Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


212. Kapitel: Marias und des Cyrenius tadelnde Worte an Joseph. Joseph in der Enge und sein Rufen nach dem Kindlein. (22.05.1844)

01] Als das Kindlein und Jakob aber draußen waren, da sagte Maria zu Joseph;

02] Höre, du mein lieber Gemahl und Vater Joseph, manchmal bist du gegen das göttliche Kind denn doch etwas zu scharf!

03] Was könnte man denn sonst wohl bei einem natürlichen Menschenkinde von zwei und ein drittel Jahren erwarten?!

04] Wer wohl würde es schon einer so strengen Zucht unterziehen?

05] Du aber bist gegen dieses Kind aller Kinder also zuchtstrenge, als wäre es in Gott weiß was für einem reifen Alter!

06] Siehe, das kommt mir sehr unbillig vor! Hast du Es auch dann und wann über die Maßen lieb, so bist du aber dennoch manchmal so strenge gegen Dasselbe, als hättest du keine Liebe zu Ihm!«

07] In diesen Ton der Maria stimmten auch sogleich Cyrenius, Jonatha, Tullia, Eudokia und Maronius Pilla.

08] Und Cyrenius sagte extra noch zu Joseph: »Freund, ich weiß wirklich nicht, wie du mir manchmal vorkommst!

09] Einmal lehrst du mich im Kindlein Selbst das allerhöchste Wesen Gottes erkennen, -

10] gleich darauf verlangst du wieder vom Kindlein, daß Es einen Gott anbeten solle!

11] Sage mir, wie sich das zusammenreimt!? Ist das Kindlein das Gottwesen Selbst, wie soll Es dann zu einem Gott beten? - Kommt dir nicht solche deine Forderung ein wenig unsinnig vor?

12] Und ich setze den Fall, das Kindlein wäre nicht Das, als was ich Es nun ganz unzweifelhaft erkenne und allezeit anbete,

13] da meine ich, als ein wahrer Kinderfreund, dürfte dein Begehren von einem Wiegenkinde denn doch etwas töricht sein!

14] Denn wer wird von einem neun Vierteljahre alten Kinde ein strenges Gebet verlangen?!

15] Darum mußt du mir nun das schon zugute halten, so ich als ein Heide dir sage:

16] »Freund, du mußt mit dreifacher Blindheit geschlagen sein, wenn du das Kindlein nicht allezeit gleich zu würdigen imstande bist!

17] Fürwahr, diesmal esse auch ich keinen Bissen, so das Kindlein mit Seinem Jakob nicht hier an meiner Seite Sich befinden wird!

18] Ist es nicht lächerlich sogar, so du um die Segnung der Speise Gott den Herrn anflehst und schaffst dann eben denselben einen Gott und Herrn vom Tische weg, darum Er nicht gebetet hat nach deiner angewohnten Art?!

19] Darum fragte dich auch sicher das Kindlein, zu wem Es so ganz eigentlich beten solle, und zu wem du betest, und zu wem auch der Jakob hätte beten sollen.

20] Du aber hast meines Dafürhaltens nicht gemerkt, was das Kindlein dir dadurch hat sagen wollen!«

21] Diese recht triftigen Bemerkungen gingen dem Joseph sehr zu Herzen, und er ging hinaus, das Kindlein samt dem Jakob zu holen.

22] Aber er rief da den Jakob und das Kindlein vergebens; denn die beiden hatten sich schnell entfernt, - wohin aber, das wußte niemand.



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