Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


188. Kapitel: Des Cyrenius Beteuerungen seiner Liebe zum Herrn. Die Probe darauf: Tullias Tod. Des Cyrenius tiefe Trauer. Der gerechte Tadel des enttäuschten Kindleins und seine gute Wirkung auf Cyrenius. (19.04.1844)

01] Als Cyrenius aber diese Erdkugel abermals mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, da verlangte das Kindlein freigestellt zu werden, und auf dem Hügel ein wenig hin und her zu hüpfen.

02] Und Cyrenius setzte Es gar sanft auf die Erde und sprach:

03] »O Du mein Leben, Du mein Heil, Du mein Alles! Nur von meinen Händen gebe ich Dich leiblich frei;

04] aber nimmer, nimmer aus meinem Herzen; denn da lebst Du nun mehr ganz allein, - ja Du ganz allein bist meine Liebe!

05] Wahrlich, so ich nur Dich, o Du mein Heiland, habe, dann ist mir die ganze Welt mit allen ihren Schätzen nichtiger als das Nichts selbst!«

06] Hier stand das Kindlein auf, wandte sich wieder zu Cyrenius und sprach zu ihm:

07] »Ich muß denn doch wieder bei dir verbleiben - obschon Ich recht gerne ein wenig herumhüpfen möchte -, weil du Mich gar so lieb hast!

08] Hättest du fortwährend deine kleine Erde beschaut, siehe, da wäre Mir bei dir zu sein wohl ein wenig langweilig geworden;

09] aber da du dein Herz wie alle deine Aufmerksamkeit wieder völlig Mir zugewandt hast, da muß Ich bei dir verbleiben und kann Mich nicht trennen von dir!

10] Aber höre du, Mein lieber Cyrenius, was wird denn dein Weib dazu sagen, wenn sie sicher vernommen hat, daß du Mich ganz allein nur liebst?!«

11] Und Cyrenius sprach: »Herr, wenn ich nur Dich habe, was frage ich da um mein Weib und um die ganze Welt? Siehe, das alles ist mir um die leichteste Münze feil!

12] O Du mein Jesus, welche Seligkeit kann größer wohl sein als allein die nur, Dich über alles zu lieben und von Dir wiedergeliebt zu werden?!

13] Darum möchte ich die Tullia eher verachten wie einen Heuschreckenzug, bevor ich nur um ein Haarbreit von der Liebe zu Dir weichen möchte!«

14] Das Kindlein aber sprach: »Cyrenius, so Ich dich aber darob ein wenig prüfete, denkst du wohl, daß du da beständig verbleiben möchtest?«

15] Und Cyrenius sprach: »Nach meinem gegenwärtigen Gefühle dürftest Du wohl die Erde unter meinen Füßen zerstäuben und mir die Tullia tausendfach nehmen, so es möglich wäre, so würde ich aber dennoch in meiner gleichen Liebe zu Dir verbleiben!«

16] Hier sank plötzlich die Tullia wie vom Schlage gerührt, zu Boden und ward völlig tot.

17] Alle Anwesenden erschraken heftig. Man brachte sogleich wohlgegorenen Zitronensaft und frisches Wasser und labte sie!

18] aber es war alle Mühe vergeblich; denn die Tullia war tot.

19] Als Cyrenius aber sah, daß die Tullia ernstlich tot war, da verhüllte er sein Angesicht und fing an, recht traurig zu werden.

20] Nun aber fragte das Kindlein den trauernden Cyrenius: »Cyrenius, wie kommst du Mir nun vor? Siehe, noch ist die Erde ganz, und dein Weib ist noch lange nicht tausendmal getötet, wie du es verlangtest, - und du trauerst, als hättest du alles in der Welt verloren!

21] Hast du Mich nun nicht gleich wie ehedem, der Ich doch alles war?! Wie magst du nun trauern gar so sehr?«

22] Hier seufzte Cyrenius tief auf und sprach gar kläglich: »O Herr, ich wußte ja nicht, wie teuer mir die Tullia war, solange ich sie hatte; ihr Verlust erst zeigte mir nun ihren Wert!

