Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 87


Die Scheinsonne.

01] Ich aber sagte: ”Ihr seid wohl noch sehr unerfahrene Kinder und bittet um etwas, das durchaus nicht geschehen darf in der Art, wie ihr es versteht und meint; denn seht, die Sonne geht ja nicht, sondern steht stets stille gegenüber der Erde! Wohl hat die Sonne auch eine große Bewegung, aber die geht die Erde ebensowenig an, als einen Staub auf eurem Rocke eure Bewegung von einem Orte zum andern angeht.

02] Was aber euch gibt den Tag und die Nacht, das bewirkt der Erde sehr rasche Umdrehung um ihre eigene Achse; denn Ich habe es euch bei Gelegenheiten ja erklärt, dass die Erde eine große Kugel ist und sich vom Abende bis nach Morgen hin dreht und darum stets einen Teil nach dem andern der Sonne zukehrt. Auf der ganzen Erde ist darum stets an irgendeinem Orte Morgen, auf einem früheren Orte zu gleicher Zeit Mittag, auf einem noch weiter gen Morgen liegenden Orte zu derselben Zeit Abend und noch tiefer nach Morgen hin Mitternacht, und diese benannten vier Punkte schieben sich immer unaufhaltsam vorwärts, also, dass binnen nahe 24 Stunden auf jedem Punkte der Erde einmal Morgen, einmal Mittag, einmal Abend und einmal Mitternacht wird. Das ist eine Ordnung, an der, bei Gefahr einer völligen Vernichtung alles auf der Erde Seienden, was die Bewegung betrifft, nie ein Haarbreit geändert werden darf!

03] Denn sollte Ich nun die Sonne der vollen Wahrheit nach noch eine Stunde lang über dieser Gegend leuchten lassen, so müßte Ich die ganze Erde in ihrem Umschwunge - der bei dem großen Kreise ihres Umfanges so heftig ist, dass ein paar Augenblicke schon einen Weg wie von hier bis Jerusalem zurücklegen -, natürlich augenblicklich hemmen. Dadurch aber würden alle freien Körper, die nicht zu fest mit der Erde im Verbande stehen, einen derart heftigen Stoß bekommen, dass dadurch nicht nur alle lebenden Wesen, als Menschen und Tiere, samt ihren Häusern und Hütten und Palästen stundenweit mit der größten Heftigkeit gegen Osten hin geschleudert werden würden, sondern ein solcher Stoß triebe auch die Meere aus ihren Tiefen über die Berge hin, und die Berge würden wie Sperlinge durcheinanderfliegen!

04] Aus diesem euch nun bekanntgegebenen ganz natürlichen Grunde kann Ich der naturgemäßen Wahrheit nach eurer Bitte kein Gehör geben; aber Ich kann, wie zu den Zeiten Josuas, euch auf ein paar Stunden lang eine Scheinsonne hinstellen, die ebenso leuchten wird wie die echte naturwahre. Diese Sonne aber wird dann natürlich nach ein paar Stunden wieder vollkommen zunichte werden, weil sie nur eine pure Luftspiegelung sein wird.

05] Darum gebt nun alle wohl acht darauf! Wenn die rechte Sonne untergehen wird, da auch wird die unechte von Westen her aufgehen und darauf volle zwei Stunden über dem Horizonte leuchtend verweilen.

06] Aber auch für das Erscheinen dieser nun besprochenen Scheinsonne werden keine überirdischen, sondern ganz natürliche Mittel in Anwendung kommen, obschon dazu angeregt und konstatiert (hervorgebracht) durch außerordentliche Kräfte aus den Sphären der Himmel durch Meinen innersten Willen. - Versteht ihr dies Gesagte nun wohl so ein wenig?“

07] Sagt Cyrenius: ”Ich wenigstens verstehe es vollkommen; denn ich besitze noch die wunderbare Pomeranze aus Ostracine! Herr, Du verstehest Mich!? Aber ob das gar alle hier Anwesenden verstehen werden, möchte ich fast bezweifeln!?“

08] Sage Ich: ”Das macht auch nichts! Wer es jetzt noch nicht völlig versteht, der wird es wohl später einmal verstehen; denn davon hängt das Heil der Menschenseelen durchaus nicht ab. Menschen, die die Erde zu gut erkennen, bekommen mit der Zeit zuviel Lust, die ganze Erde - was mit der Zeit ohnehin nicht ausbleiben wird - in allen Punkten zu durchwandern, und ziehen dadurch ihre Seelen zu sehr nach außen; diese werden dabei sehr materiell und gewinnlustig.

09] Darum ist etwas weniger Kenntnis über die Natur der Materie-Erde, aber dafür mehr Kenntnis seiner selbst besser.

10] Denn wer einmal sein Inneres vollends kennt, der wird auch früh genug zur Kenntnis nicht nur der ganzen Erde, sondern aller andern Weltkörper im endlosen Schöpfungsraume gelangen materiell und geistig, welch letzteres allein von Belang und der größten Wichtigkeit ist; aber die bloß äußere Kenntnis der Natur dieser Erde wird keiner Seele den Weg zur Unsterblichkeit bahnen.

11] Aber nun gebt acht darauf; sogleich wird die Natursonne unter dem Horizonte sein, und die Scheinsonne wird in dem Augenblick an ihre Stelle treten!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 3  |   Werke Lorbers