Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 146


Der Charakter des Obersten.

01] Nach einer Weile tiefen Besinnens sagte der Oberste: ”Wie kannst du mir aber vor aller Welt beweisen, dass ich im Herzen anders denke, als ich mit dem Munde rede, und dass ich das nicht glaube, was ich das Volk lehre?! Wenn meine Vorfahren an den Propheten sich vergriffen haben, was ich nicht leugnen kann und werde, welche Schuld kann denn da mir darob zur Last gelegt werden, der ich alle die heiligen Seher Gottes stets im höchsten Grade geehrt habe?! Wenn Tausende von meinen Kollegen allenfalls keinen Glauben an das haben, was sie lehren, wo liegt denn darin ein Beweis, dass auch ich so etwas nicht glauben sollte?!“

02] Sagt Cyrenius: ”Der Beweis, mit Händen und Füßen zu greifen, liegt darin, dass du, nach deiner Rede zu urteilen, ein viel zu kluger Mann bist, um einen allerdicksten Unsinn als eine aus Gott kommende Wahrheit annehmen zu können! Du verstehst die hohe Rechenkunst, und die Rechenkundigen sehen doch nicht gar so leicht eine Mücke für einen Elefanten an, was du mir nie in irgendeine Abrede wirst zu stellen imstande sein!“

03] Sagt der Oberste: ”Aber wo ist denn der Unsinn hernach, den ich als ein Rechenmeister unmöglich glauben könnte?!“

04] Sagt Cyrenius: ”Glaubst du zum Beispiele in deinem Herzen wohl an die wunderbare Düngewirkung des Tempelmistes, den du meines Wissens selbst alle Jahre in der Regel gar so hoch angepriesen hast?! Glaubst du an die Heilwirkung des allzeitigen Neumonds?! Glaubst du wohl, dass in der neuangefertigten Bundeslade Jehova auch also wohne, wie Er in der von euch schon lange verworfenen alten, mosaischen gewohnt hat?! Glaubst du an die Identität (Gleichheit) der Naphthaflamme auf eurer Lade mit jener merkwürdig heiligen Feuer- oder Rauchsäule über der Bundeslade, die dem Moses aus Ägypten geleuchtet hat?! Glaubst du wohl, dass es dem Menschen nützlicher sei, im Tempel zu opfern, als nach den Geboten Gottes seine Eltern zu lieben und ihnen in allen guten Dingen gehorsam zu sein?!

05] Sage es mir offen, ob du das nebst noch tausend andern ähnliche, aller menschlichen Vernunft baren Sätzen eurer Lehre glaubst! Denn glaubst du wirklich selbst daran - was mir unmöglich dünkt -, so bist du im Ernste dümmer als ein Kamel und taugst für alles eher als für einen Volkslehrer; glaubst du es aber nicht, und lehrst du das arme Volk dennoch solch einen bösen Unsinn mit Mord, Brand und Schwert, an den du als ein Mann von vielen sonstigen Kenntnissen und Wissenschaften nie glauben kannst, so bist du ein allerverächtlichster Volksbetrüger und taugst schon aus politischen Staatsrücksichten viel eher in ein ewiges Strafgefängnis als Sträfling denn zu einem Volkslehrer!

06] Siehe, da ist mit dir ja offenbar die Szylla und Charybdis fertig! Ich will dich mit einem kaiserlichen Ehrenzeichen schmücken, so du mir irgendeinen zu entschuldigenden Mittelweg in Vorschlag zu bringen imstande bist!“

07] Hier fängt der Oberste an, sich ganz gewaltig hinter den Ohren zu reiben, und weiß nun nicht mehr, wo aus und wo ein.

08] Sagt Herme, der Sänger - oder wie vorher, der Bote aus Cäsarea Philippi -, zum Cyrenius: ”Hoher Gebieter! Jetzt erst ist man ganz vernäht und findet keinen Ausweg mehr aus dem Garne! Oh, das geschieht diesem Wüterich gegen alles Gute und Wahre vollkommen recht! Kennte ich ihn nicht so gar, wie ich ihn kenne, so könnte ich ihn sogar bedauern, denn mich erbarmt bald ein noch so arger Sünder, so er in eine große Verlegenheit gerät; aber den Kerl könnte ich bei lebendigem Leibe braten sehen, und es würde mir geradewegs ein Vergnügen machen! Es ist hier nicht an der Zeit und am Orte, davon zu reden, was man sich von diesem Herrn Obersten alles schon so im Vertrauen erzählt hat; aber dessen kannst du sicher sein, dass auf seinem ganzen Leibe kein gutes Härchen steckt!

09] Es werden von euren Gerichten viele zum Kreuzestod verurteilt, die als Menschen noch um sehr vieles besser stehen als dieser allergewissenloseste Hauptlump da! Allein ich bin kein Richter und habe darum auch niemand zu verurteilen; aber eine recht große Freude habe ich nun dennoch darüber, dass dieser Kerl so schön ins Hauptgarn gegangen ist!“

10] Sagt Mathael lächelnd: ”Aber es ist noch sehr darauf achtzuhaben, dass er nicht das Garn durchreißt und uns am Ende noch allen ins Gesicht lacht! Bis jetzt hat er mit seiner Sprache sich noch sehr auf dem gemäßigten Wege gehalten; wenn er aber einmal so recht in die Enge getrieben wird, so wirst du, Cyrenius, schon sehen, wie er zu parieren anfangen wird! Ich kenne ihn nun erst so ganz, obschon ich ihn schon vom Tempel aus ebenfalls kenne! Sieh, dieser ist es, der vor dreißig Jahren die Hand an den Oberpriester Zacharias gelegt und ihn zwischen dem Opferaltare und dem Allerheiligsten, durch den Vorhang getrennt, ermordet hat! - Aber nun nichts Weiteres mehr davon!“

