Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 173


Gabis einstige pharisäerische Grundsätze.

01] Sage Ich: ”Das war für dich allein nun höchst gut, dass du dich nun also vollkommen entäußert hast; aber alles dessen ungeachtet mußt du noch eines sagen und treu kundgeben, - aber wieder nicht Meint-, sondern allein deintwegen! Siehe nun, als du dich in und für den Tempel einweihen ließest, glaubtest du denn damals an gar keinen Gott, da du dich sogleich auf den Betrug zu verlegen begannst und alle deine Sinne nur darauf richtetest, ein so recht mit allen Tücken durch- und abgedrehter Pharisäer zu werden? Hatte es dir denn niemand gesagt, dass ein Pharisäer denn doch nur ein dem Aaron folgender Priester und Gottesdiener ist und nie ein selbst- und herrschsüchtiger Menschenbetrüger? Wie hast du einen so grundbösen Sinn in deinem Herzen je aufkeimen lassen können?

02] Ist denn den Menschen nützen, wo nur immer möglich, nicht schon an und für sich ein allerherrlichster Grundsatz des Lebens, den sogar die alten heidnischen Weisen stets in den größten Ehren gehalten und beachtet haben?! Sagte nicht ein Sokrates: 'Willst du, Mensch, in deiner Sterblichkeit die Götter würdigst ehren, so nütze deinen Brüdern; denn sie sind wie du der Götter köstlichstes Werk! Liebst du die Menschen, dann opferst du den Göttern allen, die gut sind, und die bösen werden dich darum nicht züchtigen können!' Die Römer sagten: 'Lebe ehrbar, schade niemand und gib jedem das Seine!' Siehe, so urteilten die Römer, die Heiden waren; wie hast denn du hernach als ein Jude einen gar so höllischen Sinn fassen können?

03] Konntest du dir's denn nicht wenigstens so ein bißchen nur denken, dass es doch irgendeinen Gott geben muß, der nichts anderes denn nur das Gute wollen kann und der den Menschen nicht nur für die kurze Spanne dieses Erdenlebens, sondern für die Ewigkeit erschaffen hat?! Siehe, darüber mußt du Mir nun noch eine streng wahre Rechenschaft führen und dich dessen völlig entäußern! Und so rede nun!“

04] Sagt Gabi ”Gott, Herr und Meister von Ewigkeit, hätte ich je irgendeine Gelegenheit gehabt,nur den hundertsten Teil von dem zu vernehmen, was ich hier in diesen allermerkwürdigsten drei Tagen vernommen habe, so hätte ich sicher keinen gar so elenden Sinn gefaßt; aber - Exempla trahunt (Beispiele verlocken!) -, was auch die Römer erfunden haben - ich hatte ja derlei Beispiele und Muster vor mir, die schlechter als schlecht waren! Und diese schlechten Beispiele und Muster befanden sich ganz gut dabei, und zwar stets um so besser, je mehr sie die Kunst besaßen, das Volk allerdickst zu prellen und hinters Licht zu führen.

05] Denn sie sagten: Die Natur - nicht etwa Gott, der nichts denn eine alte Menschendichtung sei - habe dem helleren Menschen schon von der Wiege an einen Fingerzeig gegeben, dass er sich, wenn er wahrhaft gut leben wolle, vor allem die Dummheit der Menschen zugute machen solle; wer das nicht verstünde, der bleibe ein Narr sein Leben lang und solle auch als nichts anderes als ein mit einiger Vernunft begabtes Menschenlasttier verbleiben und sich nähren von Dornen und Disteln und liegen auf Stoppeln!

06] Als Volkslehrer solle man nur dahin besorgt sein, dass die gemeinen Menschenlasttiere stets im allerdicksten Aberglauben erhalten würden! Solange dies bezweckt würde, würden die eigentlichen Geistmenschen gut zu leben haben; sowie man aber jenen die Wahrheit zeigen und sie ans Licht führen würde, da würden die eigentlichen Geistmenschen selbst Haue, Pflug, Spaten und Sichel in die Hand nehmen und im Schweiße ihres Angesichtes das mühevolle, harte Brot verzehren müssen.

