Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 52


Zweifel des Essäers Roklus an Raphaels Macht.

01] Sagt Roklus: ”Wenn du auch so tat- wie wortmächtig bist, da könnte dir so etwas allerdings möglich sein; aber bis jetzt habe ich bei allen Menschen noch die Erfahrung gemacht, daß die wortkräftigsten Weisen auch stets die tatschwächsten waren. Ich gestehe es dir demnach offen, daß ich vor deiner etwas hochtrabend gehaltenen Tatmacht eben keine gar zu absonderliche Furcht habe! Möglich ist jedoch gar vieles, wennschon nicht allzeit wahrscheinlich!

02] Gehe hin zu dem Elternpaare und sage es ihnen, daß die neu vom Tode erweckte Tochter nicht die wahre, sondern nur eine wegen der großen Ähnlichkeit unterschobene ist, und du wirst es sehen, ob du einen Glauben finden wirst! Ja, man wird dir wohl die Tore weisen, aber glauben wird man es dir nimmer, und wäre es dir auch möglich, mit einer zweiten, noch ähnlicheren Kopie zustande zu kommen. Denn mit der Erweckung der wirklichen Tochter dürfte es dir denn doch etwa nicht gelingen wollen; denn fürs erste dürfte es dir wohl kaum bekannt sein, wo sie begraben ist, und fürs zweite dürfte ihr Körper von den Würmern schon so ziemlich zernagt sein.

03] Dies wäre meiner Meinung nach noch das einzige Mittel, die beiden Eltern wenigstens auf eine Zeitlang stutzen zu machen; im äußersten Falle würde das gute Elternpaar die wirklich wiedererweckte Tochter wegen der großen Ähnlichkeit als eine Ziehtochter annehmen. Doch lassen wir nun all dieses nichtssagende Wortwechseln und wenden uns zu etwas anderem!

04] Du bist auch von dieser Gesellschaft einer? Was ist denn so ganz eigentlich der Zweck eures Hierseins? Erteilt hier etwa der Oberstatthalter, wie es schon zu öfteren Malen der Fall war, dem Volke öffentliche Audienzen, nimmt Bitten an und vernimmt allerlei Beschwerden vom Volke und seinen Vertretern, oder hält er etwa hier eine Art Gericht oder einen Kriegsrat? Denn ich bemerke hier ja Menschen von allen Enden und Orten der mir bekannten Erde. Sogar die schwärzesten, von mir früher noch nie so schwarz gesehenen Mohren sind hier äußerst reichlich vertreten; Perser, Armenier, Taurer, Griechen, Römer und Ägypter fehlen nicht!

05] Ich würde darum aus Bescheidenheit und gebührendster Hochachtung vor dem weisen und greisen Cyrenius wohl diese Frage nie ans Tageslicht gebracht haben; aber weil wir nun schon gut bei zwei Stunden miteinander Worte gewechselt haben, so faßte ich Mut und habe nun vor dir die Frage laut werden lassen! Sage mir etwas darüber, wenn es dir genehm ist, und sage mir auch etwas von dem, wie denn doch so ganz eigentlich dieses Haus samt Garten, Hafen und Schiffen entstanden ist! Ich weiß wohl noch, was du mir in dieser Hinsicht schon gesagt hast; aber mit der puren Gottesgeisteskraft im Menschen kann es denn ja doch nicht so ganz sein! Diese Kraft kann dem Menschen wohl die allertauglichsten Mittel zur Hervorbringung eines solchen Werkes anzeigen; aber ohne dieselben aus der Purluft wird sich das wohl etwa nicht zustande bringen lassen! Geh, lieber weiser junger Freund, sage mir doch aufrichtig, was du irgend davon weißt!“

06] Sagt Raphael: ”Gedulde dich nur noch ein wenig; denn wir sind noch mit der früheren Verhandlung nicht ganz am Ende, und warum hier diese Völker versammelt sind, darf ich vor der Zeit nicht aus der Schule schwätzen! Du wirst späterhin schon noch mehreres erfahren; vorderhand aber bleiben wir nur schön bei dem: ob ich selbst nicht imstande wäre, eurem Institute einen ganz mörderischen Rippenstoß zu versetzen, ohne mir eine zweite Kopie der falschwundersam erweckten Tochter von irgendwoher zu verschaffen! Du zweifelst daran, und dennoch könnte ich dir augenblicklich eine Überzeugung verschaffen, vor der dir die Haare zu Berge steigen würden! - Was würdest du dann sagen?“



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