Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 29


Segen freier Entwicklung. Warum Gebote freiwillig statt aus Furcht eingehalten werden sollen. Hoher Zweck der menschl. Existenz.

01] (Der Herr:) »Es ist daher zwar wohl gut und recht, die Sünder zu strafen, wenn sie zu sehr von der Ordnung abweichen, die Gott Selbst zur sicheren und in kürzester Zeit möglichen Vollendung gesetzt hat; aber mit einem eisernen Muß soll niemand von der Möglichkeit zu sündigen abgehalten werden. Denn wahrlich sage Ich dir: Mir ist ein Sünder, der frei aus sich Buße tut, lieber als neunundneunzig Gerechte nach dem Maße des Gesetzes, die der Buße nie bedurft haben; der ist ganz Mensch, die andern nur zur Hälfte!

02] Ich will aber damit freilich nicht sagen, daß Mir darum ein Sünder lieber wäre denn ein Gerechter, weil er etwa allzeit ein Sünder ist - denn in der Sünde verharren heißt: ebenfalls ein Tier werden, das nur mehr aus der falschen instinktartigen Begründung ein schmutziges Leben fristet -; sondern es ist hier nur von einem Sünder die Rede, der das Unrecht, dem Gesetze zuwidergehandelt zu haben, in sich frei erkennt, sich nach der erkannten Ordnung Gottes neu zu bestimmen anfängt und zu einem Menschen wird, dem keine Schule des Lebens fremd geblieben ist.

03] Solch ein Geist wird in Meinem Reiche dereinst endlos Größeres zu leisten imstande sein als einer, der stets aus einer sklavischen Furcht nie um ein Haar vom Gesetze abgewichen ist und sich in solcher, durch die Furcht gezwungenen Beachtung des Gesetzes zu einer keinen eigenen Willen habenden Maschine herab begründet und sich leiblich und geistig in dieselbe hineingelebt hat.

04] Nimm einen Stein und wirf ihn in die Höhe! Es wird nicht lange währen, so wird er, nach dem in ihn wie in die ganze Erde gelegten Mußgesetz, nur zu bald in sicher kürzester Zeit zur Erde herabfallen. Ist der Stein darum zu loben, daß er das Gesetz gar so genau beachtet? Du kannst zwar mit dem Steine da, wo es sich um eine feste Unterlage handelt, alles mögliche tun; schaffe aber dem Steine irgendeine freie Tätigkeit, und er wird seine tote Ruhe nie verlassen!

05] Darum sollst du aus Menschen nicht Steine machen durch Mußgesetze, sondern sie nur bilden in ihrer Freiheit, - dann hast du völlig der Gottesordnung gemäß gehandelt.

06] Siehe, wären die Menschen, die hoch obenan stehen auf der Erde, nicht so träge, wie sie mit seltener Ausnahme sind, so würden sie bei nur einigem Beobachtungsgeiste gar leicht wahrgenommen haben, daß der Mensch, wenn er nur einen gewissen Grad von irgendeiner Bildung erreicht hat, sich ewig nimmer mit der tierischen Einförmigkeit begnügt. Er baut sich zu seiner Wohnung keine Hütte mehr aus Reisern, Stroh und geknetetem Lehm, sondern er behaut Steine und macht aus Lehm Backsteine, baut sich daraus ein stattliches Haus mit Ringmauern und baut dazu feste Türme, von deren Zinnen er weit umhersehen kann, ob sich seinem Hause kein Feind nahe!

07] Und so bauen tausend gebildete Menschen sich sicher auch tausend Häuser, von denen keines dem andern gleicht - weder in der Form noch in der inneren Einrichtung; betrachte aber dagegen die Nester der Vögel und die Lager der Tiere, und du wirst nie irgendeine Veränderung daran entdecken! Betrachte das Nest der Schwalbe, des Sperlings, siehe an das Gewebe der Spinne, die Zelle der Biene und tausend andere von den Tieren herrührende Produkte und Machwerke, und du wirst nie eine Verbesserung und so auch nie eine Verschlechterung daran entdecken; betrachte aber dagegen das Machwerk des Menschen: welch eine nahe ans Unendliche streifende Mannigfaltigkeit wirst du daran entdecken! Und doch sind es immer die einen und dieselben Menschen, die das alles mit oft großen Mühen zustande bringen!

08] Daraus aber läßt sich ja schon mit den Händen greifen, daß Gott, der dem Menschen einen Ihm ähnlichen Geist gab, eben den Menschen nicht zum Tierwerden, sondern zum völlig freiesten Gottähnlichwerden erschaffen hat.«


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