Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 67


Essäer Roklus sucht vor Jesus seine Unwahrhaftigkeit zu rechtfertigen.

01] Sagt Roklus: ”Erhabenster der Erhabensten! Solange ich an keinen Gott glauben konnte, war das eine abgemachte Geschichte, der bisher noch alle verständige Welt gehuldigt hat, und diese Geschichte, die eigentlich für sich gar keine Geschichte ist , durch die aber die meiste Weltgeschichte gemacht wird, heißt Politik, Staatsklugheit. Diese fordert, daß man einem Menschen, den man nicht genau kennt, nicht sogleich alles auf die Nase bindet, was man innerlich vorhat. Man braucht aber durchaus nichts Böses vorzuhaben mit jemandem, mit dem man sich in irgendeine Verbindung stellt, und es ist da doch stets geraten, mit der reinen Wahrheit im Hintergrunde zu verbleiben, weil es sich nach vielen Erfahrungen nur schon zu oft erwiesen hat, daß man mit der nackten Wahrheit bei den Menschen mehr Unheil als irgendein Heil angerichtet hat.

02] Man muß den Menschen zuvor stets auf allerlei Seitenwegen erst so ganz durch und durch kennenlernen - was keine leichte Aufgabe und Arbeit ist -, bevor man ihn in alle Wahrheit leitet; denn sonst kann man ja nicht wissen, wo bei ihm die Seite ist, an der er zugänglich ist für die Wahrheit! Denn kein Mensch ist, besonders in bezug auf sich selbst, ein besonderer Freund der lichtvollen Wahrheit. Ein um ihn herum verbreitetes Dunkel ist ihm bei weitem lieber, und darin liegt denn auch der Grund, warum ich beim Jünglinge mit meiner innern Wahrheit ein wenig hinter dem Zaune gehalten habe. Im übrigen ist es aber ja eine bekannte Sache in aller Welt, daß die Kinder durch allerlei Unwahrheiten erst zur Wahrheit hingeleitet werden, und das ist auch eine Klugheit der Eltern; denn würden diese ihren Kindern gleich die Wahrheit zu verkünden anfangen, so würden sie aus den Kleinen wenig Gutes und Gesittetes ziehen.

03] Es ist wahr, daß ich mich dem Jungen anders zeigte, als ich war; aber ich verursachte ihm dadurch keinen Schaden und konnte ihm keinen verursachen, weil ich dazu nie einen Willen gefaßt habe, und somit glaube ich dadurch nichts Schlechtes begangen zu haben. Habe aber ich dadurch gesündigt, so sündigen auch alle Eltern gegen ihre Kinder, die ihnen mit einem gewissen Ernste sogar fest beteuernd sagen, daß es auf den weiten und hohen Bergen gewisse Bäume gebe, auf denen die Kinder gleich den Pflaumen blühen und wachsen. Dort beständen gewisse Sammler dieser Früchte und trügen sie dann zum Verkaufe in alle Welt. Dann und wann kämen diese Früchte auch auf Bächen und Flüssen, die in jenen hohen Bergen entspringen, einhergeschwommen, wo sie dann auch aufgefangen würden.

04] Das ist ja etwa doch eine mörderische Lüge, wie man sie sich nimmer großartiger und dümmer vorstellen kann; aber die Eltern haben dabei sicher den besten Willen, durch solche rein aus der Luft gegriffenen Dichtungen ihre Kleinen vor allen unkeuschen Gedanken zu bewahren und sie also frisch und gesund an Leib und Seele dem männlichen Alter zuzuführen, und das wird doch hoffentlich nichts Unrechtes sein?! Und so bin ich denn auch der Meinung, daß eine Lüge, der nicht nur keine Spur von einer schlechten Absicht, sondern oft nur, nach unserer menschlichen Erkenntnisfähigkeit, eine ganz allerbeste Tendenz zugrunde liegt, eher als eine Tugend denn als irgendeine Sünde anzusehen ist!

05] Und so ist unser Institut im Grunde zwar voll Lügen und Truges; aber bis jetzt haben wir noch durchaus keine böse und eigentlich herrschsüchtige Absicht damit vereinigt, das heißt, insoweit wir mit unseren Erkenntnissen ausreichten. Was sich aber daraus in den späteren Zeiten alles entwickeln kann, dafür fehlt uns die prophetische Berechnungsweise, und wir können dafür keine Bürgschaft leisten, weil unsere Nachkommen ebenso freiwillige Menschen sein werden, wie wir es nun sind.

06] Ich behaupte sogar, daß im Anfange alle Stifter irgendeiner Religion, in der alle bessere Gesittung eines wie des andern Volkes zugrunde gelegt ist, es mit ihrem Volke ganz gut und ehrlich gemeint haben; aber die späteren Nachkommen, und besonders die unberufenen, sich selbst geschaffen habenden Priester, die lächerlich schlechten Stellvertreter der Götter auf dieser Erde, haben die nie recht verstandenen Lehrsätze falsch zu erklären angefangen, haben zu ihrem selbst- und herrschsüchtigen Besten neue hinzugefügt und sie unter dem Titel 'Götterwille', 'Götterwort' scharf sanktioniert, haben damit die arme Menschheit oft auf das gräßlichste geplagt, wie uns sogar jetzt noch gar viele Beispiele nur zu handgreiflich überzeugen!

07] Besehen wir nur die mir gar wohl bekannten Geschichten aus dem Tempel zu Jerusalem und gleich daneben die Tempelgeschichten Roms, und wir haben der Beweise zur Übergenüge, wohin es mit Moses und wie noch weiter es mit aller Urweisheit Ägyptens gekommen ist! Und - ich will keinen bösen Propheten machen -, ich getraue es mir aber, vor dir zu behaupten, daß deine reinste und göttlichste Lehre, deren Hauptpunkte der Junge wunderbar schnell schon an meine Gefährten übergeben hat, und soviel ich von ihr Herrliches gehört habe, schon in einigen Jahrhunderten ein ganz anderes Gesicht haben wird!

08] Aus deinen Jüngern werden Sendlinge und Ausbreiter solcher deiner göttlichen Lehre. Diese werden nicht überall hinkommen können; sie werden wieder Jünger wählen und werden sie zu Lehrern und mitunter zu geistigen Vorstehern deiner Lehre machen, und damit ist der Grund zum Priestertume und mit dem zum allerartigen Aberglauben gelegt, wofür ich tausend auf eins wetten könnte!

09] Wenn aber da mit der Zeit überall also, warum sollte da gerade unser Institut eine Ausnahme machen? Überall walten Menschen. Wenn nun ein wahrer Gott an ihrer Spitze lehrend und leitend steht, werden sie wohl in der Ordnung bleiben; stellt er sie aber auf die notwendige Freiheitsprobe, so werden sie gleich wieder mit einem goldenen Kalbe fertig werden gleich den alten Israeliten in der Wüste, als sich Moses von ihnen auf den Sinai begab, zu holen die Gebote des Allerhöchsten!“



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