Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


172. Kapitel: Jonathas übertriebene Ehrfurcht und Demut vor dem Jesusknäblein. Josephs guter Rat und des Kindleins liebevoller Zuspruch. Jonathas Bleiben. (22.03.1844)

01] Jonatha aber, nachdem er sich vom Staunen über diese Rede des Kindleins ein wenig erholt hatte, sprach zu Joseph:

02] »Bruder! Fürwahr, so fest ich es mir auch vorgenommen habe, heute und morgen bei dir zu bleiben, so aber werde ich doch kaum diesem Vorhaben getreu verbleiben können!

03] Denn siehe, mir kommt nun hier alles zu heilig vor! Wie in einer Einöde scheine ich hier zu sein, in der einem Wanderer alles, was er ansieht, zuruft: ,Hier ist kein Platz für dich, sondern nur für Geister!'

04] Auch kommt es mir vor wie auf einem überhohen Berge, auf dessen Spitze wohl der Zauber der weiten Aussicht anfangs die Sinne besticht;

05] aber gar bald spricht zu ihm die kalte, reinste Luft:

06] ,Du träges und unreines Menschenlasttier, ziehe bald zurück in deine stinkende Heimat!

07] ,Denn hier, wo sich des reinsten Äthers reinste Geister wiegen, ist keines Bleibens für eine unreine Seele!'

08] Wie rein war der große Prophet Moses; und dennoch sprach der Herr zu ihm, als er Ihn zu sehen verlangte:

09] » ,Mich, deinen Gott, kannst du nicht sehen und leben zugleich!'

10] Hier ist derselbe Herr in der Fülle Seiner Heiligkeit; Er ist hier, der Verkündigte durch aller Propheten Mund!

11] Wie sollte es mir möglich sein noch länger Seine sichtbare Gegenwart zu ertragen hier, der ich doch ein alter Sünder bin am ganzen Gesetze Mosis?!«

12] Joseph aber sprach: »Lieber Freund und Bruder, du weißt ja, was das Hauptgesetz ist; warum willst du denn lieber nach Hause ziehen als dieses Gesetz lebendig beachten?

13] Liebe den Herrn aus allen deinen Kräften, und gedenke nicht beständig deiner Sünden, so wirst du dem Herrn sicher angenehmer sein als durch deine beständigen Ausrufungen!

14] Warte, bis dich das Kindlein verabschieden wird! Wenn das geschehen wird, da glaube, daß du Seiner unwürdig bist;

15] solange aber das nicht der Fall sein wird, da bleibe, - denn mehr zu Hause als hier wirst du wohl ewig nirgends sein!«

16] Hier kam das Kindlein hinzu und sprach: »Joseph, du hast schon recht, daß du den Jonatha ein wenig geputzt hast; warum ist er also eigensinnig und will nicht hier bleiben, da Ich ihn doch so lieb habe!«

17] Darauf wandte sich das Kindlein an den Jonatha und sprach:

18] »Jonatha, willst du denn im Ernste nicht hier verbleiben? Was Übels wohl geschieht dir hier, daß du nicht bleiben willst?«

19] Und Jonatha sprach: »Mein Gott und mein Herr, siehe, ich bin ja ein grober Sünder am Gesetze!«

20] Das Kindlein aber sprach: »Was sprichst du von Sünden? Ich erkenne keine an dir!

21] Weißt du, wer ein Sünder ist? - Ich sage dir: Der ist ein Sünder, der keine Liebe hat!

22] Du aber hast Liebe, und so bist du kein Sünder vor Mir; denn Ich habe sie, die Sünden, dir vergeben, darum Ich über Moses bin ein Herr von Ewigkeit!«

23] Hier weinte Jonatha und faßte neuen Entschluß, zu bleiben, und nahte sich dem Kindlein und koste Es.



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