Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 146


Jarah zeigt Jüngern ihre Gedenkstücke von einem Stern.

01] Nach diesen Worten begeben sich der Hauptmann und der Ebahl hin zur Jarah und ersuchen sie, daß sie ihnen die zwei bewußten Gedächtniszeichen vorweisen möchte.

02] Und die allerliebste Jarah greift sogleich in den großen Sack ihrer Schürze, geht den beiden entgegen und sagt: »Da sieh her, du mein lieber Julius, hier sind die beiden Gedächtniszeichen leibhaftig! Glaubst du's nun, und wirst du einmal aus deiner ewigen Furcht heraustreten?«

03] Sagt der Hauptmann: »Ja, du meine allerliebste und allerzarteste Jarah, mein Glaube steht nun fester denn dieser Berg, und meine lästige Furcht ist mit Hilfe des allmächtigen Herrn auch für immer dahin, - des kannst du nun vollends versichert sein! Aber deine Gedächtniszeichen sind auch von einem unschätzbaren irdischen Werte. Die Muschel samt ihrem Inhalte wiegt den Wert von ganz Jerusalem auf; denn sie enthält vierundzwanzig Perlen von der Größe eines kleinen Hühnereies, von denen eine hunderttausend Pfunde Goldes wert ist! Welchen Wert aber dieser höchst harte, durchsichtige und schöner denn der Morgenstern leuchtende Stein hat, dafür hat die Erde keinen Maßstab! Kurz, du bist nun nicht nur geistig, sondern auch irdisch das reichste Mädchen in der Welt! Wahrlich, du bist nun reicher denn alle Könige und Kaiser der ganzen Welt zusammen! Wie kommt dir das nun vor?«

04] Sagt die Jarah ganz bescheiden: »Das kommt mir gerade so vor, als hätte ich nichts; und diese zwei Gedenkzeichen haben für mich keinen andern Wert als allein den, für den ich sie genommen habe, nämlich als Erinnerung an die unbeschreiblichen Wundertaten Gottes an uns armen, schwachen und sündigen Bewohnern der Stadt und Gegend Genezareth.

05] Der Herr wird nicht immer leiblich in unserer Mitte verbleiben, wie Er es mir schon gestern recht klar gesagt hat; aber diese Zeichen werden uns allzeit lebendigst an Ihm in unseren Herzen erinnern und unsere Liebe zu Ihm von neuem anfachen! - Das ist meine Meinung.

06] Aber der Herr hat mir noch ein Zeichen hinterlassen aus dieser Wundernacht, die für mich eigentlich der allerhellste Tag war! Dieses Zeichen bleibt auch bei mir sichtbar und späterhin unsichtbar, bis es nach einer gewissen Zeit, so ich mich dessen wert erhalten werde, mir wieder sichtbar werden wird.«

07] Fragt der Vater Ebahl: »Nun, und wo hast du dieses Zeichen? Magst es uns nicht sehen lassen?«

08] Sagt die Jarah, neben der sich der Engel Raphael befindet: »Da, bei mir da, steht es, wenn du nichts dagegen hast!«

09] Sagt Ebahl, der den Engel vom Kopfe bis zum Fuße mit seinen Augen betrachtet: »Das ist freilich ein noch köstlicheres Angedenken! Aber ich fürchte, daß du in diesen gar zu schönen Jüngling viel zu früh bis über die Augen und Ohren verliebt wirst; und so er dir dann unsichtbar wird, da wirst da dann auch vor lauter Traurigkeit blind und taub werden!«

10] Sagt die Jarah: »O sorge du dich um etwas anderes! Wer einmal Gott den Herrn also liebt wie ich, für den sind auch alle Schönheiten der Himmel so gut, als wären sie gar nicht vorhanden! Ich aber habe den Jüngling auch sehr lieb; denn er ist sehr weise und überaus stark, mächtig und geschwinde!«

11] Fragt der Hauptmann, sagend: »Wo ist er denn hergekommen? Ich weiß mich nicht zu erinnern, ihn je in Genezareth gesehen zu haben, und doch ist er ganz nach der Weise dieses Ortes bekleidet! Ich bewundere seine überaus reinen, zarten und dabei überaus weichen Züge! In seinem Wesen liegt ein wahrer Zauber voll der höchsten Anmut! Wie zart, weich, rein und überaus wohlgestaltet nur seine Füße sind!

12] Das reine Beinkleid, bis zu den Knien reichend, das blendend weiße Hemd und das über seine Schultern nachlässig hängende, faltenreiche Mäntelchen aus einem blauen Stoffe steht ihm aber auch so ausgezeichnet gut, daß man sich wahrlich nichts Geschmackvolleres denken kann, und das runde Hütchen auf seinem Haupte ziert seinen wunderschönsten Kopf schon auf eine Weise, die sich gar nicht beschreiben läßt! Wahrlich, diesem allerholdesten Jünglinge könnte ich keine Bitte verweigern! Der könnte mir ein Kaisertum ungestraft nehmen, wenn er mich dafür nur liebte!

13] Nein, je länger ich diesen Menschen betrachte, desto schöner und anziehender kommt er mir vor! Seine Eltern sind wahrlich glücklich zu preisen, solch einen Sohn zu besitzen, und du, meine allerliebste Jarah, kannst dich für solch ein Geschenk wohl für überselig preisen! Wäre noch ein solcher Junge irgend in der Welt zu haben, wahrlich, ich gäbe alle meine Schätze und großen Güter darum!

