Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


75. Kapitel: Die Besichtigung Ostrazinies nach dem Sturme. Die gute Wirkung des Orkans. Die törichte Absicht des Cyrenius, sein Schwert wegzuwerfen. Des heiligen Kindleins weise Worte über das Schwert als Hirtenstab. (22.11.1843)

01] Vom Richtplatze sich schnell hinwegbegebend, zog die ganze Gesellschaft nun in die Stadt, im Gefolge von den drei begnadigten Priestern.

02] Als sie, die Gesellschaft nämlich, aber in der Stadt am großen Platz anlangte - und zwar vor dem mächtigen Schutthaufen des großen Tempels und des ganzen, noch größeren Priesterpalastes, -

03] da schlug Cyrenius die Hände über dem Kopfe zusammen und sprach mit lauter Stimme:

04] »Wie sehr verändert siehst du aus! Ja, so kann nur eines Gottes Macht wirken!

05] Nicht langer Zeiten bedarf es, sondern ein Wink der Allmacht genügt, den ganzen Erdkreis in Staub zu verwandeln!

06] O Menschen, wollt ihr kämpfen mit Dem, der den Elementen gebietet, und sie folgen Seinem Winke?!

07] Wollt ihr Richter sein, wo der Gottheit Allmacht gebietet, und herrschen, wo euch ein leiser Wink des ewigen Herrschers zertrümmert?!

08] Nein, nein! Ich bin ein Tor, daß ich noch mein Schwert umgürtet trage, als hätte ich eine Macht!

09] Weg mit dir, du elendes Zeug! Da in diesem Schutthaufen ist der beste Platz für dich! Mein wahres Schwert aber sollst Du sein, Du, den die Mutter auf ihren Armen trägt!«

10] Hier löste Cyrenius plötzlich sein Schwert samt dem Ehrengürtel vom Leibe und wollte es mit aller Gewalt in den Schutthaufen schleudern.

11] Aber das Kindlein, das Sich zur Seite des Cyrenius auf den Armen der Maria befand, sprach zu ihm:

12] »Cyrenius! Tue nicht, was du tun willst! Denn wahrlich, wer das Schwert nach deiner Art trägt, der trägt es gerecht!

13] Wer das Schwert gebraucht als Walle, der werfe es von sich;

14] wer es aber gebraucht als einen Hirtenstab, der behalte es! Denn also ist es der Wille Dessen, dem Himmel und Erde ewig gehorchen müssen!

15] Du bist aber ein Hirte denen, die in das Buch deines Schwertes geschrieben sind;

16] daher umgürte dich nur wieder mit der gerechten Ehre, auf daß dich dein Volk erkennt, daß du ihm ein Hirte bist!

17] Bestünde deine Herde pur aus Lämmern, da bedürftest du keines Stabes!

18] Aber es gibt darunter sehr viele Böcke, darum möchte Ich dir lieber noch einen Stab hinzulegen, als dir den einen nehmen!

19] Wahr ist es: außer in Gott gibt es keine Macht; aber wenn dir Gott die Macht verleiht, dann sollst du sie nicht dahin von dir werfen, was Gottes Fluch gerichtet hat!«

20] Diese Worte brachten den Cyrenius sogleich zur Umgürtung des Schwertes unter steter stiller Anbetung des Kindleins.

21] Die drei Priester aber entsetzten sich allergewaltigst vor der Weisheit dieses Kindleins.



voriges Kapitel Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers nächstes Kapitel