Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 6


Meinungsaustausch zwischen den Pharisäern und Julius über Jesus.

01] Sagt der junge Pharisäer und auch alle andern mit ihm: ”Darum sei Gott gelobt in der Höhe, dass Er dem Menschen solche Macht gegeben hat, die dem schwachen Sterblichen nur zum Heile gereichen kann! Es steht zwar in den Propheten, dass Gott dem Volke Israel einst einen Messias senden werde. Nun, was ist es, so wir ihn als solchen annähmen? Ein Messias nach den Verheißungen dürfe zwar nicht aus Galiläa geboren und herkömmlich sein; aber das ist auch eine Prophetensprache, die man im Grunde, was den Geist betrifft, denn doch nicht völlig versteht! Wir haben es zwar nie so recht eingesehen, warum aus Galiläa kein Prophet oder sonst ein großer Mann auferstehen solle, indem die Galiläer doch nicht darum können, dass sie Galiläer sind. Aber geschrieben ist es einmal! Wer es glauben will, der glaubt es; wer es aber nicht glauben will, der läßt es bleiben, und zu den letzteren dürften wir alle so ziemlich gehören, dass es uns demnach auch gar nicht beirrt, diesen Heiland aus Nazareth als einen Messias in bester Gestalt und Form anzunehmen.

02] Aber es ist denn gewisserart doch etwas höchst außerordentlich Sonderbares und eine große Frage, wie dieser Mensch zu solchen außergewöhnlich höchsten, gottähnlichen Eigenschaften gekommen ist! Denn soviel wir aus unseren Nachforschungen über ihn und seine Herkunft herausgebracht haben, so sei er eines Zimmermanns Sohn, der stets, bis etwa in sein dreißigstes Jahr, daheim geblieben sei und mit seinem Vater und etwaigen andern Brüdern gezimmert habe, bald dort, bald da, und es habe da niemals jemand etwas Außerordentliches an ihm entdeckt; man habe ihn auch nie lesen und schreiben und rechnen sehen, auch soll sein Umgang mit Menschen ein sehr wortkarger und nichts weniger als irgendein geistreicher gewesen sein!

03] Ja, man erzählte es uns in Nazareth selbst, dass ihn sein Vater und seine Mutter gar oft darum ausgezankt haben, weil er fürs erste nicht leicht in die Synagoge zu bringen war, sich fürs zweite nie die Schrift vorlesen lassen wollte und wenig oder nichts auf den Sabbat hielt. Sein Liebstes wäre ihm die Natur gewesen und eine stumme Betrachtung der Dinge der Erde.

04] Also soll auch das Fischen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehört haben, und er fischte stets mit gutem Erfolge, darum ihn die Fischer auch gerne bei sich hatten.

05] Kurz, was wir über ihn nur immer irgend in die Erfahrung haben bringen können, das deutete sicher darauf hin, dass er fürs erste einmal nirgends eine Schule besucht habe und fürs zweite ganz wohlbekannt stets ein Mensch gewesen sei, bei dem nur ein sehr geringer Grad von irgendeiner Bildung hervorgeleuchtet habe.

06] Aber auf einmal sei er erwacht und in eine solche Weisheit getreten, dass man mit der besten Überzeugung sagen könne, die Welt habe noch nie einen weiseren Menschen getragen!

07] Nun, das und natürlich noch eine Menge haben wir über ihn in die sicher treuwahrste Erfahrung gebracht, finden ihn nun hier und überzeugen uns, dass er ein ganz ungewöhnlich außerordentlicher Mann ist; und es kann uns daher durchaus nicht verargt werden, so wir fragen: Wie kam er zu solchen nie erhörten Eigenschaften, die vor ihm nie ein Mensch besaß und sicher fürder keiner mehr besitzen wird?“

08] Sagt Julius: ”Wer kennt aber auch das Ziel und das Maß des Geistes Gottes, inwieweit solcher sich in den wirksamen Verband mit dem Geiste eines Menschen setzen will?! Kann es nicht geschehen, dass der allmächtige Gottesgeist sich in aller seiner Machtfülle mit einem Menschengeiste verbindet und dann also handelt und wirkt, wie ganz natürlich nie ein purer Mensch handeln und wirken kann, weil er kein Gott ist?!

09] Wo aber Gott Selbst durch den endlos gestärkten Geist eines dazu sicher seltenst tauglichen Menschen redet, handelt und wirkt, da muß für uns schwache Sterbliche natürlich nichts als Wunder über Wunder zum Vorschein kommen. Wort und Tat sind eins, - wir können weder das eine noch das andere nachahmen; denn wir sind dem Leibe und dem beschränkten Geiste nach nur Menschen. Er aber ist nur dem Leibe nach ein Mensch gleich uns; aber dem Geiste nach ist Er ein Gott im höchsten Grade und beherrscht die ganze Unendlichkeit!“

10] Da aber - das heißt nach unseren römisch-theosophischen Begriffen das erkannte rein Göttliche, wie und wo es sich auch immer äußert, höchst zu verehren und anzubeten ist, so ist es auch hier klar, dass wir mit einem Menschen, durch den sichtlich und handgreiflich die ganze Fülle des allmächtigen Gottesgeistes wirkt, aber auch ganz anders handeln müssen, als wie wir unter uns gegenseitig handeln; das wird euch wohl sicher sehr einleuchtend sein!?

