Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 94


Mathael spricht über die Bewegung der Sterne.

01] (Mathael:) ”Siehe, diese gegenwärtig am Himmel leuchtende Sonne ist in der geraden Linie von uns kaum so weit entfernt, wie weit ein guter Reiter in einem halben Tage käme; die wirkliche Sonne aber steht in gerader Linie von der Erde so weit ab, daß, so es möglich wäre, ein guter Reiter, so er ohne Rast Tag und Nacht fortritte, die überaus lang gedehnte Linie kaum in zehntausend Jahren zu Ende brächte. Wie weit reichen da die Strahlen der natürlichen Sonne und welch einen unmeßbaren Raum erfüllen sie, und wie kurz sind dagegen die Strahlen dieser Scheinsonne! Sie reichen bis gen Osten nur mehr ganz schwach hin, was man auch aus der größeren Dunkelheit des Ostens recht gut abnehmen kann, und es ist darum dort die Luft nicht so glühhelle durchleuchtet als bei der natürlichen Sonne. Das glühhelle Durchleuchten der diese Erde weithin umgebenden Luft aber macht es eben, dass wir am Tage nie einen Stern sehen können.

02] Wäre das Licht der Sonne nicht gar so stark, so würden wir auch am Tage wenigstens die großen Sterne sehen; aber zufolge des zu starken und zu unmeßbar weit ausgegossenen Sonnenlichtes ist das Sehen selbst der größten Sterne am Tage nicht möglich. - Verstehst du das so ein wenig?“

03] Sagt Ouran: ”Jawohl, ich verstehe das wohl nun so halb und halb, aber vom Ganzverstehen kann bei mir noch hübsch lange keine Rede sein; denn bei den Sternen und bei ihren Bewegungen habe ich mich stets von jeher am wenigsten ausgekannt. So kann ich das nie so recht übereinanderbringen, wie das geschieht, dass bald nach dem Untergange der Sonne über das ganze Firmament eine Menge bekannter Sterne zum Vorschein kommen. Aber nachher kommen von Osten immer noch mehrere zum Vorschein, und die schon dagewesenen gehen im Westen dafür wieder unter; dabei aber bleiben einige dennoch winters und sommers gleichfort mit kleiner Veränderung ihres ersten Standpunktes am Firmament. Besonders ist das mit den Sternen der Fall, die den nördlichen Himmel schmücken; aber dafür sind die schönen Sterne des mittäglichen Himmels sehr veränderlich, und man erblickt zu jeder Jahreszeit andere. Darunter gibt es noch gewisse Wandelsterne, die den sonst wohlbekannten und sich gleichbleibenden Sternbildern nie getreu verbleiben, sondern ganz so mir und dir nichts von einem festen Sternbilde zum andern wandern.

04] Also scheint auch der Mond bei seinem Auf- und Untergange keine Ordnung zu haben; bald geht er stark nördlich und bald wieder stark südlich auf. Nun, Freund, so du sicher etwas mehr verstehst denn ich und meine Tochter, so erläutere uns diese Himmelsrätsel!“

05] Sagt Mathael: ”Weißt du, um dir das alles so recht wohl begreiflich zu machen, wäre die Zeit hier wohl etwas zu kurz, und du hättest offenbar nicht die Geduld, mich bis ans Ende zu vernehmen. Darum verlegen wir solches auf eine gelegenere Zeit; aber etwas weniges kann ich dir zu deiner Beruhigung immerhin kundgeben, und so wolle du mich recht aufmerksam anhören!

06] Siehe, nicht die Sterne, die Sonne und der Mond gehen auf und unter, sondern nur die Erde, die kein Kreis der Fläche nach, sondern nur eine sehr große Kugel von mehreren tausend Stunden Umfanges ist, dreht sich nach unserem Sanduhrenzeitmaße in ungefähr 25 Stunden um ihre Mittelachse, wie solches der Herr Selbst ehedem erklärt hat. Durch diese Drehung wird alles das bewirkt, um was du mich ehedem gefragt hast. Da hast du nun ganz kurz die Erklärung beisammen.

