Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel


Böser Rat der Pharisäer gegen Jesus. Positive Reden eines jüngeren unter ihnen.

01] Dieser Ort war sonst berühmt wegen seiner durchgehends scharfsinnigen Bewohner. Da mußte jemand schon von einer gesunden Geburt herrühren, so er es mit ihnen, besonders mit den Griechen, aufnehmen konnte; und so wußten die hier hausenden Pharisäer recht gut, dass da mit dem Volke schlecht zu hadern ist. Darum sagten sie auch diesmal nicht viel entgegen und gingen ihren Weg nach Hause. Aber daheim brüteten sie hernach desto mehr darüber nach, wie sie Mich entweder verdächtigen oder gar von Grund aus verderben könnten.

02] Einer unter ihnen, etwas besseren Geistes, sagte am Ende, als ihm die Beratung schon zu lange angedauert hatte: »Brüder, unmaßgeblich gehe ich meine Meinung dahin ab, dass wir jetzt schlafen gehen sollten, auf dass wir morgen beisammen sind im Kopfe und im Herzen! Was nützt uns heute all unser Brüten und Sinnen?! Morgen ist auch ein Tag. Warten wir ab, was dieser bringen wird, und wir werden dann doch mit Jehovas Hilfe mehr ins Klare kommen, was es da mit diesem sonderbaren Menschen für eine Bewandtnis hat. dass an ihm etwas Außerordentliches ist, unterliegt aber auch nicht dem geringsten Zweifel; denn die Heilung des Besessenen am Ufer vom Schiffe heraus sogar, ohne ihn aber auch nur im geringsten anzurühren, ist eine Erscheinung, die meines Wissens noch nie da war!

03] Und so wollen wir abwarten, was da morgen alles noch nachfolgen wird, und wir werden dadurch leichter imstande sein, darüber ein vollkommeneres Urteil zu schöpfen! Denn ihn nun schon ganz blindlings zu verurteilen, wäre eine etwas zu gewagte Sache, besonders bei der großen Aufgeregtheit unseres Volkes, das sich da schon lange mehr an die Griechen hält an uns, die wir ihm schon lange ein Dorn in seinen Augen sind. Laßt euch daher geraten sein nach meiner guten Einsicht. Morgen ist auch ein Tag, der uns vielleicht günstiger werden könnte, denn der heutige es war!«

04] Sagt ein anderer: »Was sollen wir denn aus der Beschimpfung, die uns früher zuteil ward vom Volke, machen? Sollen wir etwa auch darüber so ganz ruhig einschlafen und uns etwa darüber gar kein graues Haar wachsen lassen und sie, als wäre sie nie geschehen, vergessen und nie zur gerechten Ahndung bringen?«

05] Sagt der Bessere: »Beutle sie dir herab (d.h. verlange eine Geldbuße), so du's kannst! Oder ziehe die Frevler zur Rechtfertigung heute noch oder morgen, wenn dir solches möglich ist! Was kann ein einzelner gegen viele ausrichten?! Darüber zu schweigen kommt wenigstens mir noch am geratensten vor, wenigstens vorderhand. Willst du aber eben vorderhand schon etwas dagegen tun, so bindet dich kein Gesetz; ich für mich aber werde die ganze Geschichte erst abwarten und dann die geeigneten Schritte tun. Laß den Apfel am Baume erst reif werden, so dir daran liegt, nie in einen sauern zu beißen! Verstehst du mich?!«

06] Auf diese Worte des etwas bessern Pharisäers, der noch ein junger, lebensfroher Mensch war und es daher mit den alten Geldbeutelhelden nicht gar zu fest hielt, begaben sich sämtliche Pharisäer und Schriftgelehrten zur Ruhe, bestellten aber dennoch aus ihren Dienern einen, der Wache halten mußte, dass sie am Morgen nicht verschlafen möchten die ersten Geschichten, die sich von seiten des Zauberers ergeben möchten.

