Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 43


Der religiöse Verband Indiens mit China.

01] (Raphael:) ”Siehe, über Indien, jenseits der höchsten Berge dieser Erde, gibt es noch ein gar großes Kaiserreich, das wenigstens fünfmal so viele Menschen zählt als das römische. Alle jene Menschen haben nahe dieselbe Gotteskunde wie die Indier. Sie leben in der größten Ruhe und Ordnung, sind sehr mäßig, nüchtern, genügsam, arbeitsam, unverdrossen und voll des blindesten Gehorsams gegen ihre Lehrer und Leiter, und ihr Kaiser ist ihr vollkommener Herr und sorgt allerwachsamst dafür, daß ja nirgends irgendein Fremdling in sein großes Land dringen kann. Es ist zu dem Behufe auch sein ganzes Land, wo es mehr flache Begrenzungen hat, mit einer kolossalsten Mauer von den angrenzenden Ländern der Erde abgeschnitten, über die kein feindliches Heer zu dringen vermag. Diese Mauer ist auch gleichwegs mit Türmen versehen, innerhalb welcher eine starke Wache auf der beständigen Lauer ist, und die stark genug ist, jede fremde Annäherung auf das entschiedenste zurückzuweisen.

02] Nur ein Bote des Bramah (Brau ma = hat Recht) aus dem Hochindien hat alle Jahre einmal das zugestandene Recht, über diese Mauer ins Land zu kommen, weil er, der Überbringer des Lobes oder auch des Tadels vom Lama aus, unmittelbar dem Kaiser selbst es zu überbringen hat in einer schweren goldenen Büchse. Dieser Bote kommt zwar mit großem und glänzendstem Gefolge zur bestimmten Zeit an den bestimmten Platz bis zu der Mauer und fängt an, unten einen großen Lärm zu machen. Darauf wird ein Korb über die hohe Mauer herabgelassen. Der Bote allein nur darf in den Korb steigen, in dem er dann hinaufgezogen wird; sein Gefolge aber muß dann so lange harren, bis der Bote wieder zurückgekommen ist.

03] Der Bote aber wird von der Mauer weg die weite Strecke von etlichen zwanzig Tagereisen in einer Sänfte getragen, aus der er nichts als nur den Himmel sehen kann. Erst in der großen Kaiserstadt, die mehr als ganz Palästina Einwohner hat, wird er auf freien Fuß gestellt und mit allen Ehren zum Kaiser geleitet. Dort übergibt er die goldene Büchse mit ihrem Inhalte und gibt dem Kaiser den Wunsch des großen Lama zu erkennen, worauf er vom Kaiser ansehnlichst beschenkt und in Gnaden entlassen wird. Darauf beginnt sogleich seine Rückreise, die der früheren Herreise stets auf ein Haar gleicht.

04] Bei einer solchen Gottesbotenreise zum Kaiser und vom Kaiser wieder nach Hause strömt stets eine große Menge Menschen an die Straße, auf der der Gottesbote, den natürlich außer den vertrauten Trägern beim Ein- und Aussteigen niemand zu sehen bekommt, mit einer unbeschreiblich großen Zeremonie zum Kaiser getragen wird.

05] Fragst du das Volk, warum es den Gottesboten niemals zu sehen und noch weniger zu sprechen bekommt, so wird dir das Volk, ganz voll der höchsten Demut, zur Antwort geben: ein solches Verlangen wäre schon eine nie verzeihbare Sünde. Es ist der Gnade des großen Gottes schon ohnehin in höchster Überfülle, den heiligen Boten des großen Gottes von ferne hin tragen zu sehen, wodurch ein jeder so etwas Sehende so viel des Segens überkommt, daß er damit gut für noch zehnmal hunderttausend andere Menschen des großen Reiches, von dem sie meinen, daß es gerade in der Mitte der Welt sich befindet, in Überfülle auf zehn Jahre auslangt. Nun, das wird dem harmlosen Volke also beigebracht, und es glaubt steinfest daran.

06] Der Bote selbst weiß von diesem Glauben zwar auch; aber er weiß noch etwas anderes, nämlich, daß er das Land und dessen Einrichtungen bei Strafe mit dem Tode gar nicht sehen darf, um es irgend möglicherweise zu verraten. Denn der Landesverrat ist in diesem Lande das höchste Verbrechen, das selbst wegen einer kaum achtbaren Kleinigkeit gleich auf das schärfste bestraft wird. Das Volk dieses Reiches ist aber bei aller seiner Dummheit dennoch sehr treu, wahrhaft und überaus gehorsam. Kannst du dich ärgern, wenn das Volk von den Leitern in der Dummheit erhalten und gepflegt wird und dabei ganz glücklich ist, wenn auch der Kaiser und seine ersten Diener für sich ganz etwas anderes wissen? Oder ist das alles nicht gleich eurem Essäerorden? Ist dann Gott unweise und ungerecht, wenn Er alles dieses zuläßt und duldet, solange das Volk irgend voll Geduld und Demut verbleibt, und daß Er auch duldet euch wollüstige Essäer? - Rede nun, mein Freund, ob nun du mir etwas einzuwenden hast!“



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