Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 150


Die Seelen der beiden Verunglückten im Jenseits.

01] (Mathael:) ”Es dauerte aber gar nicht lange, so entdeckte ich etwas wie ein graues Menschengerippe auf der Oberfläche des Wassers langsam herumschwimmen, begleitet von ganz sonderbar aussehenden schwarzen Enten. Es mögen derer bei zehn an der Zahl gewesen sein. Nur die Füße, aber erst unter den Knöcheln, waren ganz mager befleischt; alles andere waren haut- und fleischlose Knochen, was mir im hohen Grade sonderbar vorkam. Anfangs lag das schwimmende Gerippe mit dem Gesichte nach oben gekehrt; aber nach etwa einer halben Stunde hatte es sich umgedreht, fing wie ein gewandter Schwimmer mit Händen und Füßen an zu arbeiten und schien sich zu bemühen, die schwarzen Enten von sich abzuwehren. Diese aber waren hartnäckig und wollten den sehr unheimlich aussehenden Schwimmer durchaus nicht verlassen.

02] So trieb sich dies rätselhafte Gebilde eine gute Stunde, bald schneller und bald wieder langsamer, auf des Teiches Oberfläche nach allen Richtungen herum, tauchte auch ein paar Male unter und kam wieder in die Höhe. Ich hätte dies Ungetüm für ein Wassertier gehalten, wenn mein Vater dasselbe auch gesehen hätte; aber er konnte seine sonst scharf sehenden Augen noch so sehr anstrengen, so konnte er aber dennoch nichts erschauen, wodurch ich dann ganz natürlich die Überzeugung gewinnen mußte, dass das im Teiche herumschwimmende Totengerippe etwas Unnatürliches, also Seelisches und Geistiges, war. Nach einer Stunde ward es ganz ruhig, und die schwarzen Enten taten, als nippten sie dem Gerippe noch irgendein vorhandenes Stück Fleisches herab.

03] Weil da nichts von irgendeiner Bedeutung mehr geschah, so kehrten wir wieder zu unserem Affen zurück, der sich eben emporzurichten anfing und zu versuchen begann, auf den zwei Hinterbeinen zu stehen und schlechtweg zu gehen. Aber mit dem Gehen ging es schlecht. Das Wesen sank bei jedem fünften Schritte mit den Vorderbeinen zur Erde, erhob sich jedoch schnell wieder und sah sich dabei stets nach allen Richtungen um, und man konnte aus dem Charakter des emsigen Umherschauens den Schluß ziehen, als fürchte sich das Wesen vor irgend etwas oder als habe es einen bedeutenden Hunger und sehe sich nach einer ihm zusagenden Kost um. Mit diesen Geh- und Stehversuchen kam es bis zu unserem berüchtigten Teiche. Dort ersah es aber bald unser Gerippe, das sich nun wieder im Teiche in der Gesellschaft der unheimlichen Enten herumtrieb.

04] Als unser Affe, oder sicher unseres verunglückten Knaben Seele, des Gerippes ansichtig ward, da stieß er einen heftigpfeifenden Schrei aus und betrachtete das Gerippe mit einer besonderen Aufmerksamkeit. Nach einer Zeit von etwa einer halben Stunde richtete er sich ganz gerade wie ein Mensch auf, und ich vernahm ganz deutlich die Worte in einer Art Lispelstimme: "Das war meines schlechten Leibes unglücklicher Vater! Wehe ihm und mir; denn uns beide hat Jehovas Zorn und Gericht ereilet! Bei mir kann immerhin noch geholfen werden; aber wie wird ihm zu helfen sein?"

05] Hier hielt der Affe inne und zeigte ein höchst betrübtes Gesicht, während im Teiche die schwarzen Enten ganz munter das nicht viel Leben äußernde Gerippe im Wasser herumneckten und herumtrieben. Dieser Stand dauerte nun abermals eine gute halbe Stunde, und es verliefen sich bei der Gelegenheit nahe auch alle Menschen bis auf etliche wenige Römer und Griechen, die aber in einem sehr geschäftlichen Diskurse standen und auf unsere stillen Beobachtungen gar nicht achteten.