07] Der rechte Mensch müsse es so weit zu bringen trachten, dass er von den Menschenlasttieren wenigstens als ein Halbgott angesehen werde. Habe er es dahin gebracht, so verschließe er sein Licht wie ein ägyptisches Grab und umgebe sich mit allerlei falschem Schimmer und betäubendem Dunste; da würden ihn die Menschenlasttiere bald förmlich anzubeten anfangen, und das um so mehr, wenn er ihnen von Zeit zu Zeit irgendeinen scheinbaren Nutzen erweise. Kurz, er müsse den Menschenlasttieren ganz grundvoll, aber immerhin falsch, zu beweisen imstande sein, dass es ihnen zum unschätzbaren Heile gereiche, wenn sie vom vermeinten Halbgotte blau- und mitunter sogar totgeschlagen würden!

08] Man gebe ihnen harte Gesetze und setze als Sanktion darauf die schärfsten zeitlichen und allermartialischt angedrohten ewigen Strafen und verheiße dem treuen Befolger der Gesetze nur kleine irdische Vorteile, aber desto größere ewige nach dem Tode, - und man stehe dann als ein wahrer Mensch vor all den zahllosen Menschenlasttieren da! Verstünden es seine Nachfolger, den Pöbel in der Nacht des dicksten Aberglaubens zu erhalten, so würden ihn Jahrtausende nicht aufhellen; verstünden sie aber das nicht, so würden sie als Betrüger der Menschen ehest gar jämmerlich das Weite zu suchen bekommen!

09] Moses und Aaron seien solche wahren Menschen gewesen, die durch ihren geweckten Verstand und durch ihre vielen Kenntnisse des israelitischen Volkes Schwächen bald abgelauscht hätten, sich als Führer und Beglücker desselben Volkes aufgeworfen und es durch eine fein ausgedachte, aber großartigste Prellerei derart vernagelt hätten, dass das Volk noch heutzutage ebenso dumm sei, wie es am Fuße des Sinai vor nahe tausend Jahren gewesen sei und vielfach noch mehrere Jahrtausende also verbleiben werde. Im Grunde aber sei das dennoch auch eine Wohltat fürs Volk; denn der Mensch sei vom Anfange an eine faule Bestie und müsse deshalb mit einem eisernen Zepter beherrscht und mit Ruten zum Guten gepeitscht werden!

10] Herr, was ich hier kundgegeben habe, ist keine irgend eitle Dichtung meiner Einbildungskraft, sondern volle Wahrheit! Das ist eines jeden vollkommenen Pharisäers innere Anschauung der göttlichen Offenbarung, die stets desto wertvoller sei, je unverständlicher sie sei. Salomos Hoheslied hätte gerade so den rechten Zuschnitt; auch die Propheten samt dem Moses hätten viel des sehr Brauchbaren! Und das war denn auch ein Mitgrund, warum ich mich denn so ganz besonders auf das Hohelied geworfen habe.

11] Ich bin nun wieder zu Ende und glaube, hinlänglich bewiesen zu haben, dass meine früheren Gesinnungen unmöglich anders sein konnten; denn wie der Unterricht, so der Mensch, und also auch sein Wille und seine Tätigkeit! dass ich nun mit der tiefsten Verachtung auf solch einen echt höllischen Unterricht zurückblicken kann, versteht sich wohl von selbst! Ich erwarte aber auch nun von Dir, o Herr, dass Du mir, infolge Deiner Liebe und Weisheit, dies mein hier treu und wahr kundgegebenes Denken und Handeln gnädigst nachsehen und vergeben wirst!“

12] Sage Ich: ”Wie könnte Ich dir's vorenthalten, da du doch selbst all dies Höllenwerk aus dir für immer verbannt hast? Und Ich ließ ja eben aus dem Grunde dich alles dessen laut vor uns allen entäußern, auf dass dein Herz vollkommen frei würde und du nun ganz vom innersten Lebensgrunde der vollsten Wahrheit angehören kannst! Zugleich aber habe Ich damit auch den Zweck verbunden, dass alle hier Anwesenden aus dem Munde treuer Zeugen vernehmen sollen, wie das Pharisäertum in dieser Zeit durchgängig bestellt ist, und wie es sonach notwendig war, dass Ich Selbst persönlich in diese Welt kommen mußte, auf dass nicht alle Menschheit verderbe und zugrunde gehe. - Nun aber vergleicht euch, ihr beiden, auch vollkommen wieder, und Simon soll nun seine innerste Ansicht über Mich uns allen kundtun!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 4  |   Werke Lorbers