07] Sterne, die du stets als feststehende Bilder ersiehst, stehen nach der Erläuterung des Herrn Selbst und nach meiner höchst eigenen, verliehenen Anschauung als selbst Sonnen so endlos weit von der Erde entfernt, dass wir weder von ihrer Größe noch von ihrer Entfernung und ebensowenig von ihrer Bewegung irgend etwas merken können. Nur viele Jahrtausende können bei den Feststernen irgendeine Veränderung erkennen lassen; aber etliche hundert Jahre geben da keinen Unterschied in der Stellung der Feststerne.

08] Jene Sterne aber, die stets ihren Stand verändern, stehen viel näher dieser Erde, sind auch nur kleinere Weltkörper als eine Sonne, bewegen sich um unsere Sonne und können darum ihre Bewegung gar wohl merken lassen. Darin besteht nun das Wesentlichste; alles andere sollst du bei einer nächsten Gelegenheit von mir erfahren! - Bist du damit zufrieden?“

09] Sagt Ouran: ”Zufrieden wohl allerdings, aber nur bin ich schon so ziemlich ein alter Baum geworden, der sicher recht schwer zu beugen ist, und darauf mußt du stets ein wenig Rücksicht nehmen.

10] Siehe, man hatte von der frühesten Kindheit an bis zu meinem nun wohl schon ziemlich greisen Alter sich so recht ehrlich und gewissenhaft in die alten Dummheiten hineingelebt und fand, da man nie von etwas Besserem gehört, darin manchmal ganz denkwürdige Bestätigungen dessen, was man geglaubt hatte; hier aber tritt alles so ganz neu auf, und alles Alte muß rein über Bord ins Meer der vollsten Nichtigkeit geworfen werden, - und das geht denn doch etwas schwer bei mir.

11] Wenn ich denn hier nun in was immer eine ganz neue, früher nie geahnte Lehre bekomme, so kostet es mich denn doch stets eine gewisse Anstrengung, bis mir das Nichtige des Alten und die Wahrheit des Neuen völlig klar wird; du mußt daher besonders mit mir schon eine kleine Geduld haben. Nach und nach werde ich dir noch einen ganz leidlichen Jünger abgeben trotz meines schon sehr vorgerückten Alters.

12] Mit meiner Tochter wirst du dafür schon eine viel geringere Mühe haben; denn dies Mädchen hat eine leichte Auffassungsgabe. Aber es wird sich mit mir schon auch noch machen, nur natürlich etwas langsameren Schrittes; ich werde wohl keinen Hirsch mehr einholen, aber so mit einem ganz bescheidenen Ochsen werde auch ich noch so ziemlich gleichen Schritt halten.

13] Ja, die Sterne, die Sterne, lieber Freund, die Sterne, die Sonne und der höchst unbeständige Mond! Das sind ganz sonderliche Dinge, und dazu unsere Erde auch; wer sich da einmal so recht auskennen würde, der stünde wohl in einem höchsten Grade der menschlichen Weisheit! Aber bis man da alle die undurchdringlichen Geheimnisse und Verdecktheiten ans offene Tageslicht bringen wird, besonders unsereiner, o Freund, da wird der gute Mond noch oft über den Horizont herauf weiligen Zuges zu steigen haben! Ich fühle, dass das, was ich von dir nun vernommen habe, vollkommene Wahrheiten sind; aber sie liegen noch so vereinzelt und bandlos in meinem Kopfe herum wie die ersten Bausteine zu einem werden sollenden neuen, großen Palaste. Jeder Stein für sich ist fest und gut, also eine kernfeste Wahrheit; aber wie diese ersten Grundbausteine später von dem Baumeister zum Grunde des Palastes verbunden werden, das, Freund, ist bei mir noch in einem sehr weiten Felde, und ich meine, dass dies für dich selbst kein leichtes Stück Arbeit abgeben wird!“



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