07] Der etwas bessere Pharisäer aber ging, nachdem alle andern samt der Wache, die sie aufgestellt hatten, schon fest schliefen, hinaus ins Freie und überlegte bei sich, was er machen solle, um den Alten ihre bösen Pläne zu vereiteln. Er gedachte: »Wenn ich nur zu diesem Wundermanne kommen könnte, da könnte ich ihm dann schon eine rechte Weisung geben, wie er es machen solle, um von meinen Kollegen unbeanstandet seine Heilungen vorzunehmen! Aber wie zu ihm kommen? Das aufgeregte Volk umlagert das Haus, und schon werden, wie ich's wahrnehme, Kranke hingeführt und hingetragen; es wird morgen ein großes Gedränge werden, und man wird nicht hinzukommen können. Ich weiß aber, was ich tue! Ich gehe nun hin zum Volke und sage ihm gerade heraus, wie ich es meine, und zeige ihm, dass ich selbst ein Feind der alten Geldzeloten bin und dem Wundermanne etwas entdecken muß, ansonst er seine Heilungen wohl kaum wird vornehmen dürfen! Will das Volk es mir gestatten, so ist es gut, und will es mir solches nicht gestatten, nun, - so habe ich doch dem Drange meines Herzens Genüge geleistet.«

08] Mit solchen Gedanken begibt er sich wieder zum Volke, das in der mondhellen Nacht in ihm nur zu bald den ihm bekannten jungen Rabbiner erkennt.

09] Es gehen ihm sogleich die Griechen, die vormals auch Juden waren, entgegen und fragen ihn ganz barsch, was er in dieser Zeit da suche, und ob er etwa ein Spion sei. Er aber sagt in einem guten, vertraulichen Tone: »Liebe Männer und Freunde! Wohl bedeckt meine Haut auch der Pharisäer Kleid und, wie ihr es wißt, so bin ich in der Tat auch ein wirklicher Pharisäer; denn ich mußte ja das werden als ein Erstgeborner eines reichen Hauses in Jerusalem, was meine gewissensschwachen Eltern wollten. Und so bin ich dem Äußeren nach wohl ein Pharisäer, aber in meinem Herzen noch weniger denn ihr alle, obschon ihr nun Griechen seid.

10] Meine Absicht und der Grund ist ganz einfach dieser: Ihr kennt so gut wie ich meine Kollegen und wisst, welche Rechte sie sich alle anmaßen. Sie sind Theologen, und es darf niemand von der Schrift etwas verstehen als nur sie ganz allein, obschon sie, unter uns gesagt, vielleicht alles (andere) besser verstehen als eben die Schrift; aber sie sind dazu vom Tempel ausersehen und üben daher ihr vermeintliches Recht aus, und ihr könnt dagegen nichts ausrichten.

11] Also sind sie auch Ärzte und dulden daher nicht, dass da käme ein Fremder und ihnen durch seine Kunst schmälere ihr Einkommen; auch dafür sind sie vom Tempel aus privilegiert und verstehen, für ihr Recht zu kämpfen, und ihr mögt nichts machen und ausrichten dagegen.

12] Also sind sie in besonderen, von Moses bestimmten Fällen auch Richter und Herren über Leben und Tod ihrer Untergebenen und können solches Recht ausüben, wie, wann und an wem sie's nur wollen, und sind dabei unverantwortlich (niemand verantwortlich); sie haben nur alle Jahre eine Liste nach Jerusalem einzusenden und werden dafür gewöhnlich belobt, so sie eine recht zahlreiche Liste einsenden derer, die sie gerichtet haben, nebst dem jährlichen Pachtbetrage, den sie für die Synagoge und Schule an den Tempel zu entrichten haben.

13] Denn alle diese Ämter werden ja schon seit lange her vom Tempel aus entweder auf die Lebensdauer verkauft oder verpachtet; wir sind hier nur Pächter und ich gar ein Afterpächter.

