Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


02] Hat jemand diese erreicht, so hat er auch das eigentliche, wahre Ziel seines Lebens erreicht. - Um aber dieses allerwichtigste Ziel zu erreichen, muß man auf dem Bildungswege seines Herzens recht sehr behutsam sein und muß sich bei jeder Neigung seines Herzens fragen, ob in solch einer Neigung nicht irgend etwas vom bösen Samen der Eigenliebe neben der rechten Liebe enthalten ist.

03] Rechte Liebe ist durchgehends leidenschaftslos. Sie ergreift wohl alles mit der größten Macht und Kraft und läßt, was sie einmal ergriffen, ewig nimmer aus. Aber dessenungeachtet ist solcher wahren Liebe Wirken durchgehends ein überaus sanftes, begleitet von der größten Duldsamkeit.

04] Das Wirken der Eigenliebe, obschon an und für sich höchst ohnmächtig, tritt aber nur zu bald als ein Handeln auf, das da sogleich alles zerstören möchte, was ihm ungünstig in den selbstsüchtigen Weg treten möchte. Und dieses Benehmen ist eben die Leidenschaftlichkeit, die da in der Eigenliebe zuhause ist.

05] Daher, wie gesagt, muß jeder bei der Bildung seines Herzens sehr behutsam sein, ob dasselbe wohl mit wahrer Liebe oder ob mitunter auch mit kleinen Portionen von Eigenliebe genährt wird. - Und eben darauf mußt auch du, Mein liebes Töchterlein, recht sehr bedacht sein, so du ehestens den wahren Geburtstag deines Geistes erleben willst.

06] Siehe, Menschenliebe ist wohl gut und recht, wenn man die Menschen liebt, weil sie Menschen sind, und nicht Unterschiede macht - außer insofern, ob jemand zufolge seines geistigen Standpunktes Mir näher oder ferner ist. Denn da ist ein Unterschied gerecht. Es kann ja niemand zwei Herren dienen, d.h. einem guten und einem schlechten zugleich! - Aber irgendeine aus weltlichen Gründen entstandene Bevorzugung wegen gewisser weltlicher Würden und Werte des Menschen ist schon Eigenliebe, weil das Herz darin am Ende, wenn schon ganz heimlich, aber dennoch sicher seine eigene Erhöhung sucht. Und wo ein solches Bestreben, wenn auch noch so leise, sich kundgibt, da ist schon nicht mehr die Demut, sondern ein in solcher Liebe versteckter Hochmut die Triebfeder der sittlichen Bewegung des Herzens.

07] Wenn daher dein Herz etwas ergreift, so frage du allezeit, ob dann nicht dein irdisches, der sogenannten höheren Welt untergeordnetes Ehrgefühl in Anspruch genommen wird. Findet dieses bei einem Unternehmen deines Herzens seine Sättigung, so ist das schon ein Zeichen der Eigenliebe, die sich auf dem Bildungswege deines Herzens wie ein arger Buschklepper hinter einem Dickichte gelagert hat und mit der Weile als ein geheimer Abgesandter der Hölle alles Edle verderben will.



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