14] Aber was wirst du mit diesem schönsten Jünglinge nun machen? Du bist zwar auch ein gar wunderschönes, liebes Mädchen; aber der Jüngling übertrifft dich an Schönheit dennoch um vieles. Du gehst nun erst ins dreizehnte Jahr, und der Jüngling wird sechzehn haben. So er dein Gemahl wird, nun, so lasse ich mir's wohl gefallen; bleibt er aber nur als ein Gespiele von dir, dann wird dein leicht zündbares Herzchen sicher bald in große Verlegenheiten kommen! Aber sage du uns dennoch, wozu du ihn verwenden wirst!«

15] Sagt die Jarah: »Ihr redet nach eurem Sinne, weil ihr den Geist nicht kennet! Dieser Jüngling wird bis in mein sechzehntes Jahr mein Beschützer und Führer sein und wird mich unterweisen in der Weisheit der Himmel Gottes - und euch auch, so ihr ihn werdet hören wollen!«

16] Sagt der Hauptmann: »Nach deinem sechzehnten Jahre aber wird er dann wohl dein Gemahl werden?«

17] Sagt die Jarah: »O du mein lieber Julius, das war einmal wieder eine Frage von dir, für die ich dir keine Verbeugung machen kann! Habe ich dir denn nicht schon gleich anfangs gesagt, daß dieser Jüngling nach meinem sechzehnten Jahre mich verlassen wird auf eine Zeitlang, wie es der Herr bestimmt hat, was mir auch nichts machen wird; denn mein Herz gehört vollkommen dem Herrn, der mir bleibet ewiglich! Ist aber mein Herz ein Eigentum Gottes, so kann es nicht auch dabei das Eigentum eines andern werden!«

18] Sagt Ebahl: »Ja, ja, meine allerliebste Tochter, du hast wohl nun ganz recht! Aber deine Jahre sind noch nicht da; wenn sie aber kommen werden, dann wirst du mit deinem Fleische in starke Kämpfe geraten! Wohl dir, so du ihrer Meisterin wirst!«

19] Sagt dazu auch der Hauptmann: »Ja, ja, der Vater hat recht! Du bist nun noch nur ein Kind, und es brennt schon in deinem Herzchen wie in einem Kalkofen! Jetzt hat es nach seinem Verlangen freilich das Höchste und kann sich nach nichts Geringerem mehr sehnen; aber wenn dieses Höchste sich, um dich auf eine nötige Selbstprobe zu stellen, von deinem Herzen zurückziehen wird, dann wird dein Herz liebehungrig werden! Und wird es lange der höchsten Speise entbehren, dann wird es bald nach anderen Gegenständen seine langen Arme auszustrecken beginnen, um sich zu sättigen! Denn wie da auch schmerzlich ist der Hunger des Magens, so ist aber der Liebehunger dennoch um tausendmal schmerzlicher.

20] Nehmen wir nur einen Feldherrn, der ein liebloser Tyrann seiner Untergebenen ist! Alle werden sich in einem verzweifelten Zustande befinden, und wo sie für ihn in den Kampf gehen sollen, da werden sie sich dem Feinde ergeben, um sich dadurch ihres lieblosen Herrn zu entledigen. Zeigt aber ein weiser Feldherr, daß er seine Untergebenen liebt wie ein Vater seine Kinder, dann mag ein Feind kommen, und sie werden sich mit allem Mute und mit der größten Selbstverleugnung für ihren geliebten Feldherrn bis auf den letzten Blutstropfen schlagen und werden den Feind vernichten!

21] Ja, du meine allerliebste Jarah, die Liebe ist ein gar mächtig Ding, und das bedarf stets einer weisen Leitung, so es sich am Ende nicht selbst aufzehren soll!«

22] Sagt nach einer Weile die Jarah, nachdenkend: »Ja, ja, du magst da nicht ganz unrecht haben; aber das muß man aber ja beim Herrn doch annehmen, daß Er kein tyrannischer Feldherr über ein Ihn über alles liebendes Herz sein wird!?«

23] Sagt Julius: »Das eben nicht! Aber - wie ich mich erinnere, was Er geredet hat die heutige Nacht mit dir - Er ist und bleibt Gott, dem sich der menschliche Geist erst dann vollkommen nähern kann, wenn er sich den ihm verliehenen Kräften zufolge selbst gestaltet, gebildet und gefestet hat, während welcher Selbstbildungsperiode er von Ihm ganz unbeachtet gelassen wird! Wenn aber also, dann ist Gott in solch einer Periode ein notwendiger Tyrann mit verbundenen Augen und fest verstopften Ohren! Und wird bei dir solche dir von Ihm Selbst angekündigte Periode kommen, dann, meine allerliebste Jarah, werden wir darüber weiterreden!«

24] Sagt die Jarah: »Ich vertraue und glaube fest, daß Er mich auch dann nicht völlig verlassen wird!«

25] Sagt der Hauptmann: »Das wird Er wohl kaum, weil du schon viel vor ans allen voraus hast; aber du wirst bei deiner großen Liebe zu Ihm auch eine kleine und kurz dauernde Verlassung weltengroß und schwer fühlen! - Aber nun gehen wir hin zu Ihm; denn Er scheint etwas vorzuhaben!«


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