Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 30


Handeln und Reden.

01] Nachdem wir aber den Zinka auf diese Weise ein wenig zur Ruhe gebracht hatten, kam Risa als der zweite Schwiegersohn des Cyrenius und fing an, sich auch auf eine ähnliche Art zu entschuldigen.

02] Aber Raphael klopfte ihm auf die Achsel und sagte: ”Freund! Bleibe du nur schön bei der Wahrheit deines Herzens; denn du bist lange kein Zinka! Du bist zwar gut und ehrlich, aber reden sollst du nie anders, als es dir ums Herz ist! - Verstehst du das?“

03] Sagt Risa: ”Ja, Freund aus den Himmeln, ich verstehe, was du mir gesagt hast, und ich will reden, so ich je rede, wie es mir ums Herz ist, und keine Unwahrheit soll über meine Lippen kommen! Ich bin zwar noch ein junger Mensch und habe weniger Erfahrungen als so mancher andere; besonders wenige Erfahrungen aber habe ich mit dem weiblichen Geschlechte gemacht und war noch nie in irgendeine Jungfrau verliebt. Aber ich fühle mich im Herzen außerordentlich angezogen und fühle es, wie ich über alle die Maßen glücklich sein werde, wenn die himmlisch schöne Ida mein Weib würde; aber ich fühle es auch, wie ich mich bei diesem großen Glücke ganz entsetzlich dumm ausnehmen werde. Aus diesem eigentlichen Grunde möchte ich dieses Glück für mich missen!

04] Jetzt ist meine Liebe zur Ida noch lange keine Leidenschaft, und ich könnte auf dies zu erwartende Glück noch leichten Gemütes verzichten; werde ich aber später mehr entzündet, und mir würde das Glück dennoch nicht zuteil werden, so würde mir das ein übergroßes Herzeleid bereiten, dessen ich mich dann schwerst entledigen könnte. Aus eben diesem Grunde möchte ich es vom Herrn und vom Cyrenius aus haben, dass ich jeder Hoffnung auf so ein Glück ledig würde!

05] Siehe, du mein Himmelsfreund Raphael, so fühle ich es, und also habe ich denn nun auch geredet! Kannst du mir da ein wenig helfen, so tue es, bevor es zu spät wird! Denn eine rechte Hilfe muß auch zur rechten Zeit geschehen, - sonst ist sie zu wenig nütze!“

06] Sagt Raphael: ”Freund, da wirst du von mir aus wenig oder gar keiner Hilfe benötigen; darum bleibe es nur so, wie es der Herr bestimmt hat! Du selbst kannst zwar auf alles verzichten - denn wider des Menschen freien Willen bestimmt der Herr nie etwas, außer das Maß und die Form des Leibes -; aber es bringt dem Menschen eben nicht irgend besonders vielen Segen, so er auf das zuwenig achtet, was der Herr, wenn auch nur durch einen leisesten Wink, geraten hat. - Verstehst du auch das?“

07] Sagt Risa: ”Ja, auch das verstehe ich und sage darum nichts als: Es geschehe stets des Herrn Wille; denn wer Gottes Willen tut, der kann unmöglich je fehlen. Denn Gott der Herr muß es ja doch am besten wissen, was uns Menschen am meisten frommt. Daher werde ich aber auch von nun an stets alles mit dem größten Dank im Herzen annehmen und danach tun, wie es der Herr verordnen wird! Was der Mensch leicht tun kann, weil er dazu schon im Herzen einen Drang hat, das soll er schon allzeit tun und sich nie darüber hinwegsetzen. Es ist genug des Kampfes in anderen Dingen, über die des Menschen schwacher Wille schwer Sieger wird. Soll er nun in leichten und höchst angenehmen Dingen auch schwachwillig werden, da wird er in der wahren Tugend schon ganz sicher schlechte Fortschritte machen! - Habe ich recht geredet oder nicht?“

