Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 1, Kapitel 18


Nikodemus, Jerusalems Bürgermeister und geistlicher Rat im Tempel, besucht Jesus in der Nacht. Seine Frage nach dem kommenden Gottesreich. Jesu verhüllte Antworten über die Wiedergeburt im Geiste. Geringes Verständnis des Nikodemus.

01] Es kam aber in der vorletzten Nacht Meines Aufenthaltes in der Nähe von Jerusalem ein gewisser a Nikodemus ebenfalls in der Nacht zu Mir, weil er auch ein Vornehmer Jerusalems war; denn er war fürs erste ein Pharisäer, also ungefähr in Amt, Würde und Ansehen das, was gegenwärtig in Rom ein Kardinal ist, und fürs zweite war er als ein reichster Großbürger Jerusalems auch der Oberste der Juden in dieser Stadt; er war der oberste Bürgermeister über die ganze Stadt, von Rom aus dazu bestimmt. (a Johannes.03,01*; Johannes.07,50; Johannes.19,39)

  • Johannes.03,02] Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: »Meister, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.«

02] Dieser, als der Chef Jerusalems in bürgerlicher Hinsicht (Bürgermeister, d. Hrsg.), a kam also selbst in der Nacht zu Mir hinaus und sprach sogleich zu Mir: »Meister! Vergib es mir, dass ich so spät in der Nacht zu Dir komme und Dich störe in Deiner Ruhe; da ich aber vernahm, dass Du diese Gegend verlassen wirst schon des morgigen Tages, so konnte ich nicht umhin, Dir meine gebührende Achtung zu bezeugen. Denn siehe, ich und mehrere meines Amtes wissen es nun, nachdem wir Deine Taten beobachtet haben, dass Du als ein ganz echter Prophet, von Gott gesandt, zu uns gekommen bist! Denn die Zeichen, die Du tust, kann niemand verrichten, außer es ist Jehova mit ihm! Da Du sonach ein offenbarer Prophet bist und sehen mußt, wie sehr wir im argen liegen, uns aber dennoch durch Deine Vorgänger das Gottesreich verheißen ist, so sage mir gefälligst, wann dieses kommen wird, und so es kommt, wie man beschaffen sein muß, um in dasselbe zu gelangen?« (a Johannes.03,02*)

  • Johannes.03,03] Jesus antwortete und sprach zu ihm: »Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht a von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.« (a 1. Petrus.01,23)

03] Auf diese Frage des Nikodemus antwortete Ich ebenso kurz, wie es der Vers angibt, nämlich: »Wahrlich, wahrlich sage Ich dir: Es sei denn, dass jemand a von neuem geboren werde, sonst kann er das Reich Gottes weder sehen und noch weniger in dasselbe kommen!«, was soviel sagen will als: »So du deinen Geist nicht durch Wege, die Ich dir mit Meiner Lehre und Tat zeige, erweckest, kannst du das göttlich Lebendige Meines Wortes nicht einmal erkennen, geschweige in dessen lebengebende Tiefen eindringen!« (a Johannes.03,03*; 1. Petrus.01,23)

04] dass der sonst biedere Nikodemus solche Meine Rede, wie der Verfolg es zeigen wird, nicht begriffen hat und sich an ihm alsogleich bewahrheitete, dass man nämlich das göttlich Lebendige Meines Wortes nicht von ferne hin fassen kann, so man nicht geweckten Geistes ist, zeigt klar und deutlich der nächste Vers, laut dem Mich Nikodemus, ganz verblüfft ob solcher Meiner Rede, fragt und sagt:

  • Johannes.03,04] Nikodemus spricht zu ihm: »Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in den Leib seiner Mutter Leib zurückgehen und geboren werden?«

05] »Aber, lieber Meister, was Sonderbares doch sprachst Du vor meinen Ohren? a Wie möglich wohl kann ein Mensch noch einmal geboren werden? Kann denn ein Mensch, der groß, alt und steif geworden ist, durch das enge Pförtchen in seiner Mutter Leib steigen und sodann daraus zum zweiten Male geboren werden?! Sieh, sieh, lieber Meister, das ist eine völlig unmögliche Sache! Entweder weißt Du vom kommenden Gottesreiche nichts oder wenigstens nicht das Rechte, oder Du weißt darum und willst es aber mir nicht sagen aus Furcht, dass ich Dich aufgreifen und ins Gefängnis werfen ließe. Oh, des sei du völlig unbesorgt; denn ich habe noch nie jemanden seiner Freiheit beraubt, außer er war ein Mörder oder ein großer Dieb. - Du aber bist ein großer Wohltäter der armen Menschheit und hast nahe alle Kranken von Jerusalem geheilt, wunderbar durch die Kraft Gottes in Dir; wie sollte ich dann mich an Dir vergreifen können?! (a Johannes.03,04*)

06] Aber glaub es mir, lieber Meister, mir ist es ernst um das kommen sollende Gottesreich! Darum, so Du davon etwas Näheres kennst, sage es mir auf eine Weise, dass ich's fassen kann! Gib Himmlisches mit himmlischen und Irdisches mit irdischen Worten, aber in wohlverständlichen Bildern, sonst nützt mir Deine Belehrung noch weniger als die altägyptische Vogelschrift (Hieroglyphen), die ich weder lesen und sonach noch weniger verstehen kann. Ich weiß es nur zu bestimmt aus meinen Berechnungen, dass das Reich Gottes schon da sein muß, nur weiß ich noch nicht, wo und wie man in dasselbe kommt und in dasselbe aufgenommen wird. Diese Frage möchte ich von Dir ganz verständlich und klar beantwortet haben.«

08] Die Seele muß mit dem Wasser der Demut und Selbstverleugnung gereinigt werden (denn das Wasser ist das urälteste Symbol der Demut; es läßt alles aus sich machen, ist zu allem dienstfertig und sucht sich stets die niedersten Stellen der Erde aus und flieht die Höhen) und dann erst aus dem Geiste der Wahrheit, die eine unreine Seele nie fassen kann, da eine unreine Seele gleich ist der Nacht, während die Wahrheit eine Sonne voll Lichtes ist, die allenthalben Tag um sich verbreitet.

09] Wer demnach in seine durch die Demut gereinigte Seele die Wahrheit aufnimmt und diese tatsächlich als solche erkennt, a den macht dann ebensolche Wahrheit im Geiste frei, und diese Freiheit des Geistes oder das Eingehen des Geistes in solche Freiheit ist dann auch das eigentliche Eingehen in das Reich Gottes. (a Johannes.08,32; jl.ev06.199,02b; jl.ev08.176,02+06; jl.ev10.220,06; jl.ev11.310)

10] Aber eine solche Erklärung gab Ich freilich dem Nikodemus nicht, und das darum nicht, weil er sie in seiner Erkenntnissphäre noch weniger begriffen hätte als den kurzen verhüllten Grundsatz selbst. Er fragte Mich daher auch wieder, wie solches zu verstehen wäre.



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