Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 199
Der Urgrund aller Weisheit und Wahrheit. 01] Josoe macht hier große Augen, denkt hin und her und weiß nicht, was er Mir darauf für eine Antwort geben soll.
02] Cyrenius aber sagt: »Herr, das ist aber auch eine Frage, an der sich alle Weisen und Philosophen die Zähne bis auf die letzte Wurzel ausgebissen hätten! Erlaube, Du mein göttlichster Freund, - nach Deinen für mich allzeit heiligsten Worten ist dann ja alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, keine volle Wahrheit, sondern gut zur Hälfte hin eine Lüge!? Wer kann da hernach ganz auf ein gegebenes Wort irgendein volles Vertrauen fassen? Diese Deine Frage hat mich selbst wahrlich ein wenig trübe gemacht. Du wirst diesmal wahrlich schon so gut sein müssen und Deine Frage Selbst beantworten; denn auf der ganzen Erde löst Dir kein Weiser aus sich dieses Rätsel!«
03] Sage Ich: »Sei du darob ganz unbesorgt! Hier an diesem Tische sitzen etwelche, die dir darüber sicher ohne Mein besonderes Hinzutun eine ganz genügende Antwort als Löse (Lösung) Meiner Frage an Josoe zu geben imstande wären; denn sie wissen schon beiläufig, von wannen der Wind kommt. Aber Ich will, daß in der lösenden Beantwortung Meiner allerdings etwas höher gestellten Frage Meine Jarah dem Josoe zu Hilfe kommen soll! Und so (Mich zur Jarah wendend) versuche du, Meine liebste Jarah, ob du in deinem Herzen eine rechte Antwort auf Meine Frage findest!«
04] Spricht das Mägdlein, ein wenig lächelnd: »Wahrlich, mich befremdet es recht sehr, daß der sonst so weise Josoe auf diese gar leichte Frage nicht sogleich in sich eine taugliche und vollösende Antwort gefunden hat! - Was kann sonst die volle, ewige Wahrheit sein als Gott Selbst, der, von Ewigkeit alle Vollendung in Sich fassend, im Geiste stets ein und derselbe ist, also für ewig in und für Sich unwandelbar, weil in Ihm als der endlosesten Vollendung in Sich Selbst keine weitere Wandelbarkeit denkbar ist. Gott ist der alleinige und ewige Urgrund alles Seins. Alles, was da ist, ist nichts anderes als nur Seine fixierten Ideen; ihr Sein ist sonach auch ein Gottessein, und ihr Leben ist Gottes Leben.
05] In Gott ist darum alles vollste, ewige Wahrheit, weil außer Gott nichts irgendwo etwas sein kann, - in uns Menschen aber nur insoweit, als wir eins mit Seinem heiligsten Geiste sind durch die reine Liebe zu Ihm. Die reine Liebe zu Gott verbindet uns mit Gott und macht, daß wir eins mit Ihm werden; sind wir aber das, da wird alles reinstes Licht, wohin wir uns auch wenden mögen. Und dieses Urlicht in der höchsten Reinheit des Geistes ist dann eben die ewige, unwandelbare Wahrheit. - Dies, scheint mir, ist die allein richtig lösende Antwort auf die Frage des Herrn an den lieben Josoe.«
06] Sage Ich zu Cyrenius: »Nun, was sagst du zu dieser Beantwortung Meiner dem Josoe gegebenen Frage? Glaube aber ja nicht, Ich hätte ihr solche wunderbar in ihr Herz gelegt; sondern sie hat solche gefunden auf ihrem ganz eigenen Grund und Boden. Und Ich sage es dir und auch allen, die ihr bei Mir sitzet an diesem Tische: da ist auch nicht ein Wort zuviel oder zuwenig, und ist für ewig vollwahr.
07] Aber wie kommt sie dazu und Josoe nicht, der sich vorgenommen hatte, allein für die Wahrheit zu sein? Seht, das macht ihre unbegrenzte, reinste Liebe zu Mir; solche ihre Liebe verbindet ihr Herz mit dem Meinen, und sogestaltig kann sie sich stets auf dem kürzesten Wege alles Licht und somit auch alle Weisheit holen aus der von ihr selbst bezeichneten Urquelle alles Lichtes, alles Seins und aller Wahrheit, die für ewig unwandelbar ein und dieselbe ist in Mir.
08] Und du, Mein lieber Josoe, der du allein für die Wahrheit bist, was sagst du nun zur Jarah, die gewisserart rein nur für die Liebe ist?«
09] Sagt Josoe, ein wenig verlegen: »O Herr, ich sehe nun wohl den finstern Fleck in mir; aber ich finde es nicht, wie ich ihn aus mir brächte! Ich habe der Jarah sehr unrecht getan, und das muß gutgemacht werden, und so Du, o Herr, nichts dawider hast, so werde ich mich dennoch nun sogleich zu ihr hinaufsetzen!«
10] Sage Ich: »O nicht im geringsten; denn sieh, die ganze Gesellschaft freut sich auf eure gegenseitige Unterredung! Ich sage es dir: An ihrer Seite wirst du erst das finden, für das du allein sein willst!« - Auf diese Meine Worte erst erhebt sich Josoe schnell und setzt sich zwischen die Jarah und ihren Engel Raphael.