08] Sagt Raphael: ”Allerdings; aber das sei dir auch noch gesagt, dass es besser ist, viel und gut handeln, als viel und gut reden! Wenn dich die Menschen viel und gut handeln sehen werden, so werden es dir auch viele nachtun; werden sie dich endlich viel und gut reden hören, so werden sie es dir auch wollen gleichmachen. Da aber gar vielen zur wahrhaft guten Rede die rechte Weisheit mangelt, so müssen sie denn doch sicher nur einen Unsinn zusammenreden und schaden dadurch vielen schwachen Gemütern und sich selbst auch, weil sie dadurch hochmütigen und einbildnerischen Herzens werden. Durch eine unnötige Redelust werden mit der Zeit allerlei falsche Lehren verbreitet, und die arme Menschheit wird geblendet und in alle Finsternis gebracht, so dass es hernach etwas Schweres ist, sie wieder zu erleuchten; durch viele und gute Handlungen aber wird die Menschheit edlen und offenen Herzens. Ein edles und offenes Herz aber ist ohnehin die beste Pflanzschule zur wahren Weisheit und wird auch da gut und recht zu reden verstehen, wo es vonnöten sein wird.

09] Dieses aber habe ich dir darum gesagt, weil du eine oft zu große Redelust in dir birgst, aber dazu noch lange nicht alles besitzest, was zu einer vollkommen guten Rede vonnöten ist; daher rede du wenig, aber dafür höre und handle du desto mehr, so wirst auch du ein wahrer Jünger des Herrn sein, und das nach Seinem Willen und nach Seinem Wohlgefallen!

10] Die dereinst reden und predigen sollen, die wird der Herr dazu schon eigens auserwählen; die Er aber nicht eigens fürs Reden und Lehren auserwählen wird, die sind von Ihm nur fürs Handeln nach Seinem Worte und nach Seiner Lehre bestimmt und sollen demnach nur allzeit das tun, wozu sie vom Herrn aus die unzweifelhafte Bestimmung haben. So werden sie sich allzeit des Wohlgefallens Gottes und irgendeiner besonderen Gnade zu erfreuen haben. Sage das auch deinen Freunden und Amtsgefährten; denn auch unter ihnen gibt es manche, die sich darauf auch so manches noch zugute halten, dass sie geordnet und geschmeidig reden können! Sie sind vom Herrn auch nicht zur Rede, sondern nur zur Handlung ausersehen.

11] Der Herr läßt dich aber darum nun irdisch glücklich werden, auf dass du dereinst recht viel Gutes wirken kannst; hätte der Herr dich aber zu einem Redner und Lehrer berufen, so würde Er zu dir sagen: "Komme und folge Mir, wohin Ich ziehe, und lerne alle Weisheit des Reiches Gottes erkennen!" Denn siehe, zum Reden und Lehren wird mehr erfordert denn zum Handeln, und dennoch ist das Handeln die Hauptsache - und Rede und Lehre nur der Wegweiser dazu!

12] Siehe, wie angenehm dem Herrn der Cyrenius ist; aber wegen der guten Rede sicher nicht, sondern wegen der guten und vielfach edlen Handlungen! Wer aber viel Gutes und Edles tut, der kann, so es irgend nötig ist, schon auch gut und recht reden; denn ein offenes und edles Herz bleibt nie ohne Licht aus den Himmeln. Wer aber das hat nach dem Maße seiner vielen guten und edlen Taten, dem wird es auch stets klar sein, wo, wann und wieviel er zu reden hat. Verstehst du, mein lieber Risa, nun auch das so recht wohl, was ich nun zu dir geredet habe?“

13] Sagt Risa: ”Wie sollte ich das nicht; denn du hast ja die reinste Wahrheit geredet, und diese ist allzeit für jedermann wohl verständlich! Ich werde mich streng und stets nach diesen deinen Worten richten. Was ich aber nun von dir vernommen habe, werde ich sogleich auch allen meinen Gefährten wiedergeben; nur das einzige möchte ich noch erfuhren, ob denn Zinka

auch bloß nur zum Handeln oder danebst auch zum Lehren berufen ist!“

14] Sagt Raphael: ”Mein Freund Risa, zwischen deinen und des Zinka Erfahrungen besteht ein gar großer Unterschied! Er ist eine große Seele, von oben herabkommend, und hat viele und große Erfahrungen hinter sich, obwohl er nur um zehn Jahre älter ist denn du; und daher wird er vom Herrn auch gesetzt werden zum Handeln und zum Reden. Wenn aber auch du viele Erfahrungen hinter dir haben wirst, so wirst du auch gut zu reden und zu lehren haben. Aber für jetzt sammle dir Erfahrungen und werde reich an guten und edlen Handlungen!“



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