Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 127


Jesus über die Macht der Liebe bei Gott und Mensch.

01] Da komme Ich von rückwärts still zur Jarah, hebe sie vom Boden auf und sage: »Aber du Mein allerliebstes Kindchen, wie wirst du Mich wohl halten können? Siehe, Ich bin ja viel stärker denn du!«

02] Sagt die Kleine, als Ich sie wieder auf den Boden stelle: »Das weiß ich wohl, daß Du endlos stärker bist als ich, kaum ein Mücklein vor Dir; denn Da trägst mit Deiner allmächtigen Willenskraft Himmel und Erde und hältst das Meer in seiner Tiefe; wie sollte ich mich in der Stärke mit Dir messen wollen?! Aber das meine ich, daß Du, weil ich Dich gar so unbeschreiblich liebhabe, meiner Liebe zu Dir zulieb Dich wirst ein wenig über die Zeit halten lassen!«

03] Sage Ich: »Ja, da hast du wieder recht; denn mit der Liebe richtet man bei Mir alles aus! Die Liebe zu euch Menschen zog Mich ja auf diese Erde! Wer aber Liebe hat wie du, der kann mit Mir dann freilich schon machen, was er will! Denn solche Liebe ist ja eben Mein Geist in dem Herzen des Menschen. Und was solche Liebe verlangt und will, das geht aus aller Tiefe der göttlichen Ordnung, und du kannst Mich deshalb mit deinem Herzen schon so hübsch festhalten, und Ich werde Mich von deinem Herzen ewig nimmer trennen!

04] Jedoch an Meiner erscheinlichen Person liegt nichts, sondern allein nur an Meinem Geiste! Was Ich tue, siehe, das tut nicht Meine Person, sondern allein nur Mein Geist; aber dir zuliebe werde Ich dennoch ein paar Tage hier verweilen, - denn morgen ist Sabbat und übermorgen ein Nachsabbat! Diese beiden Tage werde Ich noch hier verweilen, dann aber werde Ich weiterziehen, und zwar nach Sidon und Tyrus, - werde aber dann schon wieder kommen und vielleicht den halben Winter bei euch zubringen.«

05] Sagt ganz entzückt die Kleine: »Oh, Gott dem heiligen Vater alles Lob darum! Nun bin ich schon zufrieden!«

06] Alle bewunderten das zwölf Jahre alte Mägdlein und staunten über seinen Verstand. Und ein Alter sagte: »Oh, das ist eine besondere Gnade Gottes! In dieser zarten Haut steckt ein Gottesengel! Gestalt und Geist zeugen dafür.«

07] Sagt ein anderer: »Jawohl! Das Mägdlein zählt erst zwölf Jahre und etwa ein halbes darüber; aber es sieht aus wie eine Maid von sechzehn Jahren! Ihr Leib ist völlig ausgebildet, und ihre Seele läßt nichts zu wünschen übrig. Die hat wahrlich Kopf und Herz am rechten Flecke! Glücklich, wer einmal diese als Weib in sein Haus führen wird!«

08] Solches vernimmt die Jarah und sagt: »Ein Herz, das Gott liebt, bedarf der Liebe eines selbstsüchtigen Bräutigams nicht; denn es ist schon als Braut eingeführt in das Haus Gottes! Ich weiß die Menschen zu lieben in ihrer Not und Gutes zu tun den Armen zu jeder Stunde bei Tag und Nacht; aber die gewisse Liebe eines jungen Mannes kenne ich nicht und werde sie auch nie kennenlernen, - außer sein Herz ist gleich dem meinen erfüllt allein von der reinsten Liebe zu Gott!«

09] Sagt ein anderer alter Jude: »Ei, ei, Mägdlein! Deine Rede klingt zwar wohl, als käme sie aus dem Munde eines Engels; aber du bestehst dennoch auch aus Fleisch und Blut, und wenn einmal deine Jahre kommen werden, dann wirst du es schon sehen, ob Fleisch und Blut beim Menschen nichts zu reden haben!«

10] Sagt die Jarah: »Daß der Mensch kein Gott ist, das weiß ich schon seit meinen frühesten Jahren; aber der Mensch kann durch seine rechte Liebe zu Gott ein Meister seines Fleisches und Blutes werden, der sicheren Hilfe Gottes zufolge. Wem aber Gott hilft, dem hilft Er ganz und nicht zur Hälfte, was ihr heute früh selbst an eurem kranken Fleisch und Blut erfahren habt! Denn das war nicht Menschenhilfe, sondern das war Gottes Hilfe!« - Nach diesen Worten Jarahs verstummen die Alten, und es getraut sich keiner mehr, ihr ein Wort zu entgegnen.

11] Ich aber sage zur Jarah, sie bei der Hand fassend: »Gut hast du es gemacht! Du sprichst ja schon wie ein ausgemachter Prophet!«

12] Sagt lieblächelnd die Jarah halblaut zu Mir: »Ist leicht prophetisch reden, wenn man bei Dir ist und Du einem die Worte ins Herz und in den Mund legst! Hätte ich aus mir selbst geredet, da wären gewiß recht viele Dummheiten herausgekommen!«

13] Sage Ich auch so halblaut: »Könnte wohl sein, Meine allerliebste Jarah! Aber von nun an wirst du stets so weise zu reden imstande sein, nur mußt du Mir nicht etwa einmal untreu werden, wenn du älter wirst!«

14] Sagt die Jarah: »Herr, wenn das möglich wäre, da laß mich lieber sterben!«

15] Sage Ich: »Nun, nun, es wird etwa wohl unmöglich bleiben!?«

16] Sagt die Jarah, Mich fest um die Mitte fassend und an ihre Brust drückend: »Ja, so etwas muß ewig unmöglich bleiben! Denn man müßte nur wahnsinnig werden, so man gäbe ein Pfund reinsten Goldes um ein Pfund stinkenden Moders!«

17] Sage Ich: »Also hältst du doch auch etwas aufs Gold?«

18] Sagt die Jarah: »Ja, aufs Gold der Seele alles! Das irdische Gold aber habe ich nur des Beispieles wegen angeführt.«

19] Sage Ich: »Nun, nun, Ich habe dich schon verstanden; aber weil Ich dich eben gar so liebhabe, so muß Ich dich ja auch ein wenig necken!«

20] Sagt die Jarah: »O necke Du mich nur, ich werde Dich darum doch nicht weniger lieben! Denn das weiß ich ja schon seit lange her, daß Gott die Menschen, die Er besonders liebt, mit allerlei Leiden heimsucht! So Du, o Herr, mich so recht, recht zu necken anfangen wirst, dann wirst Du mich erst ganz liebhaben!«

21] Sage Ich: »O du Mein liebstes Kindlein, solch reinste Herzen, wie das deine ist, neckt Gott nimmer, sondern nur solche, die Gott zwar sehr lieben, aber dabei dennoch auch mit der Welt dann und wann liebäugeln; solchen treibt dann Gott durch allerlei Neckereien die Weltliebe aus dem Herzen, auf daß sie vollends reinen Herzens werden. - Verstehest du solches?«

22] Sagt die Jarah: »O Herr, Du Honigseim meines Herzens, das verstehe ich wohl recht gut!«


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