Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 220
Weltentsagung und Reich Gottes.
01] Hierauf sagte Ich: Und selig ist auch der, welcher sich an Mir nicht ärgert! Ihr blinden Pharisäer sagt: So der Himmel abends rot ist, da wird morgen ein schöner Tag werden; ist aber der Morgen rot, so wird der Tag ein trüber sein! (vgl. mt.16,02 f.) Diese Zeichen könnt ihr beurteilen: wie seht ihr denn die großen Zeichen dieser Zeit nicht, die euch von Mir gegeben werden? Ihr aber seht wohl auch diese Zeichen und versteht sie auch; aber eures Welttums wegen wollt ihr sie nicht annehmen und haltet auch das Volk davon ab. Und so wollt ihr selbst nicht in das Himmelreich, lasst aber auch niemand anders hinein; und darum werdet ihr dereinst auch desto mehr Verdammnis überkommen!
02] So ein Blinder an einen Stein stößt, so kann ihm das niemand für einen Fehler anrechnen. Aber wenn solches ein Sehender tut, so ist das offenbar ein grober Fehler; denn er konnte es ja sehen, daß ein Stein am Wege liegt. Und so ist es um so mehr in geistigen Dingen der Fall. Wer da auf Grund seiner Seelenblindheit diese Zeichen und Worte, die Ich tue und rede, nicht fassen kann, dem wird das auch zu keiner Sünde gerechnet werden, aber wohl dem vielfach, der da sieht und dennoch der Wahrheit feind ist!
03] Bei euch Pharisäern und Schriftgelehrten ist das nun der Fall. Ihr seht es bei euch selbst gar wohl ein, daß Ich der Verheißene bin; aber ihr seht daneben auch ein, daß euer ganz zerstörtes Judentum neben Meiner Lehre nicht bestehen kann, weil ihr Moses und die Propheten nahezu gänzlich aufgehoben habt und dafür eure Satzungen zur Unterdrückung und nicht zur Aufrichtung des Volkes, der Witwen und Waisen aufgestellt habt. Und weil ihr das tut und euch nicht bekehrt zu Mir, so bleibt eure Sünde in euch und mit ihr das Gericht und der Tod! Wahrlich, mit demselben Maße, mit dem ihr nun ausmesset, wird euch dereinst von Meinem wahren Vater vergolten werden!
04] Sagte ein Pharisäer, der zuvor noch ganz ungläubig war: Das, Meister, ist eine sonderbare Rede von dir! Kann es denn nimmer geschehen, daß wir von nun an auch deine Jünger werden?
05] Sagte Ich: Ihr könnt wohl Meine Jünger werden, aber nicht so leicht, wie ihr das meinet; denn wer Mein Jünger werden will, der muß mit der Welt ganz brechen und darf nicht sehen auf ihre Lockungen; denn alle Welt ist ein beständiges Gericht und ein fortwährender Tod! Wer die Welt liebt, ist nicht wohlgeschickt und tauglich, ein rechter Jünger von Mir zu werden; denn der Liebe zur Welt liegt kein Leben zugrunde, sondern nur das Gericht und der Tod. Ich aber brauche keine toten, sondern nur so ganz freie und lebendige Jünger. Könnt ihr solche werden, dann mögt ihr auch bei Mir bleiben!
06] Denn Ich bin nicht in diese Welt gekommen, um zu richten alle die blinden und kurzsichtigen Menschen, sondern Ich bin nur gekommen, zu suchen das Verlorene, zu heilen die Kranken, aufzurichten das Gebeugte und zu erlösen alle die Gefangenen. Wem Ich helfe, dem wird auch geholfen sein für ewig; wer aber Meine Hilfe nicht wird annehmen wollen, dem wird niemand, weder im Himmel noch auf dieser Erde, helfen können.
07] Ich meine aber hier nicht diese Meine Persönlichkeit, sondern Meine Lehre; denn diese ist das Reich Gottes, das nun nahe zu euch gekommen ist und jedem, der danach lebt, das ewige Leben geben wird. Wahrlich, Ich Selbst werde niemanden richten; aber das Wort, das Ich zu euch rede, wird euch richten, gleichwie auch die Wahrheit richtet und tötet die Lüge!
