Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


213. Kapitel: Josephs Söhne auf der Suche nach dem Kindlein. Die geheime Stimme und ihre tröstenden Worte an Joseph. Joseph auf der richtigen Spur. Das Mahl am Tische des Herrn auf dem Berge. Vom wahren Gebet. (23.05.1844)

01] Da aber dem Joseph darauf bange ward, so berief er alsbald die vier älteren Söhne und sagte zu ihnen:

02] »Geht, und helfet mir suchen das Kindlein und den Jakob; denn ich habe mich versündigt am Kinde, und es ist mir gewaltig bange um Herz!«

03] Und die vier Söhne gingen eilends aus nach allen Seiten und suchten das Kindlein bei einer Stunde lang, fanden Es aber nirgend und kamen unverrichteterdinge nach Hause.

04] Als Joseph aber sah, daß die vier Söhne allein nach Hause kamen, da ward es ihm sehr bange ums Herz, daß er darob hinausging recht weit von der Villa und weinte dort recht bitterlich über sein vermeintes Vergehen gegen das Kind.

05] Als er aber also weinte, da vernahm er eine Stimme, die zu ihm sprach:

06] »Joseph, du Gerechter, weine nicht, und laß dich nicht beunruhigen von den Menschen in deinem Gemüte!

07] Denn Ich, den du nun ängstlich und voll bangen Gemütes suchst, bin dir näher, als du glaubst.

08] Gehe aber in der Richtung deines Angesichtes vorwärts, und deine Augen werden Den erschauen, der nun zu dir redet und den du suchst!«

09] Auf diese wunderbaren Worte erhob sich Joseph getröstet und ging eilends vorwärts nach der Richtung seines Angesichtes, bei einer halben Stunde Feldweges.

10] Und da er also ging, kam er an einen bedeutenden Hügel, der eine Höhe von hundertundsiebenzig Klaftern hatte.

11] Da dachte er und sprach bei sich: »Soll ich auch auf diesen Hügel steigen bei dieser starken Hitze?«

12] Und die Stimme sprach wieder: »Ja, auch auf diesen Hügel mußt du gehen; denn auf der Höhe erst sollen deine Augen den Herrn schauen, den du nicht gesehen hast, da Er bei dir zu Tische saß!«

13] Als Joseph solches vernommen hatte, da achtete er der großen Hitze nicht und ging eilig den Hügel hinauf.

14] Und als er nahe an den Scheitel kam, da fand er diesen in dichten Nebel gehüllt und wunderte sich sehr, daß ein so kleiner Berg in dieser Jahreszeit Nebel hatte; denn es war die Zeit um Ostern.

15] Als er sich aber da also wunderte, siehe, da kamen bald Jakob und das Kindlein aus den Nebeln zum Vorscheine, und das Kindlein sprach:

16] »Joseph, scheue dich nicht, und komme mit heiterem Gemüte mit Mir auf den Scheitel dieses Hügels,

17] und überzeuge dich daselbst, daß nun die Zeit noch nicht da ist, in der der Herr fasten soll darum, daß Er nicht gebetet hat!

18] Es wird wohl eine Zeit kommen, in der der Herr fasten wird, aber jetzt ist sie noch nicht da. - Und so folge Mir!«

19] Und Joseph folgte dem Kindlein und kam bald auf die Höhe.

20] Als er auf der Höhe sich befand, da wichen die Nebel, und auf einem fein polierten Querbalken aus Zedernholz befand sich ein gebratenes Lamm, ein Pokal voll köstlichen Weines und ein Laib feinsten Weizenbrotes.

21] Hier staunte Joseph über die Maßen und sprach: »Aber woher habt ihr denn dies alles genommen? Haben euch das die Engel gebracht oder hast Du, o Herr, alles geschaffen?«

22] Und das Kindlein schaute zur Sonne und sprach: »Joseph, siehe, auch diese Leuchte der Erde speist an Meinem Tische!

23] Und Ich sage dir: sie braucht in einer Stunde mehr, als wie groß diese Erde ist, die dich trägt, und siehe, sie hat noch nie Hunger und Durst gelitten! Und solche Kostgänger habe Ich zahllos viele und noch endlos größere!

24] Meinst du wohl, daß Ich dann fasten werde, wenn du Mich vom Tische schaffst, so Ich Mich Selbst nicht anbeten will zur Unzeit?

25] O siehe, das hat der Herr nicht vonnöten! Komme aber nun du an Meinen Tisch und speise mit Mir; aber diesmal ohne dein angewohntes Gebet!

26] Denn das wahre Gebet ist die Liebe zu Mir; hast du diese, dann kannst du deinen Lippen allezeit die Mühe ersparen!« - Und Joseph ging hinzu und aß und trank am wahren Tische des Herrn und fand die Speise gar himmlisch wohlschmeckend.



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