11] Sagt Herme voll Freuden: ”Oh, derart Stücklein kenne ich noch eine Menge von ihm; aber sie sind nicht strenge genug erweisbar, und so läßt sich da wenig oder nicht viel machen!“

12] Sagt Cyrenius, ganz erstaunt über die Aussage des Mathael: ”Ah, was sagst du mir da?! Also dieser Kerl von einem Obersten hätte jenem aller Menschen Zeugnisse nach höchst frommen und weisen Oberpriester im Tempel das Lebenslicht ausgelöscht? Na gut, dass ich davon nur so einen Wink habe; alles andere werde dann schon ich besorgen!“

13] Hier gab Cyrenius dem Hauptmann Julius einen Wink, Wachen auszustellen, damit von den Erzpharisäern ihm niemand entkomme.

14] Julius gab sogleich geheimen Befehl, und es geschah sogleich, was Cyrenius befohlen hatte; aber der Oberste merkte dennoch etwas davon und fragte den Cyrenius: ”Wem gilt diese Bewegung?“

15] Antwortet Cyrenius: ”Danach hast weder du noch irgendeiner von deinem Gelichter zu forschen; denn Menschenungeheuern deiner Art gibt Cyrenius keine Antwort mehr! Denn du bist nicht nur ein elendester Volksbetrüger, sondern auch ein Volksmörder geistig und leiblich. Ich warte nun nur noch auf des Pflegers Bericht aus der Stadt und auf die Ankunft des Kornelius, Faustus und des Jonah aus Kis; dann werde ich dir schon sagen, warum ich nun die Wachen habe ausstellen lassen!“

16] Sagt der Oberste: ”Gut, dann werde aber auch ich dir erst sagen, warum ich so ganz eigentlich hier bin!“

17] Hier zieht der Oberste aus dem Rocke eine Pergamentrolle, zeigt sie dem Cyrenius und sagt: ”Kennst du dies Sigill und diese Unterschrift?!“

18] Hier stutzt Cyrenius, sagend: ”Das ist des Kaisers Siegel und seine Unterschrift! - Was soll es damit?“

19] Sagt der Oberste: ”Wenn es nötig sein wird, sollst du den Inhalt kennenlernen! Ich rate dir darum, von jeder weiteren Untersuchung gegen mich abzustehen, sonst dürfte dir diese Rolle sehr bedeutende Unruhen bereiten! Noch ehre ich dich als einen Biedermann; aber treibe mir die Sache, wohlgemerkt, nicht zu weit, sonst könnte ich etwa doch von dieser Rolle, die du so gar wie jedermann höchst zu respektieren hast, einen dir sicher sehr unliebsamen Gebrauch machen!

20] Wahrlich, ich hätte diese furchtbare Waffe nicht aus meiner Rocktasche gezogen, so du mich dazu nicht genötigt hättest; aber du fingst an, mich wie einen Wurm zu treten, und da ist es sehr an der Zeit, dir zu zeigen, dass du noch lange nicht allein Herr in diesem Territorium (Gebiete) bist! Ich meine nun, dass es besser wäre, die Wachen einzuziehen, weil ich sonst genötigt werden könnte, trotz des Sabbats neben die deinigen auch die meinigen hinzustellen!

21] Gelt, diese meine nun sehr veränderte Sprache geniert dich so ein wenig?! Kann dir aber wahrlich nicht helfen; denn es hat die deinige mich ehedem auch etwas geniert! Kurz, ich kenne nun dich, und du kennst nun auch mich! Tue nun, was dir klug und gut dünkt, und ich werde desgleichen tun! - Hast du mich wohl ganz verstanden?!“

22] Auf diese Worte kehrt der Oberste dem Cyrenius wie ein Herrscher den Rücken, begibt sich mit den Seinigen ans Ufer des Meeres und tut dort als einer, dem vom Kaiser aus im Notfalle eine große Macht zugestanden ist; Cyrenius aber befindet sich nun in einer großen Verlegenheit und weiß nun nicht, was er machen soll.

23] Nun sagt Mathael: ”Siehst du, Liebster, wie dir so ein Kerl mit allem, was zu seiner Sicherheit taugt, physisch und moralisch schon lange, und das wie eine Festung, bestens versehen ist?! Darum ist es da höchst schwer und eigentlich ganz fruchtlos, einen Richter zu machen, weil sich diese Menschen - der Herr weiß es, auf welchen Schleichwegen! - die allerhöchsten geheimen Privilegien zu verschaffen gewußt haben, gegen die sich nun höchst schwer zu Felde ziehen läßt!“

24] Sagt Cyrenius: ”Aber sage mir doch, lieber, weiser Mathael, wie möglich kam denn diese Menschen-Hydra (Hydra oder die Lernäische Schlange, d.i. der Name eines vielköpfigen Ungeheuers der griechischen Sage.) ohne mein Wissen und Wollen zu einem Sicherheitsdokumente aus der Hand des Kaisers?! Ja, da läßt sich nun freilich nichts anderes tun, als zum bösen Spiele irgendeine gute Miene machen! Da bin ich denn nun doch auf den Herrn neugierig, was Der dazu sagen wird!“

25] Sagt Mathael: ”Er wird jetzt darüber etwa auch nicht gar zu gerne eine rechte Rede und Antwort geben; denn Er hat es schon zum voraus gewußt, warum Er dir diesen Klub zur Prüfung übergeben hat, und scheint auf unsere ganze Verhandlung wenig aufgemerkt zu haben!“

26] Sagt Cyrenius: ”Aber um einen Rat müssen wir nun denn doch wohl fragen!“

27] Sagt Mathael: ”Allerdings; daran ist nun schon die höchste Not!“



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