11] Und ihr könnt aus dem dann entnehmen, warum wir hochgestellten Römer Ihm aus aller Tiefe unseres Herzens die höchstmögliche Verehrung, Liebe und Achtung erweisen und Ihn vollkommen als den Herrn aller Welt anerkennen und hochpreisen. - Sagt mir, ob euch das nicht als notwendig und im hohen Grade einleuchtend vorkommt!“

12] Sagt der junge Pharisäer: ”O ja, allerdings; denn in vielen Stücken gefällt uns eure Theosophie überaus gut und ist unter den Umständen auch hier vollkommen auf ihrem rechten Platze. Nur, natürlich, nach der eigentlichen Lehre Mosis würde das freilich wohl nicht ganz gut und geheuer anzunehmen sein; denn dort heißt es allerschärfst und ausdrücklich: 'Ich allein bin der Herr, und du sollst keine fremden Götter neben Mir haben!“

13] Sagt Julius: ”Ganz richtig; aber man muß auch Moses verstehen nicht nur dem Wortlaute, sondern vielmehr dem wahren Geiste nach, und man wird dann auch bald und leicht finden, dass Moses mit seiner scharfen Lehre hier eigentlich gar keine Widersacherei finden kann, so ich den Grundsatz aufstelle, dass der Mensch eine oder eine andere Äußerung - aber stets eines und desselben Gottesgeistes, der mit Moses geredet hatte - auch stets als solche erkennen und höchst verehren solle, aus welchem Grunde die Ägypter, Griechen und wir Römer, wenn auch am Ende durch eine Art blinden Aberglaubens etwas zu weitgehend, allen Menschen und Geschöpfen, bei denen sie irgendeine besondere ungewöhnliche Kraft und Wirkung entdeckten, die göttliche Verehrung erwiesen.

14] Nun, aber da dachten wir: Dem Reinen ist am Ende doch alles rein! Wenn die etwas abergläubische Menschheit bei ihrer Verehrung des Göttlichen unter allerlei Gebilden nur nicht irgend in etwas Arges ausartet - wozu sie leider fast allzeit durch den Hunger und durch die stets wachsende Herrsch- und Habsucht der Priester verleitet wird -, die erzürnten Götter zu besänftigen durch grausame Menschenopfer, so kann man ihr einen gewisserart frommen Aberglauben nicht einmal zu einem zu groben geistigen Gebrechen anrechnen; denn nach meiner Ansicht ist es am Ende dennoch allzeit besser, der Mensch glaubt etwas, das denn doch einen guten Grund hat, als er glaubt am Ende gar nichts und stempelt sich sogestaltig selbst zum Tiere herab, das auch weder einen rechten noch irgendeinen Aberglauben haben kann.

15] Ein Mensch, der gar keinen Glauben annehmen will und kann, kann auch nie zu irgendeiner wahren Ausbildung seines Verstandes gelangen. Denn wer da ein Haus bauen will, muß sich zuvor um das dazu nötige Baumaterial umsehen. Wie aber wird jemand auch nur eine allereinfachste Fischerhütte errichten ohne alles Material? Ist in dem rohen Material aber auch anfänglich keine Ordnung, so läßt sich aber dennoch bald eine schaffen, wenn nur irgendein Material da ist; aber wo alles Material total mangelt, da hebt sich alles Ordnen desselben ganz sicher von selbst auf.

16] Darum sage ich, dass dem Menschen selbst ein Aberglaube am Ende noch immer mehr nützt als gar kein Glaube; denn es ist am Ende Stroh ja auch noch besser als gar nichts! Aus Stroh kann man schon etwas machen; hingegen aus nichts kann ewig nichts anderes als wieder nichts gemacht werden. Aus dem Grunde dulden die Römer auch eures Volkes oft allerfinstersten Aberglauben, weil wir noch immer irgendeinen Nutzen für die Menschheit darin ersehen.

17] Aber die Templer selbst sind uns ein Greuel, weil wir ganz bestimmt wissen, dass sie gar nichts glauben und darum dem Volke statt der Wahrheit die allerabsurdesten Dinge als höchst göttlich (glauben) machen und jene Menschen sogar mit den unerträglichsten Strafen belegen, die zufolge ihrer natürlichen Gewecktheit am Ende bei allem moralischen Zwange denn doch nicht glauben können, dass die Schönheit eine Häßlichkeit sei, die Sonne schwarz statt weiß leuchte und im Bache Kidron Blut fließe! Das halte ich für eine allerschändlichste Bosheit, aber irgendeinen Aberglauben eines Menschen für sich durchaus nicht!

18] Ja, wenn man dann irgendein Vermögen und eine gute Gelegenheit hat, den blinden Menschen ein rechtes Licht zu geben, so ist das freilich von einem unschätzbaren Werte; aber solange man das nicht imstande ist, lasse man dem Volke seine fromme Meinung! Denn kann man dem Volke dafür nichts Besseres geben, so lasse man ihm wenigstens das, was es hat!“



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