Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 219


Wo man die Wahrheit suchen soll.

01] Sage Ich: ”Freund, so du etwas verloren hast und suchst es dann an einem fremden Ort, da du nichts verloren hast, und hältst dich aber hernach auf, so du das Verlorene nicht findest, und wunderst dich, wie du so lange und mit allem Fleiße und vieler Aufopferung suchend dennoch nichts gefunden hast, - bist du auch ein kluger und nüchterner Mann, so warst du es in dieser Hinsicht wahrlich nicht!

02] Siehe, du fandest gleich im Anfang deines Erkennens Moses und alle die Propheten leer, geist- und wahrheitslos, du hieltest sie so wie alles für ein eitles Menschenmachwerk, hattest dir auch nie irgendeine Mühe genommen, in den Geist der Schrift einzudringen, du hast lieber Zeit und Gold verschwendet, um die Wahrheit dort zu suchen, wo sie nie zu finden sein konnte!

03] Du fandest dich sonach überall notwendig betrogen und hintergangen, fandest nichts denn Lüge, Heuchelei und den dicksten Betrug. Deine vielen Erfahrungen waren daher auch notwendig bitter und nützten dir bis zur Stunde zu nichts, außer dass sie dir sogar das Leben verhaßt machten und dir alle Liebe und Achtung und Ehrfurcht zu Gott benahmen.

04] Hättest du aber die Wahrheit nur auf dem rechten Platze gesucht, so hättest du sie auch sicher schon lange gefunden, so wie sie gar viele vor dir gefunden haben!

05] Glaube es Mir, die Wahrheit fordert keinen Glauben in der Weise, was du Glauben nennst, auch keine leere, hinterhaltslose Hoffnung, sondern sie schafft dir in deinem Lebensinnersten eine sonnenhelle Zuversicht, und läßt über das einstige Leben keinen noch so geringen Zweifel zurück! Die vollste und handgreiflichste Überzeugung lebt in deinem Geiste, so er wach wird durch die Liebe zu Gott und zu deinem Nächsten!

06] Aber natürlich weder in der Heidenschule zu Korak in Ägypten, und noch weniger bei den alten Narren in Indien läßt sich so etwas finden!

07] Das alles liegt dem Menschen viel näher und ist für jeden fleißigen Sucher ganz leicht zu erreichen; aber er muß es dort suchen, wo es zu finden ist, - sonst ist jede Mühe und Arbeit vergebens! Von Dornen und Disteln erntet man nie Trauben und Feigen, und in den Pfützen und Morästen kommt der Weizen nicht fort.

08] Du sagtest auch, dass du Gott weder Liebe noch Furcht, oder einen Dank schuldest, indem du Ihn nie gebeten habest, dir ein Dasein zu geben! Wäre dein Geist schon wach, so würde er es dir sicher klarst angezeigt haben, was du Gott, dem Vater aller Menschen, schuldig bist. Dein Fleisch und dein Blut weiß davon freilich ebensowenig, als es dein Rock weiß, wenn es dich in deinem Magen hungert.

09] Hier an diesem Tische aber findest du einen gewissen Philopold aus Kane in Samaria. Der dachte vor etlichen Wochen ganz so wie du nun, und seine Worte glichen auch den deinen. Besprich dich mit ihm, und du wirst zu einigem Lichte kommen; dann aber will erst Ich dir ein rechtes Licht geben, und es wird sich dann schon zeigen, ob Gott von dir aus irgendeiner wahren und getreuen Liebe wert sei oder nicht! Da gleich Mir gegenüber aber sitzt eben der Mann, mit dem du dich zuvor besprechen sollst! Gehe hin und folge Meinem Rate; er wird dir sicher mehr Nutzen schaffen als die Schule zu Korak!“

10] Murel begibt sich nun, den langen Tisch umgehend, zum Philopold und sagt: ”Der Meister hat mich zu dir beschieden, um von dir in der Sache, die mich sehr kümmert, ein erstes und wahres Fünklein Lichtes zu bekommen. Sage mir darum etwas Gutes und Wahres!“

11] Sagt Philopold: ”Freund, ich habe alles vernommen, was du vor uns allen dem Herrn ins Angesicht gesagt hast! Ich erkannte daraus so bei mir, dass ich einstens nicht viel anders gedacht und gesprochen habe; aber der Grund lag in mir selbst. Ich suchte auch, wo ich nie etwas verloren; wo ich aber etwas verloren, da suchte ich nicht und fand darum auch nichts. Erst als dieser Herr und Meister von oben und von Ewigkeit zu uns kam, wurden mir die Augen geöffnet! Ich erkannte, wer ich bin, und warum, und ich erkannte auch, was der Mensch überhaupt ist, und warum er da ist! Und nun, Freund, ist alles Licht in mir, und kein finsterer Zweifel beschattet irgend mehr mein hellsterleuchtetes Sein! Also wird es sicher auch jüngst mit dir der Fall sein!“



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