Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


07] Aber die Führer sagten: »Freund, das tun Sie ja nicht! Wir sind nun dem Ziele, das wir hier verfolgen, näher, als Sie glauben! Daher wäre es sehr männlich, nun umzukehren ob dieser kleinen Strecke Waldes. Machen wir uns daher nur recht mutig wieder auf den Weg, und bald werden wir auf die freien Alpentriften gelangen, wo jeder Schritt von neuen Wundern gewürzt sein wird!«

08] Diese Rede gefiel dem Wanderer, und er setzte mit seinen Führern den Weg durch den noch übrigen Wald mutig fort. - Nun ward der Wald dünner, die Bäume wurden klein und verkrümmt, und schon wurden hie und da die weitgedehnten blaßgrünen Alpenmatten, glitzerndes Steingerölle und vermoderte übereinanderliegende Urbaumstämme ersichtlich. - Endlich ward auch der letzte Rest des Waldes hinter den Rücken gelegt, und die Gesellschaft gelangte auf die ganz freien Alpentriften und nahm da Rast und einige Stärkung für die noch allerbeschwerlichste weitere Besteigung der höchsten Spitze.

09] Man rastete bei einer halben Stunde, erhob sich dann und wollte weiter aufwärtsziehen; aber siehe, da kam - wo auf derlei Höhen nichts Ungewöhnliches ist - plötzlich ein heftiger Wind, und die höchste Kuppe wurde von dichtem Gewölke umlagert. Da machten die Führer bedenkliche Mienen, und der Wanderer verwünschte jeden Gedanken, der ihn dazu bewogen hatte, diesen Berg ersteigen zu wollen; denn die schon sehr schöne Aussicht von den hohen, freien Alpentriften war ihm durchaus zu wenig Lohn für seine große Mühe. - Da der Wind aber stets heftiger ward und die Nebel tiefer und tiefer herabfielen, da beschloß die Gesellschaft, den Weg von der Alpe auch so schleunig als möglich wieder zurückzumachen, um einem sicheren Hochgewitter zu entgehen.

10] Schnellen Schrittes ging es nun abwärts, und das Tal ward in der halben Zeit erreicht, welche die Gesellschaft zur Ersteigung dieser Alpe brauchte. Als sie alle, die Führer und der Wanderer, wieder in der Ortschaft ankamen, siehe, da kam ein anderer Wind, und alle Bergspitzen standen wieder kristallrein vor den Augen der müden Wanderer.

11] Da bereute es auch unser Wanderer, daß er sich von einem kleinen Wetter hatte einschüchtern und entmutigen lassen und beschloß, bei einer künftigen ähnlichen Gelegenheit klüger und ausdauernder zu sein.



Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers