daß ihr uns mit diesem schweren Holze nicht entkommen könnt und wir die Mittel haben, euch bis tief nach Indien zu verfolgen! Diesmal werdet ihr eurer gerechten Strafe nicht entgehen!“

18] Hierauf ersahen sie den ihnen sehr bekannten Zöllner Jored, gingen hin und zeigten es ihm an.



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers