Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 47


Die vorbereitenden Bedingungen zur somnambulen Behandlung.

01] Sagt Cyrenius in einem zwar ernsten, aber doch menschlich sanften Tone: ”Fortziehen darfst du nicht, aber wegen einer zu erwartenden Strafe auch nicht hier verweilen, sondern allein um deines Heiles willen! Am Strafen der Sünder haben wir Römer noch nie ein Vergnügen gehabt, sondern nur an ihrer wahren und vollkommenen Besserung. Kann diese ohne die scharfe Zuchtrute erzielt werden, so ist uns das allzeit um vieles lieber! Die Zuchtrute nehmen wir erst dann zur Hand, wenn alle andern Mittel nichts nützen. So wird auch niemand wegen einer einmaligen Sünde gegen das bestehende heilsame Gesetz zur strengsten Verantwortung gezogen; das geschieht erst dann, so er zum wiederholten Male dieselbe Sünde begangen hat, entweder aus zu großem Leichtsinn oder gar aus dem allerverderblichsten Mutwillen. Wer da immer mutwillig wiederholt eine Sünde begeht, der muß auch mutwillig bestraft werden!

02] Nun, du hast nach deinen alten spartanischen Grundsätzen nur aus Not gesündigt und stehst nun zum ersten Male vor einem Richter! Aus diesem Grunde allein wirst du auch nicht verflucht und gerichtet werden; aber du mußt nun hier dein Arges und Dummes erkennen und ablegen! Deine sehr kranke Seele wird geheilt werden, und du mußt den Segen der weisen Gesetze einsehen und sodann erst fest danach zu handeln anfangen, so wirst du dann erst von hier als ein ganz Freigewordener heimziehen und selbst eine große Freude haben darum, weil du ein wahrhaft reiner und freier Mensch sein wirst.

03] Damit aber solch eine Heilung bezweckt werden kann, so wird ein reiner und physisch und geistig kräftiger Mann aus unserer Gesellschaft dir seine heilbringenden Hände auf dein Haupt und auf deine Brust legen; und solch eine überzarte Behandlung wird bei dir erst jene in dir selbst schlummernden Begriffe erwecken und beleben, aus denen heraus du dann erst das Heil der geordneten und scharf sanktionierten Gesetze Roms erkennen und dich selbst darüber freuen wirst! - Bist du damit einverstanden?“

04] Sagt Zorel, etwas heiterer denn zuvor: ”Hoher Herr und erhabenster Gebieter! Ich bin schon mit allem einverstanden, was da nicht Schläge, Enthauptung oder gar Kreuzigung heißt! Ob mich aber solch eine Behandlung zu besseren und vernünftigeren Grundsätzen bringen wird, dafür stehe ich nicht völlig gut; denn ein bejahrter Baum läßt sich nicht mehr gar leichtlich biegen! Aber an der Möglichkeit will ich gerade eben auch nicht gänzlich zweifeln! Wo aber ist der Mann, der mir seine kräftigen Hände auflegen wird?“

05] Cyrenius fragt Mich seitwärts, ob es nun an der Zeit wäre.

06] Sage Ich: ”Noch eine kleine Geduld; lasse nun der Seele noch eine kleine Verdauungsfrist! Der Mensch ist nun voll aufgeregter Gedanken und würde nicht gut in den verzückenden Schlaf zu bringen sein; auch Zinka darf nicht eher als der dazu Gewählte ihm gezeigt werden, als bis es an der vollends rechten Zeit sein wird! Ich werde euch dazu schon den Wink geben.“

07] Nach solchen Meinen Worten und nach solcher Meiner Bestimmung verhält sich alles eine Zeitlang still, und unser Zinka harret mit einer ängstlichen Freude auf Meinen Wink zur Behandlung des Zorel. Dieser aber faßt nun allerlei Gedanken, was man etwa doch im Ernste Gutes, möglich nach seiner Idee aber auch Arges mit ihm vornehmen könnte. Aber er durchmustert unsere Gesichter und sagt dann bei sich selbst: "Nein, aus diesen Menschen leuchtet keine Hinterlist; denen kann man sich anvertrauen! Diese können nur Gutes, nie aber etwas Arges tun!"

08] Nun, diese Vorbereitung aus sich selbst heraus war vor der vorzunehmenden Behandlung notwendig, ohne welche das Auflegen der Hände von seiten unseres Zinka eine fruchtlose Mühe geblieben wäre. Denn bei diesen Behandlungen muß der zu Behandelnde selbst in ein gewisses Glaubens- und Vertrauensstadium gesetzt werden, ohne das es nicht leicht möglich wäre, ihn mit aller menschlich möglichen, wenn noch so überflutenden Seelensubstanzialkraft in den heilsamen Verzückungsschlaf zu bringen.

09] Ah, ganz was anderes ist es dann bei vollkommen aus dem Geiste und im Geiste wiedergeborenen Menschen! Diese bedürfen so wie Ich nur ihres erregten Willens, - und der Akt der Heilung ist vollbracht! Aber bei noch nicht voll wiedergeborenen, einen Kranken also behandelnden Menschen muß auch die Erweckung und Belebung des zu behandelnden Menschen vorausgehen, ansonst - wie bemerkt - die ganze Behandlung eine vergebliche Mühe und Arbeit wäre.

10] Nun ist unser Zorel reif und Ich gebe nun sogleich dem Zinka den bekannten Wink, dem Zorel die Hände aufzulegen.



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