Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 52


Von der Versuchung und den Schwächen. Übe das Denken!

01] Als wir alle zur Genüge gegessen und getrunken hatten, da fragte Mich der Wirt, ob wir uns etwa zur Ruhe begeben wollten, da es schon ziemlich spät in der Nachtzeit geworden sei.

02] Ich aber sagte: ”Wen es nach Ruhe gemahnt, der gehe ruhen; Mich aber gemahnt es nicht, und somit werde Ich Mich jetzt auch noch zu keiner Ruhe begeben. Zudem ist es dem Leibe auch durchaus nicht zuträglich, gleich nach einem Mahle sich zur Ruhe zu begeben; daher wollen wir uns noch ein paar Stunden wach erhalten. Aber wen es nach Ruhe gemahnt, der mag sich auch zur Ruhe begeben!“

03] Sagten alle: ”Nein, nein, o Herr, wir wollen mit Dir wachen bis an den Morgen, so Du es wünschest! Denn wir wissen es nur zu bestimmt, daß bei Dir alles eine innerste, unerforschliche Bedeutung hat, und so steckt da auch sicher etwas dahinter, und so bleiben wir wach!“

04] Sagte Ich: ”Ihr habt recht; wachet und sorget, daß niemand von euch in eine Versuchung falle!“

05] Fragten Mich Meine alten Jünger: ”Herr, was sollte uns an Deiner Seite wohl in eine Versuchung zu führen imstande sein?! Denn wir haben an Deiner Seite doch schon so manches erlebt, und es hat uns noch sehr weniges in irgendeine augenblickliche Versuchung geführt.“

06] Sagte Ich: ”Oh, rühmet euch dessen nicht! Denn der Versuchung Geist geht umher wie ein hungriger, brüllender Löwe und sucht die Menschen zu verschlingen! Ihr könnt nicht wach genug sein und nicht genug achten auf jeden Zug eines noch so leisen Anregungswindes! Hat solch eine Anregung den Menschen in seinem Gemüte nur um ein Haarbreit auf ihre Seite gebracht, so wird er sich schon eine recht große Willensgewalt antun müssen, um auf seinen früheren Stand zu gelangen. merkt euch das alle wohl; denn solange der Mensch in dieser Welt lebt, denkt, will und handelt, wiegt sein Fleisch schwerer denn seine Seele.“

07] Sagte Philippus: ”Das ist wohl sehr wahr, und ich habe das alles an mir sehr wahrgenommen; aber in diesen meinen vorgerückten Jahren richtet bei mir keine Versuchung mehr etwas aus. Ich habe nur einen Fehler, und der besteht in einer Art von Zeit zu Zeit eintretender Glaubensschwäche, das heißt, ich glaube im Grunde wohl alles, was da kommt aus Deinem Munde, o Herr, - aber wenn dann und wann mein Verstand nicht alles gleich einsieht, so wird da mein Glaube auch schwach, und ich verfalle da gleich in allerlei bedenkliche Fragen, auf die von nirgendher eine helle Antwort sich in mein Gemüt senkt, und ich fange darauf bald an, in kleine Zweifel zu fallen. Das ist die einzige Versuchung, die mich noch immer dann und wann beschleicht. Du, o Herr, aber könntest mich davon wohl befreien und würdest mich dadurch zum glücklichsten Menschen machen!“

08] Sagte Ich: ”So Ich dir das täte durch die Mir innewohnende Kraft, da wärest du kein freier Mensch mehr, gerietest in eine große Trägheit und wärest dadurch mit der Übung zur stets höheren Gewinnung der wahren Lebenskraft deiner Seele bald am Ende.

09] Darum trage ein jeder seine Bürde willig und übe sich gleichfort in allen guten Dingen des inneren Lebens! Zur rechten Zeit wird dadurch auch sein Lebensmaß voll werden, und er wird dann erst eben über das Brot eine rechte und unverwüstbare Freude haben, das er sich selbst im Schweiße seines Angesichtes erworben hat.

10] Denke dir einen sehr verweichlichten Menschen, der von der Wiege an gar nie zu irgendeiner Tätigkeit angehalten wurde. Er aß und trank die besten Speisen, lernte zur Not nur allein das Reden und trug außer seinen Kleidern nie irgendeine Last. Wenn so ein Mensch dann eine Last von nur einigen Pfunden irgendeine Strecke weit tragen soll, so wird er das kaum imstande sein, weil er dazu seine physischen Kräfte nie nur im geringsten geübt hat. So er aber dann dennoch anfängt, seine Leibeskräfte durch eine nach und nach steigende Tätigkeit zu üben, so wird er es in einigen Jahren auch dahin bringen, größere Lasten mit Leichtigkeit zu heben und weiterzuschaffen. Würde er aber auch dann zu einer höheren derartigen Leibeskraft gelangt sein, so er gleichfort die andern Menschen für sich hätte Lasten heben und tragen lassen?!

11] Und siehe, geradeso steht es auch bei dir mit deiner Denkkraft! Du hast sie von deiner Jugend an viel zuwenig geübt und hast sie auch erst nun in den späteren Jahren ein wenig mehr zu üben angefangen, und es nehme dich darum nicht wunder, wenn du so manches nun nicht so schnell wie mancher andere fassest und begreifest.

12] Ich aber bin ein rechter Lehrer und Führer und trage Meine Jünger nicht über alle noch so schroffen,und holperichten Wege und Fußsteige auf den Händen, sondern lasse sie selbst gehen, auf daß sie stark werden, ohne Anstoß fürderhin zu wandeln auf allen noch so knorrigen Wegen.

13] Stellt sich aber jemandem auf irgendeinem Wege ein gar zu großes Hindernis entgegen, da werde dann schon Ich ihm ein Licht und eine Kraft geben zur sicheren Besiegung auch solch eines großen Hindernisses. Aber vor allem muß ein jeder Mensch selbst so viel tun, als in seinen Kräften liegt; was darüber not tut, wird ihm gegeben werden zur rechten Zeit. - Hast du das nun wohl begriffen?“

14] Sagte Philippus: ”Ja, Herr, das habe ich nun wohl begriffen, und ich werde mir alle erdenkliche Mühe geben, um in meinem Denken und Glauben so stark als nur immer möglich zu werden!“



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