06] Mein Vater fragte mich, ob ich irgend weiteres noch bemerke. Ich verneinte und sagte ganz kurz: "Nicht das Geringste bis jetzt!"

07] Da meinte der Vater, dass wir gehen könnten; denn da werde schon alles Sehens- und Denkwürdige beisammensein, und es dürfte uns etwas Weiteres, was da Jehova mit den beiden Seelen unternehmen werde, kaum kümmern.

08] Ich aber sagte: "Vater, bei drei Stunden Zeit haben wir den beiden Seelen gewidmet und haben auch nichts davon außer ein stilles, trauriges Spektakel vor meinen Augen; widmen wir ihnen darum noch eine Stunde, - vielleicht kommt da doch noch irgend etwas Interessantes heraus!" Der Vater war mit meinem Antrage ganz zufrieden, und wir blieben. Nach wenigen Augenblicken dieser unserer Unterredung aber bekam die Sache plötzlich ein anderes Gesicht.

09] Der Affe richtete sich plötzlich ganz voll Grimmes auf, sprang auf des Wassers Oberfläche und fing daselbst an, die unheimlichen Enten zu fangen, und wehe jeder, die er gefangen hatte! In einem Nu ward sie in tausend Stücke zerrissen! Bis auf fünf hatte er alle vernichtet; die übriggebliebenen fünf aber machten sich auf und davon.

10] Als diese bösen Enten auf diese Weise verschwunden waren, hob der Affe das Gerippe aus dem Wasser und setzte es, mir sichtbar, ungefähr fünf Schritte weg vom Teiche auf einen recht schönen Rasenfleck und sagte dann: "Vater in deiner großen Armut, vernimmst du meine Stimme, vernimmst du mein Wort?" Da nickte das sitzende Gerippe mit dem offenbarsten Totenschädel und gab dadurch offenbar zu verstehen, dass es des Sohnes Worte vernehme und sicher auch verstehe.

11] Und der Affe, der nun aber zusehends mehr Menschliches in seiner Form annahm, erhob sich, als hätte er eine bedeutende Gewalt, und sagte nun mit einer mir sehr wohl vernehmbaren Stimme: "Vater! So es einen Gott gibt, da kann es nur einen guten und gerechten geben! Dieser Gott verflucht niemanden; denn so der Mensch ein Werk dieses Gottes ist, kann er keine Pfuscherei, sondern nur ein Meisterwerk sein! Fände sich aber ein Meister, der im Ernste sein Werk verfluchte, so stünde er ja tief unter einem ärgsten Pfuscher; denn sogar ein Pfuscher verdammt sein Werk nicht, sondern hält sich darauf noch was zugute. Und Gott als ein Großmeister aller Meister sollte Seine Werke verfluchen?

12] Das Verfluchen und Verdammen ist eine Erfindung der Menschen als Folge der Blindheit und Unausgebildetheit der menschlichen Natur. Die Fehltritte, die ein erst werdender Mensch begeht, sind Proben, wie der selbständig werden sollende Mensch seine Willensfreiheit gebrauchen soll, und das Handeln des Menschen ist eine Übung der Sichselbstbestimmung in der Sphäre des Erkennens sowohl, als auch in der Sphäre des freien Willens in einer gewissen Ordnung, die also gestellt sein wird durch alle endlosen Reihen der großen Schöpfungen des einen weisen Schöpfers, dass nur in solch einer Ordnung eine Existenz der Wesen für zeitlich und ewig denkbar ist und sein kann.