08] Sagte darauf der Schriftgelehrte: Meister, du hast nun ganz wohl und weise geredet, und es ist schon also; aber es ist darin doch ein Etwas, mit dem ich mich noch nicht so recht befreunden kann, und das besteht darin: Du sagtest, daß man die Welt nicht lieben solle, weil die Welt das Gericht und der Tod ist. Nun, das ist zwar an und für sich schon ganz wahr, - aber nun bedenke man, wie groß die Erde ist, und wie viele Menschen unfreiwillig auf ihr leben! Wer aber kommt zu ihnen und bringt ihnen einen Trost und ein Evangelium aus den Himmeln? Sie wachsen wild auf wie das Unkraut auf einer Heide und kennen nichts und wissen nichts. Sollen auch solche durch den allmächtigen Willen Gottes ganz blind auf diese Erde gesetzten Menschen an dieser Welt, die sie trägt und nährt, mit keiner Liebe hängen?
09] Es ist schon unser Judentum beinahe mehr ein Heidentum als ein wahres Judentum; wie sieht es dann erst mit den andern Völkern und Menschen aus? Denn dafür kann ja doch, soweit unser Wissen, Denken und Erinnern reicht, kein Mensch etwas, daß er als völlig willenlos in diese wahrlich schlechte und elende Welt geboren worden ist! Ist er aber einmal da, so wird er dann gleich von der Geburt an bis zum Rande des Grabes in einem fort mit allem möglichen geplagt, womit ein Mensch nur geplagt werden kann. Den Beschluß macht dann ein schmerzvoller und bitterer Tod.
10] Ja, wenn man das nur so ein wenig richtig bedenkt, so drängt sich einem unwillkürlich die ganz gewichtige Frage auf: Warum bin ich denn ein Mensch? Wer hat mich in dies Jammertal gesetzt, und warum?
11] Wenn der Mensch also sein ganzes Elend betrachtet, so ist es ihm doch wahrlich nicht zu verargen, wenn er in der Welt herumzusuchen anfängt, auf daß er ein Plätzchen finde, auf dem er sich sein Los ein wenig erträglicher machen könnte. Nun, nach vielen Mühen und Beschwerden hat er sich endlich ein solches Plätzchen errungen, wo es ihm ein wenig besser und ruhiger für die noch übrigen Lebensaugenblicke gehen könnte, - da kommen dann gleich Propheten und andere Boten voll des Geistes Gottes und verkünden ihm den Zorn Gottes, das Gericht, den Tod und eine Menge andere wahrlich nicht erfreuliche Dinge, und mit dem mühsam errungenen Ruheplätzchen ist's aus und gar.
12] Ja, wenn der Mensch von seiner Geburt an schon mit einem Gott einen Vertrag abgeschlossen hätte, unter welchen Bedingungen er auf dieser Welt zu leben hat, dann wäre freilich alles ganz anders! Aber so wird man ganz nackt und blind und beinahe ganz bewußtlos in die Welt hinausgeboren und wird gleich mit allerlei gequält. Und ist man unter allerlei Leiden und Widerwärtigkeiten endlich ein Mann geworden - sage - von einem sogar gesunden Körperbau und könnte dem Leben vielleicht hie und da doch einen vergnügten Tag abzwacken, da regnet es schon von allen Seiten her Heere von Gesetzen aller Art, und mit dem vergnügten Tage ist es aus! Denn habe ich ihn benutzt, dann habe ich mich an einer Menge Gesetze versündigt, die hernach das sehr peinigende Gewissen in die vollste Tätigkeit versetzen; habe ich aber die Gesetze vor Augen gehabt, na, da gab es dann auch keinen vergnügten Tag mehr! Ja, warum ist denn das alles also?
13] Ich glaube nun schon, daß du derjenige bist, der uns nun völlig helfen kann; aber was geschieht mit den andern zahllos vielen auf dieser Erde lebenden Menschen? Wer wird denen helfen? Und warum ist uns Juden und den Griechen und Römern nicht früher geholfen worden?