23] Darum trauere ich und werde trauern wohl mein Leben lang um sie, die mir eine so edle und treue Gehilfin war!«

24] Da seufzte das Kindlein tief auf und sprach: »O ihr wetterwendischen Menschen, wie wenig Beständigkeit wohnt in euren Herzen!

25] Wenn ihr schon also seid in Meiner Gegenwart, was werdet ihr dann erst sein, so Ich nicht unter euch sein werde?

26] Cyrenius, was war Ich dir vor einigen Minuten, und was bin Ich dir jetzt?

27] Dein Angesicht verhüllst du vor Mir wie vor der Welt, und dein Herz ist so voll Traurigkeit, daß du kaum vernehmen magst Meine Stimme!

28] Ich aber sage dir: Wahrlich, also bist du Meiner noch nicht wert!

29] Denn wer noch sein Weib mehr liebt denn Mich, der ist Meiner nicht wert, da Ich doch mehr bin als ein Weib, geschaffen durch Meine Macht!

30] Ich sage dir: Berate dich in Zukunft besser, sonst wirst du auf dieser Welt Mein Angesicht nimmer erschauen!«

31] Darauf ging das Kindlein zu Joseph hin und sagte zu ihm:

«Joseph, laß die Tote ins Kämmerlein bringen und sie legen auf ein Totengerüst!«

32] Joseph aber sprach: »Mein Söhnchen, wird sie nimmer lebend?«

33] Und das Kindlein sprach: »Frage Mich nicht darum; denn nun ist noch lange nicht Meine Zeit, sondern tue, wie Ich dir sagte!

34] Siehe, das Weib ward eifersüchtig auf Mich, als Mir Cyrenius seine Liebe gestand; diese Eifersucht und dieser Liebeneid hat sie so schnell getötet! Darum frage Mich nicht weiter, sondern lasse sie ins Kämmerlein aufs Gerüst bringen; denn sie ist wirklich tot!«

35] Joseph ließ darauf sogleich die Leiche ins Haus tragen und bereiten in einem Seitenkämmerlein ein Gerüst und dann die Leiche darauf legen.

36] Alles ging nun zu Cyrenius hin und tröstete ihn ob dieses plötzlichen Verlustes seines Weibes.

37] Cyrenius aber enthüllte bald wieder sein Gesicht, richtete sich auf wie ein rechter Held und sprach:

38] »O liebe Freunde, tröstet mich nicht vergeblich; denn ich habe meinen Trost schon gefunden in meinem eigenen Herzen,

39] und einen besseren könnt ihr mir wohl nicht geben!

40] Seht, hier hat der Herr mir ja wunderbar dies edle Weib gegeben, und hier hat Er es mir wieder genommen; denn Er allein ist ja der Herr über alles Leben!

41] Ihm sei darum auch alles aufgeopfert, und Sein heiliger Name sei darum ewig gelobt und gepriesen!

42] Es ist zwar ein harter Schlag auf mein fleischig Herz; aber ich empfinde ihn nun auch um so belebender für meinen Geist!

43] Denn dadurch hat der Herr mich frei gemacht, und ich gehöre nun ganz, aller irdischen Bande ledig, Ihm allein zu, und Er allein ist nun der heilige Einwohner meines Herzens! Darum tröstet mich nicht; Er allein ist ja mein Trost für ewig!«

44] Hier kam das Kindlein wieder zu Cyrenius und sagte zu ihm: »Amen! Also sei es für ewig!

45] Wie ein Hauch werden diese Erdenjahre vergehen, in denen wir noch hier wirken werden; dann aber wirst du dort sein, wo Ich sein werde ewig unter denen, die Mich lieben werden dir gleich! Also sei es ewig ewig, ewig!«



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