13] Der Fluch der Menschen ist ein böses Stück aus ihrer Nachtseite; sie verderben sich und ihre Nebenmenschen und stürzen am Ende Völker in die größte Not, in den größten Jammer und in alle Verzweiflung. Dich, meinen armen Erdenvater, tötete des Hohenpriesters zehnfacher Fluch, obwohl du vor Gott dich nicht eines Fluches würdig gemacht hast. In deiner großen Verzweiflung nahmst du dir selbst das zeitliche Leibesleben und bist nun elend hier als eine traurigste Ausgeburt des pur menschlichen Divinationshochmutes (Der Hochmut eines sich als Gott Dünkenden); ich aber habe sicher Gnade von Gott bekommen und so viel Einsicht und Kraft, den zehnfachen Hohenpriesterfluch, der dich in der Gestalt schwarzer Wasservögel plagte, von dir zu entfernen, und du bist nun im Freien und Trockenen. Ich aber werde nun alles aufbieten, dir hier in dieser deiner großen Not und Armut zu helfen, soviel mir meine Lebenskraft gestatten wird!"

14] Während dieser Rede gewann der frühere Affenmensch stets mehr und mehr an wahrhaft menschlicher Form, und nach dem Schlusse der angeführten Anrede ward der Mensch vollkommen ausgebildet zu einer ganz anmutigen Menschenform und wurde angetan wie aus der Luft mit einem lichtgrauen Faltenkleide. Neben ihm aber lag noch etwas in einem Tuche Eingewickeltes. Der nun ganz schöne Knabe löste es und zog ein langes, aber dunkelgraues Hemd hervor und sagte: "Aha, das ist ein Kleid für dich; laß es zu, dass ich es dir anziehe!"

15] Der Gerippemensch nickte bejahend, und der Knabe legte ihm das Hemd in einem Nu an und band ihm das Tuch, das von einer etwas helleren Farbe war, um die Stirne in der Art eines Turbans, und es bekam dadurch das Gerippe ein besseres Ansehen. Der nun ganz mutige Knabe griff darauf dem Alten unter die Arme und wollte ihn aufrichten zum Stehen; aber das gelang ihm nicht.

16] Nach mehreren Versuchen rief der Knabe, der nun schon eine Jünglingsgröße hatte, mit durchdringend lauter Stimme, die sogar mein Vater gehört zu haben vorgab, aber ohne Artikulation: "Jehova! Wenn du irgendwo bist, so sende mir und meinem Vater irgendeine Hilfe! Er hat nicht gesündigt, sondern derer gröbste Sünde, die als Menschen ein göttliches Ansehen sich anmaßen, um von der Welt desto mehr Ehre und Nutzen zu ziehen, hatte ihn wie ein aus den Wolken gefallener Stein ordentlich zermalmt, und er liegt nun hier als eine arme, von der Welt verdammte Seele! Wird sie darum auch von Dir aus für ewig verdammt sein und bleiben? Gib ihr wenigstens eine Haut über die scheinbaren Knochen! Denn zu sehr dauert mich des Vaters zu grauenerregende Kahlheit! Hilf Jehova, hilf!"

17] Auf diesen Ruf erschienen bald zwei mächtige Geister und rührten das Gerippe in der Gegend der Schläfe an. Augenblicklich bekam es Sehnen, Haut, etwas wenig Haare und - wie es mir vorkam - auch die Augen, aber sehr hohl und tiefliegend. Aber keiner von den beiden Geistern verlor ein Wort, und sie verschwanden nach dieser Handlung alsogleich wieder.

18] Darauf versuchte der nun schon ganz vergnügt aussehende Knabe den nunmaligen Skelettmenschen aufzurichten, dass er stehe; und es gelang ihm diesmal. Als der Alte nun stehen konnte, fragte der Junge ihn, ob er auch gehen könnte. Der Alte bejahte solches mit einer äußerst kreischend hohlen Stimme; der Junge aber griff ihm gleich unter die Arme, und beide bewegten sich nun gegen Süden weiter, und bald wurden sie mir unsichtbar.“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 4  |   Werke Lorbers