14] Ich sage euch, so eine Synagoge und Schule kostet im Tempel viel Geld! Und damit sie um ein desto teureres Geld an den Mann gebracht werden kann, so wird sie vom Tempel mit allerlei verbuchten Rechten privilegiert, die sich dann ein solcher Pächter, der die Gesetze für sich hat, nicht gar zu leichten Kaufes schmälern läßt.

15] Man kann freilich erst dann ein Käufer oder Pächter einer Synagoge und Schule werden, wenn man zuvor im Tempel zu einem Pharisäer unter allerlei schwersten Eiden geweiht wurde; wenn man aber einmal ein Pharisäer ist, dann ist es nicht mehr leicht möglich, kein Pharisäer zu sein!

16] Und seht, obschon ein echter Jude vor solchen Prellereien von seiten des Tempels ausspucken sollte, so sind sie einmal sogar vom Staate als anerkannt und sanktioniert, und ihr mögt dagegen nichts ausrichten. Ich könnte euch noch mehreres sagen, aber es genügt, um euch wenigstens insoweit aufzuklären, dass ihr seht, in welchen Rechten sich die Pharisäer befinden, gegen die sich mit Gewalt vorderhand leider nichts unternehmen läßt.

17] Wenn ich die alte, rachsüchtigen Kollegen der guten Sache wegen nicht beschwichtigt hätte, so hättet ihr nun schon sehr fatale Anstände; denn sie wollen schon um eine Legion Soldaten nach Kapernaum schicken und das ganze Haus dem Gerichte übergeben! Ich bin sonach euer Freund und kein Feind und noch weniger ein verschmitzter feindlicher Spion! Nur wollt ihr darum an mir keine Verräter machen! Wenn aber ein guter Rat von mir aus euch nicht zu schlecht dünkt, so wollt mich in aller Geduld anhören!«

18] Sagen die drei: »Du scheinst uns redlichen Herzens zu sein; so rede und sage, was wir tun sollen! Aber wage es ja nicht, uns zu hintergehen und zu täuschen; denn so was würdest du mit deinem Leben bezahlen!«

19] Sagt der junge Pharisäer: »Ich habe keine Furcht davor, und so ich hundert Leben hätte, gäbe ich sie euch alle für die Wahrheit dessen, dass ich es ganz vollkommenst redlich meine! Und so hört mich: Ihr Wißt also nun, dass den Pharisäern eigentlich an nichts anderem etwas liegt als an ihrem gepachteten Einkommen. Geht also morgens hin und findet euch mit ihnen um einen bestimmten Betrag darum ab, dass am Morgen der hier weilende Wunderarzt die Kranken dieses Ortes ohne allen Anstand heilen darf, und die alten Geldmäkler werden euch dazu ohne allen Anstand die Bewilligung erteilen; und wollt oder könnt ihr ihnen das Geld nicht sogleich erlegen, so versprecht ihnen so was doch, und es wird sich auch machen!

20] Nur möchte ich dem Wundermanne noch das hinzu bemerken, dass er fürs erste nach der Heilung der Kranken diesen Ort alsbald verlassen möchte, ansonst die geldhungrigen Pharisäer sich von euch sogleich ein weiteres Zugeständnis möchten wollen zahlen lassen; fürs zweite aber, da solche Wunderärzte gewöhnlich ins Prophetentum greifen und das Volk für ihre Zwecke auch geistig zu bearbeiten anfangen, so solle er aber so was hier nicht beginnen, nicht etwa meinetwegen, sondern der Alten wegen, die in dieser Hinsicht gerade hier wegen euch Griechen unausstehlich sind!

21] Und endlich solle das Volk ihn nicht vor den alten Füchsen als einen Sohn Davids ausrufen; denn das ist noch das Schrecklichste der Schrecken für meine alten Kollegen! So das beachtet wird, so dürfte - was ich von ganzem Herzen wünsche - alles in aller Stille und Ruhe ablaufen; sonst aber könnte es im Ernste zu schreienden Spektakeln kommen!«



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